Der überblick soll den Erfahrungsaustausch zwischen den Mitarbeitern draußen und daheim fördern. Mitglieder und Freunde der Arbeitsgemeinschaft soll er unterrichten, Bewerbern etwas vom Dienst in Übersee zeigen. Die Leser sind also verschieden, aber beteiligt an der gleichen Sache.« Das hat Manfred Kulessa, der Gründer und noch immer einer der Herausgeber dieser Zeitschrift, 1965 im Editorial des ersten Heftes geschrieben.
Heute würde kaum noch jemand so formulieren, und doch vermitteln diese Worte auf ebenso bescheidene wie entschiedene Weise, dass man bei »Dienste in Übersee« von Anfang an ein Kommunikationskonzept hatte: auf andere zugehen, mit ihnen zusammenarbeiten und aus der damals für die meisten Menschen noch fremden Welt berichten. Was Manfred Kulessa damals geschrieben hat, ist unvermindert aktuell und immer noch Programm. »Zeitschrift für ökumenische Begegnung und internationale Zusammenarbeit « heißt es heute auf der Titelseite dieser Zeitschrift. Übrigens schon seit 1976 und überhaupt nicht korrekturbedürftig.
»der überblick« wird also vierzig. Das sind 155 Hefte, eine kleine Bibliothek. Meist sind sie, allen guten Absichten zum Trotz, kurz vor Quartalsende erschienen, manchmal zugegebenermaßen sogar etwas später. Wurde ein Thema zu unübersichtlich, konnten auch schon mal zwei Hefte daraus werden, nie aber gab es aus der Not ein Doppelheft. Die Versuchung war gelegentlich da, im letzten Jahr sogar übermächtig aber nein, das wäre unprofessionell.
Dass »der überblick« aus den bescheidenen Anfängen das erste Heft hatte acht Seiten und wurde, um etwas herzumachen, auf Karton gedruckt kontinuierlich an Auflage und Ansehen gewann, das ist einer Reihe außerordentlicher Menschen und Organisationen zu danken. Das publizistische Kind von »Dienste in Übersee« wurde bald von der »Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst« (AG KED) adoptiert. Während bei anderen entwicklungspolitischen Verbandszeitschriften die Unabhängigkeit der Redakteure in den Arbeitsverträgen festgeschrieben bzw. ständig über sie diskutiert wurde, war sie beim »überblick« selbstverständlich: weil die leitenden Damen und Herren verstanden, was eine Zeitschrift aus- und erfolgreich macht. Großzügig und frei von Eitelkeit ließen sie die Redaktion gewähren, manche Tollheiten nahmen sie hin, wohlwissend, dass es keine Torheiten geben würde. Eigensinn und Sprunghaftigkeit der Redaktion wurden mit mildem Spott bedacht, aber als Bemühungen um Qualität verstanden und nicht als betriebsstörendes Querulantentum sanktioniert.
Derart mit Vertrauen ausgestattet, brauchte die Redaktion nicht wortreich ihre Unabhängigkeit zu betonen, sondern kam mit einem Satz aus: Wir unterstützen die AG KED mit publizistischen Mitteln. Punkt. Der Stolz auf den Arbeitgeber schwang dabei immer mit. Unterstützung kann ja sehr unterschiedlich aussehen: Man kann vorangehen (das machen Journalisten natürlich besonders gern), man kann den Tross begleiten oder auch zur Eile antreiben, man kann von hinten zur Umkehr mahnen oder auch nachträglich den Weg und überhaupt alles in Frage stellen, inklusive sich selbst. Für alles dies lassen sich in vierzig Jahren »überblick« Belege finden.
Wer so selbständig arbeiten kann, arbeitet auch wie ein Selbstständiger: Man kann gleichzeitig Urlaub machen, krank sein und arbeiten dieser Spruch gehört seit mehr als 20 Jahren zum festen Bestand an Redaktionsweisheiten. Er wird mit leichter Ironie zitiert, wenn Gäste fragen, wie man mit so wenig Personal so viel Zeitschrift machen kann. Solange das freiwillig geschieht, tut es ja auch nicht weh.
Zur Großzügigkeit der Herausgeber kamen Rat und Tat von vielen Seiten: Neben den im Impressum aufgeführten »ständigen Mitarbeitern« waren und sind das unsere Nachbarn in Hamburg, stellvertretend sei das auch räumlich besonders nahe Institut für Afrikakunde genannt. Die Stiftung Wissenschaft und Politik, die Friedrich-Ebert-Stiftung und das Freiburger Arnold-Bergstraesser-Institut haben die Redaktion zu nicht öffentlichen Tagungen eingeladen, auf denen illustren und klugen Rednern zuzuhören ein Vergnügen war und neue Kontakte geknüpft werden konnten. Auch das hat sich im »überblick« niedergeschlagen.
Eine gute Arbeitsteilung und zum Teil freundschaftliche Beziehungen sind auch mit den übrigen Zeitschriften im Themenfeld »Internationales«gewachsen. Davon hat besonders die Quartalsschrift »der überblick« mit ihren langen Produktionszeiten profitiert. Hat man den gleichen Autor im Auge, lässt der eine dem andern den Vortritt, auch die Themenplanung kann man abstimmen, ohne Angst haben zu müssen, dass die Kollegen der schneller erscheinenden Zeitschriften einem eine gute Idee wegschnappen. Und weil fast alle Zeitschriften (mehr oder weniger) gleich alt sind, hat sich mit den Jahren auch eine Arbeitsteilung herausgebildet, bei der man einander ohnehin nur selten in die Quere kommt, sondern meist gut ergänzt.
Vor allen Dingen bieten die Redakteurstreffen Trost bei einem Problem, über das alle Anwesenden viel erzählen können: Wenn ein oder zwei Journalisten in großen Institutionen arbeiten und ein Verbandsmagazin machen, dann haben sie immer damit zu kämpfen, dass viele mitreden oder -schreiben wollen, aber kaum jemand versteht, wie viel Arbeit und Termindruck eine Redaktion 5 der überblick 1/2005 hat. Eine Idee, ein Manuskript, gelegentlich ein Blick in den Duden, dann ab in die Druckerei alles nicht der Rede wert, das kann man doch vom Wohnzimmer aus machen. Varianten dieses Vorurteils kennt jeder Redakteur.
Richtig herzerwärmend aber sind die Kontakte mit den Leserinnen und Lesern. »Diese Zeitschrift hat keine Leser, die hat Fans«, hat einst ein Hospitant der Redaktion gesagt, als er von einem Seminar zurückkam. Wo immer jemand von der Redaktion auftaucht, gibt es freundlichen, vertrauensvollen Zuspruch. Man hat ein bisschen das Gefühl, zur Familie zu gehören. Selbst Abonnementskündigungen, natürlich nicht erwünscht, sind fast immer mit einem Lob und Dank verbunden. Willkommen ist dagegen Kritik; es wäre schön, es gäbe mehr.
Sie lässt sich aber auch organisieren: Zum Journalismus gehört die Blattkritik, im »überblick« leider nicht häufig genug. Wenn jemand von außen kommt, Vorspänne, Bildunterschriften und ganze Artikel in der Luft zerfetzt und das alles mit journalistischem Blick auch nachvollziehbar ist, dann ist die Redaktion keineswegs deprimiert, sondern eher beflügelt. Und hofft, dass es ihr einmal gelingt, frischer zu formulieren, länger nach den richtigen Bildern oder Worten suchen zu können, ohne die Kulanz der Drucker im schleswig-holsteinischen Breklum noch mehr zu strapazieren.
Wer vierzig ist, fragt sich auch, wie es weitergehen wird. Nein, die Redaktion hat keine midlife crisis, es gibt genügend Themen, die dringend bearbeitet werden müssten oder einen sofort in den Bann schlagen. Und sie kann mit einigem Stolz darauf verweisen, dass ihre Zeitschrift eine beachtliche Auflage hat, die keinen Vergleich scheuen muss. Aber »der überblick« wird nur zum kleineren Teil von seinen Leserinnen und Lesern finanziert und zum größeren Teil aus Steuergeldern der evangelischen Christen. In den nächsten Jahren wird das Kirchensteueraufkommen stark zurückgehen. Das bedeutet, dass nicht mehr alles unterstützt werden kann, was jetzt (mit) von diesem Geld lebt.
Ist »der überblick« wichtig genug, dass er erhalten werden muss? Der Redaktion war immer bewusst, dass ihr Budget nicht aus der Steckdose kommt. Obwohl sie gelegentlich revolutionäre Ideen hatte und dafür manche Mark ausgegeben hat, hat sie zugleich auf fast spießige Art und Weise sparsam gewirtschaftet (die Hospitanten werden sich nicht nur mit Freude an die entsprechenden Belehrungen erinnern). Die Frage einer weiteren Bezuschussung muss also erlaubt sein und kann nicht gleich mit einem empörten »Aber nicht bei uns« beantwortet werden, auch nicht mit dem traurigen Augenaufschlag der Not in aller Welt oder der geschwellten Brust der Zivilgesellschaft.
Es hat sich ja etwas zum Positiven verändert in unserem Land, seit »der überblick« gegründet wurde. Es gibt anders als vor vierzig Jahren eine kenntnisreiche, differenzierte Auslandsberichterstattung, von viel Sympathie für die Menschen der Dritten Welt und ihre politischen Anliegen getragen. Zugegeben, man muss in den angesehenen Zeitungen und Zeitschriften und in Programmen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gezielt danach Ausschau halten und wird nicht alles finden, was man sucht. Und man kann auch anderer Meinung sein. Aber die ideologischen Schlachten der Vergangenheit hier das bürgerliche Medium, dort die kritische/revolutionäre/solidarische Berichterstattung gehören zum Glück der Vergangenheit an. Wer mehr und anderes möchte, kann auf Fachpublikationen, das Internet und gut funktionierende Netzwerke zurückgreifen.
Die Entwicklungspolitik selbst ist fest etabliert und wird trotz großer finanzieller Probleme und (relativer) Armut im eigenen Land nicht in Frage gestellt (vergl. »der überblick« 3/2004). Der Tsunami hat gerade weltweit eine überwältigende Spendenbereitschaft ausgelöst und Politiker aller Couleur mit Hilfsangeboten wetteifern lassen. Im Rahmen der Vereinten Nationen verfolgt die Weltgemeinschaft derzeit wieder große Ziele (Millennium Development Goals), mit dem Bericht der Blair-Kommission liegt seit zwei Wochen eine voluminöse Absichtserklärung eines wichtigen Landes vor, mehr für Afrika zu tun.
Soll man da noch knappes Geld ausgeben für ein in die Jahre gekommenes Periodikum, eine Quartalsschrift mit vergleichsweise langen und eine gewisse Anstrengung verlangenden Artikeln? Das soll, nach bewährter »überblick«-Manier, später im Jahr in einem Themenschwerpunkt über Auslandsberichterstattung erörtert werden. In diesem Rückblick soll, gut protestantisch, nur vom Balken im eigenen Auge die Rede sein.
Zwar gibt es die früher beklagten weißen Flecken auf der Weltkarte und blinden Flecken im Bewusstsein kaum noch, aber es sind neue Phänomene aufgetaucht, die nicht oder nicht angemessen beachtet werden. Wie zum Beispiel das in diesem Heft behandelte Wachstum der Pfingstkirchen und ihre Bewertung unter entwicklungsorientierten Gesichtspunkten. Mit der Institutionalisierung der entwicklungspolitischen Arbeit sind Strukturen geschaffen worden, die eine professionelle Bearbeitung bestimmter Fragestellungen ermöglichen, aber ihrerseits auch Betriebsblindheit erzeugen. Und schließlich führt die Geschäftigkeit der entwicklungspolitischen community dazu, dass kaum noch innegehalten und reflektiert wird. Lobbyismus, Positionierung, Selbstdarstellung, Eigenlob und nicht zuletzt Besitzstandswahrung haben ein Klima geschaffen, in dem »kritisch« oft nur noch für einen anderen Blickwinkel und die eigene Bedeutung steht und nicht mehr für gründliches, auch selbstkritisches Nachdenken.
Grund genug also für das »Think Again« vom »überblick«, die gute alte Aufklärung aus der Hamburger Redaktion, die weiterhin Dienstleisterin und Unruhestifterin sein will. Bescheiden und entschieden zugleich, wie Manfred Kulessa im ersten Editorial vor vierzig Jahren.
Renat Wilke-Launer ist Chefredakteurin des "überblick".