von Renate Wilke-Launer
Wer nach den Motiven für die Gründung entwicklungspolitischer Zeitschriften fragt, wird auf hehre und hohe Ansprüche stoßen: den etablierten Medien mit ihrem auf Kriege, Krisen und Katastrophen fixierten Blick eine andere Sichtweise entgegenzustellen, für die Befreiungsbewegungen Partei zu ergreifen, die rücksichtslose Interessenpolitik mancher westlicher Industrieländer zu entlarven und für die Entwicklungszusammenarbeit zu werben.
Da hat sich in der Rhetorik mit der Zeit manches abgeschliffen, geblieben aber ist ein aufklärerischer Anspruch und ein werbendes Interesse. Die Zeitschriften gehören als fester Bestandteil zum Politikfeld Entwicklungszusammenarbeit, das einen kleinen, aber politisch aktiven Teil der Bevölkerung interessiert. Entsprechend gering sind die Auflagen, entsprechend hoch ist der Subventionsbedarf. Das Geld kommt meist von entwicklungspolitischen Institutionen und Hilfswerken, die Leserinnen und Leser zahlen allenfalls einen Kostenbeitrag.
Das alles ist allgemein bekannt, es wirft aber einige Fragen auf, die leider bisher nie systematisch bearbeitet wurden. Wie sind werbende Selbstdarstellung und Aufklärung zu vereinbaren? Wieviel Offenheit ist möglich, wenn man von Spenden lebt? Kann parteilich sein, wer professionell arbeitet? Wieviel redaktionelle Freiheit haben Journalisten bei Verbandsorganen? Lässt sich der hohe Anspruch durchhalten, wenn die Redaktionen knapp besetzt sind und nur bescheidene Honorare gezahlt werden können? Ist es nicht problematisch, wenn ein Teil dieser Blätter kostenlos zu haben ist, während andere Geld kosten?
Was bisher dazu veröffentlicht wurde - eine Bibliografie (vgl. "Bahnbrechende Einsichten" in "der überblick" 1/96) und eine Doktorarbeit (vgl. "Weitere bahnbrechende Einsichten oder: Unfug als Methode" in "der überblick" 1/97) -, hatte zwar einen hohen akademischen Anspruch, war aber entweder banal oder methodisch unzureichend und auf eine quantitative Auswertung der angesprochenen Themen beschränkt.
Einen bescheideneren Zugang haben nun Dr. Daniel Salamanca und Professor Jörg Becker mit ihrer "Marktanalyse" entwicklungspolitischer Fachzeitschriften gewählt*. Sie haben Fragebogen an 20 Redaktionen verschickt und die so eingeholten Selbstauskünfte von 15 Blättern dann mit Zeitschriftenexperten diskutiert. Wer sich vom Ergebnis dieser Anstrengung eine gewisse Übersicht und ein Stück Transparenz erwartet hat, sieht sich jedoch nicht nur getäuscht, sondern in die Irre geführt.
Fragen ergeben sich bereits zur Anlage der Studie. Becker und Salamanca erklären im Vorwort, es handele sich um ein Non-Profit-Projekt. Was aber ist das? Wird gerade so viel Aufwand betrieben, wie Geld zur Verfügung steht? Und was bedeutet eine solche Einschränkung im Hinblick auf Anlage, Durchführung und Aussagekraft einer Untersuchung? Reicht dann eine relativierende Einschränkung, dass es "nicht möglich (sei), tiefgreifende und wissenschaftlich voll abgesicherte Ergebnisse zu erzielen"? Und wenn schon von einem Etat die Rede ist, dann hätte man auch gerne erfahren, wer diese Studie finanziert hat und/oder wem man mit diesem sparsamen Budget einen Gefallen getan hat.
Auch die methodischen Überlegungen der beiden Autoren stiften Verwirrung. Sie wollen Fachzeitschriften untersuchen, nehmen dann aber munter auch Blätter in die Stichprobe auf, die sie selbst als Sympathiemagazine bezeichnen und die eindeutig nicht der Definition einer Fachzeitschrift entsprechen. Andere Fragen werden gar nicht erst gestellt. Kann man zum Beispiel von einer "Marktanalyse" sprechen, wenn aus einem - relativ unübersichtlichen - Spektrum ohne Begründung 20 Titel ausgewählt werden? Und was meint eigentlich "Marktanalyse", wenn gerade mal 15 Blätter Selbstauskunft geben? Wird da nicht eher nur ein beschränktes Angebot vergleichend präsentiert?
Was bis dahin eher einfältig anmutet, wird schließlich abenteuerlich. Aus der richtigen Erkenntnis, dass die Antworten der verantwortlichen Redakteure einer kritischen Bewertung bedürfen, lassen die Autoren die Fragebogenergebnisse von sechs Zeitschriftenexperten bewerten und kommentieren, "Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedenen entwicklungspolitischen Periodika, die den Autoren seit langem persönlich bekannt sind". Ihnen wurde "selbstverständlich" Anonymität zugesichert. Was bei gefährlichen Recherchen sinnvoll ist, ist in der Wissenschaft ungewöhnlich und in diesem offenen Terrain einigermaßen grotesk.
"Wer von dieser Marktanalyse entwicklungspolitischer Zeitschriften Transparenz erwartet hat, sieht sich nicht nur getäuscht, sondern in die Irre geführt." |
Oder doch nicht? Liest man nämlich weiter, muss man feststellen, dass diese anonymen Analytiker die Richtung bestimmen. Mit ihrer Hilfe werden die Selbstwahrnehmungen der Befragten "z.T. erheblich" korrigiert, denn "das Wissen vieler Zeitschriftenmacher über sich selbst" sei "nicht sonderlich hoch". In einer Szene, die natürlich nicht ganz frei von Eitelkeiten und Animositäten ist, urteilen da Konkurrenten über Kollegen. Das ergibt ein interessantes Ratespiel - wer sich auskennt in dieser Branche, dem fallen schnell auch Namen ein -, der Transparenz aber dient ein solcher Verdunkelungsversuch nicht.
Dass das ganze Methode hat, nämlich der "Markt" überwiegend aus der Sicht eines Periodikums beschrieben wird, merkt man an verschiedensten Stellen. Etwa, wenn bei den Gründungsmotiven der Herausgeber und Verleger auch "Gewinnerzielung" genannt wird. Das überrascht, müssen doch alle Publikationen subventioniert werden. Gegen wen sich diese Unterstellung richtet, wird bald deutlich, es ist die - von den Autoren so titulierte - "Holger Baum-Gruppe". Damit ist die von dem Journalisten Holger Baum gegründete und geleitete Fachagentur "MediaCompany" gemeint, die auch Aufträge von entwicklungspolitischen Einrichtungen bekommt. Ein ganz normaler Vorgang - ein engagierter Mensch gründet sein eigenes Unternehmen und verhilft damit Interessenten gegen Bezahlung zu professioneller Darstellung - wird in der Studie zum bedenklichen Fall hochstilisiert: "Dass ökonomische Konzentration publizistische Vielfalt gefährden kann, ist in der Kommunikationsforschung vielfach belegt worden, doch soll es darum hier nicht gehen. Bedenklich ist bei der Holger Baum-Gruppe vielmehr die Tatsache, dass bei deren drei entwicklungspolitischen Periodika sowohl die betriebswirtschaftliche als auch die inhaltliche Kompetenz in der Hand einundderselben Person liegt." Da wird nun wirklich mit Kanonen auf Spatzen geschossen.
Die Studie hat jedoch nicht nur ein Feind-, sondern auch ein Freundbild, eine der untersuchten Zeitschriften. Dieses Blatt wird in den entscheidenden Punkten positiv hervorgehoben. Das lässt sich leicht bewerkstelligen, wenn man dessen Selbstverständnis zum Maßstab nimmt, seine Auskünfte als bemerkenswert hervorhebt, die der Mitbewerber unterschlägt bzw. abqualifiziert oder Aussagen über Tatbestände formuliert, die gar nicht abgefragt wurden.
Nehmen wir als Beispiel die "journalistische Unabhängigkeit" - bei Vereins- und Verbandsorganen in der Tat ein schwieriger Balanceakt. Becker und Salamanca haben dazu folgendes zu sagen: "Angesichts massiver und zahlreicher finanzieller Subventionen entwicklungspolitischer Zeitschriften durch staatliche und/oder staatsnahe Institutionen scheint journalistische Unabhängigkeit in vielen Redaktionen nicht gegeben zu sein." Und weiter: "Generell lässt sich festhalten, dass es ... nur eine einzige Zeitschrift gibt, die ihr Selbstverständnis als ein journalistisches definiert. Das ist ein markantes Ergebnis ... Aufgrund unserer vertiefenden Experteninterviews neigen wir zu der Auffassung, dass die meisten Zeitschriften potenzielle Konflikte um journalistische Unabhängigkeit verdrängen." Auch diese weit reichende Unterstellung stützt sich nur auf eine kurze und zudem vage formulierte Frage.
Immerhin ist die nächste These als Vermutung formuliert: "Gewerkschaftliche Orientierung von Journalisten scheint unbekannt"? Ist sie notwendig, um eine gute entwicklungspolitische Zeitschrift zu machen? War nicht im Absatz zuvor von der journalistischen Unabhängigkeit die Rede? Nein, es gibt kaum einen Absatz in dieser Studie, in dem nicht entweder begriffliche Unklarheit herrscht oder zweifelhafte Aussagen formuliert werden. Wo man den Zeitschriftenmachern nicht am Zeug flicken kann, etwa bei der Aussage, dass Ihre Themen "einvernehmlich" und "in Abstimmung mit Experten" ausgewählt werden, werden die entsprechen Aussagen unter Generalverdacht gestellt. Das geht so: ..."wird häufig genannt, sollte aber ideologiekritisch genauso häufig unter Harmonisierungsverdacht gestellt werden."
Großzügig ist auch der Umgang mit den erhobenen Daten. Auf die Frage nach seinen Informationsquellen hat "der überblick" in die dafür vorgesehenen knapp zwei Zeilen "viele!" geschrieben. In der Studie heißt es dann: "Die Informationsquellen der befragten Printmedien sind nicht sehr zahlreich". Über Inhalt und Autoren ist folgendes zu lesen: "Die Sichtung der Inhalte hat den Eindruck hinterlassen, dass ein Mangel an Hintergrundwissen sowie historische und kulturelle Kontextlosigkeit die Berichterstattungen prägen." Kann man das ohne Inhaltsanalyse feststellen?
Die Verwirrung ist so groß, dass "der überblick" mal als Gratis- und mal als Verkaufsblatt eingestuft wird. Das ist - unfreiwillig - sogar richtig. Es gibt zahlende Abonnenten und Zielgruppen (Journalisten und Politiker zum Beispiel), die unser Blatt aus guten Gründen ohne Bezahlung zugesandt bekommen. Das ist so wenig ein Geheimnis wie die lange Liste unserer Informationsquellen. Und auch zur journalistischen Unabhängigkeit sei hier unsere Originalauskunft veröffentlicht: "Die Herausgeber beraten die Redaktion. Ernste Konflikte sind bisher nicht aufgetreten." Die Wahrheit ist viel schlichter, als Becker und Salamanca sich und anderen weismachen wollen. Die Herausgeber sehen das Blatt erst, wenn auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, es in den Händen halten. "Heftkritik", wie im Journalismus allgemein üblich, gibt es immer erst im Nachhinein. Wer bestimmt, was im Heft steht, hat der Fragebogen nicht wissen wollen, dennoch kommt die Untersuchung zu einem eindeutigen Ergebnis: "Nur bei einer Publikation entscheidet allein der verantwortliche Redakteur als Leiter der Redaktion über die zu veröffentlichenden Inhalte."
Das Blatt, das Becker und Salamanca fast ständig wohlwollend herausheben, ist unsere renommierte Schwesterzeitschrift epd Entwicklungspolitik, die ihrerseits die Studie der beiden Herren sehr positiv besprochen hat (Ausgabe 8/9/2001). Wie "der überblick" wird sie von ihren Abonnentinnen und Abonnenten und aus Mitteln des kirchlichen Entwicklungsdienstes finanziert. Weil beide Zeitschriften notwendig sind und auch in unserer Branche Konkurrenz das Geschäft belebt, handelt klug, wer sich Unterstützung und Verbündete sucht. Nur sollte sich nicht Wissenschaft nennen, was auf Gefälligkeit angelegt ist.
aus "der überblick" Nr 1/2002