Familiengeschäfte mit Rosalinda
Selbst im Dschungel und im entlegensten Andendorf recken sich die TV-Antennen in den Himmel. Und was den Lateinamerikanern im Fernsehprogramm gefällt, findet auch in Europa, den USA und in Asien begeisterte Zuschauer: Mit massenweise produzierten Seifenopern sind die Medienkonzerne des Subkontinents in die Liga der Global Player aufgestiegen. Die Exportumsätze der wenigen großen Veranstalter dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die lukrativsten Geschäfte immer noch im Inland gemacht werden. Dort begünstigt ein gefälliges Geben und Nehmen zwischen Medien, Wirtschaft und Politik die Geschäfte.
von Paul Linnarz
Rosalinda ist eine hübsche, ehrliche, fleißige Blumenverkäuferin. Ihre Mutter ist tot. Deshalb muss Rosalinda nebenbei zu Hause aushelfen. Der Vater weiß nicht genau, ob er Rosalinda selbst gezeugt hat und straft sie mit Abneigung. Der Bruder Beto ist ein Dieb und ein Lügner. Bei all dem Ärger findet Rosalinda aber noch Zeit, sich in Fernando zu verlieben. Der will ihr aber nicht verraten, dass auf seinem Konto Millionen liegen. Etwa bis zur sechzigsten Folge der melodramatischen Seifenoper wissen nur Fernando und die Fernsehzuschauer von dem vielen Geld. In den letzten gut dreißig Episoden der Staffel keimt bei Rosalinda mit der Liebe zu Fernando aber die Hoffnung, vielleicht nicht ewig im Blumenladen stehen zu müssen. Das mit dem üblen Bruder Beto und dem Vater löst sich bis zum Happy End dann auch irgendwie.
Die lateinamerikanische Version von Aschenputtel beglückt nicht nur die mexikanischen Fernsehzuschauer. Für das Medienunternehmen Televisa in Mexiko Stadt war "Rosalinda" mit Mexikos Shooting-Star Thalia in der Hauptrolle ein voller Erfolg. Knapp vier Jahre nach Ende der Produktion reicht die Vermarktungskette auf dem Subkontinent bis nach Argentinien. Dort will Canal 9 das TV-Märchen ausstrahlen.
Rosalinda aber bleibt nicht die einzige mexikanische Serienheldin am argentinischen Rio de la Plata. Mit "Spiel des Lebens" für den argentinischen Fernsehkanal Telefé, "Echte Liebe" (für Canal 13) und "Freundinnen und Rivalen" (ebenfalls Canal 9) konnte Televisa im krisengeschüttelten Argentinien zeitgleich noch drei weitere Eigenproduktionen absetzen.
Anrührende Telenovelas wie die Seifenopern genannt werden nach immer gleichem Schema sind das Markenzeichen der lateinamerikanischen TV-Industrie. Nach Produktionsvolumen und Exportumsätzen ist Televisa weltweit mit Abstand der größte Anbieter.
Die gut 12.000 Mitarbeiter erwirtschafteten im vergangenen Jahr Einnahmen von etwas über zwei Milliarden US-Dollar. Der Gewinn nach Steuern lag bei 71 Millionen US-Dollar. Damit zählt der mexikanische Konzern zu den 100 größten Medienunternehmen der Erde. Zwischen 2000 und 2002 stieg das jährliche Produktionsvolumen um gut 9 Prozent auf insgesamt 52.000 Programmstunden.
Nicht nur die lateinamerikanischen Fans schmachten mit Rosalinda & Co. In Malaysia (TV 3) soll die Geschichte vom Liebesleid der Blumenverkäuferin bei der nachmittäglichen Ausstrahlung 89 Prozent der Zuschauer an die Mattscheibe gebannt haben, frohlockt Televisa. In Slowenien und Russland fegten das Schicksal der "Esmeralda" und tagtäglich ausgestrahlte TV-Episoden zum Thema "Auch die Reichen weinen" die Straßen leer. Die Telenovela-Stars Laetitia Calderon und Verónica Castro sind bekannt wie Spitzenpolitiker.
Unter den bis zu 130 Exportländern, darunter die Volksrepublik China und Indien, ist Russland noch immer ein Hauptkunde. Konsequenterweise huldigen einige Internetseiten des Televisa-Konzerns den hauseigenen Heldinnen auch in russischer Sprache. Deutschland hatte sich in den neunziger Jahren an die lateinamerikanischen Telenovelas herangewagt, das Vorhaben mangels Reichweiten aber wieder aufgegeben. In diesem Jahr startete RTL II mit "Salomé" einen neuen Anlauf. Die am frühen Vormittag ausgestrahlten Folgen führen die Zuschauer in das bewegte Leben einer Nachtclubtänzerin ein. Hauptdarstellerin Edith Gonzáles genießt in Osteuropa bereits Kultstatus.
Der beeindruckende Erfolg der Telenovelas in vielen Teilen der Erde resultiert aus den Lebensbedingungen und Wertvorstellungen in den betreffenden Ländern, den schnellen Veränderungen der Medienlandschaften seit Beginn des vergangenen Jahrzehntes und deutlich effizienteren Produktionsmethoden auf der Anbieterseite. Entscheidend ist, dass sich die (in der Mehrzahl weiblichen) Zuschauer mit den Darstellern, ihren Eigenschaften sowie ihrer Rolle im Beziehungsgeflecht identifizieren können. Gleichzeitig wollen die Fans in ihnen eigene Wunschvorstellungen wiederfinden.
Die Hauptrollen werden nahezu immer mit weiblichen Figuren besetzt. Die Heldin ist attraktiv, selbstlos und unschuldig. Sie geht fleißig einem eher "frauentypischen" Beruf nach, was an ihrer Armut nichts ändert. Gerät sie im Serienverlauf mit einer anderen Frau, zum Beispiel der eigenen Mutter ("Schneewittchen"-Motiv), in Konflikt, so muss diese vor allem intrigant sein. Der "Märchenprinz" gehört zur gebildeten Oberschicht und hat Macho-Allüren, ist aber eine verantwortungsvolle Seele und in jedem Fall wohlhabend. Er "rettet" die Heldin aus ihrer Misere, in der Regel durch Heirat. Danach erübrigt sich für die Hauptfigur natürlich jede Berufstätigkeit und sie kann sich ganz der ihr eigentlich zugedachten Aufgabe, dem privaten Glück, widmen. Ohne Liebesbeziehung und spätere Heirat kein sozialer Aufstieg.
Die kurze Skizze verdeutlicht, warum die lateinamerikanischen TV-Märchen in Deutschland, Holland, Frankreich oder Schweden weniger Fans finden als in den eher traditionellen oder konservativeren Gesellschaften Osteuropas. Erst mit Einführung des Privatfernsehens aber konnte sich die Telenovela dort ihre Bahnen brechen. Die allmächtigen Staatssender aus Sowjetzeiten hatten nichts übrig für die Irrungen und Wirrungen der telegenen Dienstmädchen und geknechteten Kosmetikerinnen. Außerdem durfte es keine Serien-Märchenprinzen geben. In den neunziger Jahren dann schossen die kommerziellen TV-Anbieter wie Pilze aus dem Boden. Für die zahllosen Privaten war und ist die Telenovela vor allem eines: preiswertes, werbeattraktives Sendematerial.
Die wenigen, sehr schnell marktbeherrschenden lateinamerikanischen Produzenten neben Televisa das brasilianische TV Globo, der mexikanische Konkurrent TV Azteca, die venezolanische Cisneros-Gruppe, Caracol aus Kolumbien und Telefé aus Argentinien haben sich rasch auf die Neukunden eingestellt. Entstanden ist ein hoch spezialisierter Industriezweig mit höchsten Ansprüchen an Effizienz und Effektivität.
Die Daily Soaps (Serien, die täglich ausgestrahlt werden) des Subkontinents haben eine viel kürzere Laufzeit als ihre US-amerikanischen Geschwister; nach maximal 180 Kapiteln ist normalerweise Schluss. Mehr als 50 Darsteller sind eher unüblich. Spätestens sechs Monate nach Produktionsbeginn fällt die letzte Klappe. Bereits vor Abschluss der Dreharbeiten geht die erste Episode auf Sendung. Der Rest der Staffel, bis zur Hälfte der gesamten Serie, wird parallel zur Ausstrahlung fertig gestellt. Auf diese Weise lassen sich bei unterdurchschnittlicher Zuschauerakzeptanz noch ein paar Schicksalsschläge ins Drehbuch einbauen.
Längst nicht alle Geschichten werden neu erfunden; viele sind Neuauflagen von bereits abgelaufenen Telenovelas. Dem Erfolg tut das keinen Abbruch. Hauptsache, die Episoden spielen ab und zu an malerischen Karibikstränden oder auf imposanten Haciendas. Reine Studioproduktionen oder billige Kulissenschieberei strafen zumindest die lateinamerikanischen Zuschauer mit Desinteresse.
Inklusive Außendrehs kostet eine in Mexiko produzierte Staffel bis zu fünf Millionen US-Dollar. Die Werbeeinnahmen im Land selbst dürften die Produktionskosten im Regelfall um den mehrfachen Betrag übersteigen. Genaue Zahlen sind nicht bekannt. Sicher ist aber, dass die Erträge aus dem internationalen Programmvertrieb keineswegs zur Refinanzierung der Herstellungskosten aufgewendet werden müssen. Die sind mit den Inlandserträgen mehr als abgedeckt. So leuchtet ein, dass beispielsweise einem russischen Käufer nur etwa 1000 bis 1800 US-Dollar pro Folge in Rechnung gestellt werden müssen. Bei diesen Preisen konnten sich die Kunden gewissermaßen "von der Stange" eindecken. Das brasilianische TV Globo brachte während der vergangenen zehn Jahre in Osteuropa mehr als 200 Serien unter. Comarex, europäischer Vermarkter für die Serien von TV Azteca, konnte in den ersten sechs Monaten dieses Jahres nach eigenen Angaben bereits mehr einnehmen als im gesamten Geschäftsjahr 2002. Die Gesamtumsätze für den weltweiten Export von Telenovelas werden auf jährlich 200 Millionen US-Dollar geschätzt. Etwa die Hälfte davon entfällt allein auf Televisa.
Dennoch mehren sich die Anzeichen für eine leichte Abkühlung des Marktes. In einigen Ländern wurden die lateinamerikanischen TV-Märchen zugunsten von Eigenproduktionen gestrichen. Talk- und Spieleshows machen das Rennen. Auch sie sind vergleichsweise preiswert und schärfen das Senderprofil stärker als die Fremdeinkäufe. Im zweiten Quartalsbericht des laufenden Geschäftsjahres vermeldet Televisa für den Export nach Asien und Europa rückläufige Zahlen. Den Konkurrenten dürfte es in absehbarer Zeit ebenso ergehen.
Für Katerstimmung aber ist es noch zu früh. Seit ein paar Jahren richtet sich die Konzentration überdies verstärkt auf den Nachbarn im Norden. Einige Jahrzehnte lang waren die USA mit ihren Hollywood- Produktionen nur als Lieferanten interessant. Inzwischen aber sind sie auch potente Abnehmer. Hauptzielgruppe ist dabei die spanischsprachige Minderheit in den Vereinigten Staaten. Die wuchs zwischen 1990 und 2003 von 21,9 auf 35,3 Millionen Menschen an.
In dreißig Jahren wird jeder vierte US-Bürger ein "Hispano" sein. Die US-amerikanische, auf einen multikulturellen Kundenstamm zielende Marketingagentur Santiago Solutions Group schätzt deren Kaufkraft auf derzeit 650 Milliarden US-Dollar. Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Hispanic Monitor für das Jahr 2002 sprechen 96 Prozent im häuslichen Umfeld Spanisch, immerhin 86 Prozent auch bei der Arbeit. Von täglich vier Stunden Fernsehkonsum entfallen durchschnittlich 2,5 auf spanischsprachige TV-Programme. In den fünf Jahren bis 2002 wuchsen die Werbeaufkommen in diesem Segment pro Jahr durchschnittlich um 17 Prozent auf zuletzt drei Milliarden US-Dollar. Spanischsprachigen TV-Sendern in den USA werden bis 2007 jährliche Ertragssteigerungen von 15 Prozent vorausgesagt.
Diese Chance wollen sich die lateinamerikanischen Medienkonzerne, allen voran natürlich die mexikanischen, nicht entgehen lassen. TV Azteca bearbeitet den Nachbarmarkt gemeinsam mit der dort ansässigen Pappas Telecasting. Mit seinem Programmbouquet erreicht der US-Partner nach eigenen Angaben 35 Prozent aller US-Hispanos. Televisa hat seine Beteiligung an Univisión, dem größten spanischsprachigen Mediennetzwerk in den USA, von sechs auf 15 Prozent erhöht. Weitere knapp 20 Prozent der Anteile hält die venezolanische Cisneros-Gruppe über den eigenen Kanal Venevisión. Gemeinsam mit Clear Channel Entertainment will Televisa in den USA verstärkt auch Show-Events, Fußballspiele und Konzerte live übertragen. Telemundo, nach Univisión das zweitgrößte spanischsprachige Netzwerk in den USA, kündigte erst vor Wochen ein neues TV-Format an. Die mehrteilige Produktion wird von der Ford Motor Company finanziert und soll den Unternehmergeist der rasch wachsenden spanischsprachigen Minderheit ansprechen. Vielsagender Titel: "Der Weg des Triumphes".
Mit maßgeschneiderten Programmen wollen die lateinamerikanischen Medienkonzerne ihre US-Zielgruppe auf diesem Weg begleiten. Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Exportgeschäfts mit Telenovelas und Latino-Pop sollte jedoch nicht überbewertet werden. Selbst die ganz Großen machen ihr Geld vor allem im Inland. So begründet Televisa die für das zweite Quartal 2003 ausgewiesene gut achtprozentige Umsatzsteigerung in der Sparte TV-Ausstrahlung mit dem Erfolg der zweiten Staffel des Importformates Big Brother und den positiven Vermarktungsergebnissen des angeschlossenen Kanals 4TV).
Von der Inlandsnachfrage nach Werbeplätzen profitiert Televisa weitaus stärker als die rund 200 mexikanischen Konkurrenzsender. Denn Televisa ist absoluter Marktführer und kann praktisch alle Inhalte mehrfach verwerten. Mit vier eigenen TV-Sendern, seiner Mehrheit am Kabelbetreiber Cablevisión, als Hauptgesellschafter des Pay-TV-Anbieters Innova (Sky), 60 Produktionsfirmen, 17 Radioprogrammen und 50 Printtiteln kontrolliert Televisa 85 Prozent des mexikanischen Medienmarktes. Nach Angaben der brasilianischen Bewertungsagentur IBOPE (Instituto Brasileiro de Opiniao Pública Estatística) wählen rund 70 Prozent aller Mexikaner während der Hauptsendezeit einen der Televisa-Kanäle. 85 der 100 beliebtesten TV-Sendungen stammen aus dessen Produktion.
In Argentinien konzentriert sich das Angebot auf zwei marktbeherrschende Akteure: Telefé wird vom spanischen Telekommunikationsriesen Telefónica kontrolliert. Ihm gehören mehrheitlich auch Radio Continental, FM Hit und einige weitere Rundfunksender im Landesinneren. Darüber hinaus ist Telefónica an Azul TV beteiligt.
Argentiniens größter Multimedia-Konzern ist die Gruppe Clarín mit der gleichnamigen Tageszeitung, Beteiligungen an verschiedenen Regionalzeitungen, den Kabelkanälen Volver und TN, Radio Mitre, Cadena 100 und Cadena Top 40. Der reichweitenstärkste terrestrische Canal 13 gehört ebenfalls zur Clarín-Gruppe.
In Brasilien generiert allein das Medienimperium Globo 75 Prozent aller Werbeumsätze. Unter dem Dach dreier Holdings kontrolliert der Konzern 113 TV-Sender, den führenden Kabelbetreiber Cabo Globo, den Satelliten-TV-Anbieter Globosat, die Produktionsfirma Globo Filmes, 15 eigene Radiostationen, die auflagenstärkste Tageszeitung O Globo, Zeitschriftenhäuser mit Millionenauflagen, den Buchverlag Editora Globo, Internet-Provider und den Vergnügungspark Globoworld in Rio de Janeiro. Mit ihrer flächendeckenden Dominanz und einer schier unerschöpflichen Fülle an Werbeplätzen vom einfachen TV-Spot bis hin zu großformatigen Wandplakaten sind die Konzerne in der Lage, Einbrüche bei den Werbepreisen teilweise abzufedern. In Medienmärkten mit kleineren und mittleren Anbietern wirkt sich die Werbeflaute der letzten Jahre hingegen dramatisch aus.
Trotz der vergleichsweise stabilen gesamtwirtschaftlichen Lage und geringer Inflation verzeichneten die Medien in Peru zwischen 1998 und 2000 Preiseinbrüche von knapp 40 Prozent. Mit der nur leichten Erholung im vergangenen Jahr liegt das Werbevolumen immer noch unter dem Niveau von 1992.
Aber auch die Großen müssen sparen. So fuhr die Kabelsparte von Globo bis Ende des vergangenen Jahres fast zwei Milliarden US-Dollar Schulden ein. Bei Televisa mussten im Rahmen eines schmerzhaften Restrukturierungsprozesses während der vergangenen paar Jahre 8000 Mitarbeiter ihren Hut nehmen.
Mischkonzernen wie der kolumbianischen Valores Bavaria (ValBavaria) geht es da schon etwas besser. Die Holding betreibt Finanzierungsgesellschaften, Zeitarbeitsfirmen, Versicherungen, Forstunternehmen und anderes mehr. Gleichzeitig hält sie die Mehrheit an Kolumbiens größter Fluggesellschaft Avianca. Das Schwesterunternehmen Bavaria ist der größte Bierproduzent in Kolumbien und einer der größten in Lateinamerika.
Beide Unternehmen gehören zur Gruppe Santo Domingo. Auf ihr Konto gehen alles in allem schätzungsweise 60 Prozent der kolumbianischen Werbeetats. Was lag da näher, als sich um die breit gefächerte Produktpalette herum eigene Medienplattformen einzurichten. So verleibte sich Santo Domingo nach und nach den kolumbianischen Marktführer Caracol TV und Radio, die Tageszeitung El Espectador (vergl. den Beitrag von Knut Henkel auf S. 43), die Zeitschriften Cromos, Shock und andere ein. Mit 15 Prozent ist auch die venezolanische Cisneros-Gruppe an Caracol beteiligt. Die enge Verflechtung zwischen werbetreibender Industrie und Medien garantiert Caracol Werbeumsätze und den Santo-Domingo-Firmen das passende, auf ihre Kundschaft zugeschnittene Programmumfeld.
Nach dem gleichen Schema hat sich die Gruppe Santo Domingo mit ihrem Caracol-Kanal unlängst am peruanischen América TV beteiligt. Zwar hält das Mediennetzwerk über ein kolumbianisch-peruanisches Gemeinschaftsunternehmen nur ein Drittel der Anteile. Unter dem Strich aber hat die Gruppe Santo Domingo auch in Lima das Sagen. Denn einer der zahlungskräftigsten Werbekunden ist der peruanische Bierproduzent Backus, mit über 500 Millionen US-Dollar Umsatz in 2001 ebenfalls einer der großen lateinamerikanischen Anbieter. Und Backus wird mehrheitlich von der kolumbianischen Bavaria kontrolliert. Der Hinweis, dass auch Cisneros 22 Prozent der Anteile an Backus hält, wird kaum mehr überraschen.
Das Beispiel América TV steht für einen neuen Trend in Lateinamerika: Wo sich Werbeplätze aufgrund der schlechten gesamtwirtschaftlichen Lage nicht mehr frei vermarkten lassen, steuern Beteiligungsverhältnisse die Nachfrage. Mit den Werbemillionen von Backus im Rücken dürfte es Caracol und Cisneros nicht allzu schwer fallen, die hauseigenen Telenovelas (gegen die mexikanische Konkurrenz) auch in Peru noch stärker zu platzieren. Nach dem Deal titelte eine Presseagentur: "Kolumbiens Bavaria übernimmt peruanische TV-Station".
Bei solcherlei Konzentrationsbestrebungen muss die Politik mitspielen. Sie entscheidet über Sendelizenzen und internationale Beteiligungen im eigenen Land. Gleichzeitig sind Regierungen und Parteien als wichtige Kunden gefragt. Denn politische Public Relation (PR) wird traditionell nicht anders gehandhabt als die kommerzielle Werbung der Industrie: Werbeplätze gibt es von wenigen Sonderregelungen abgesehen auf legalem Wege nur gegen Bezahlung.
Im Wahljahr 2000 flossen zwischen Januar und November nach Angaben der nichtstaatlichen Organisation (NGO) Transparencia über 36 Millionen US-Dollar an staatlichen Werbegeldern in die Kassen der peruanischen Medienhäuser. Fast 79 Prozent der Summe kamen allein dem Fernsehen zugute. Der Anteil der politischen Spots und Anzeigen am Gesamtwerbevolumen der fünf größten Unternehmensmarken des Landes lag bei immerhin 31 Prozent.
Bei der Bürgermeisterwahl in Buenos Aires im Mai 2000 erklärten alle Parteien, den offiziell erlaubten Maximalbetrag von etwas über zwei Millionen US-Dollar für Werbeaufwendungen unterschritten zu haben. Die NGO Poder Ciudadano weist demgegenüber nach, dass die Aufwendungen der damals siegreichen Partei rein rechnerisch das Dreifache betrugen. Die Kampagne zu den Wahlen in Mexiko am 6. Juli dieses Jahres bescherte auch Televisa saftige Mehreinnahmen. Genaue Summen nennt das Unternehmen nicht.
Um gegenüber der Konkurrenz im eigenen Lande in den Genuss von politischer Werbung, Sendelizenzen und Beteiligungen zu kommen, müssen sich die lateinamerikanischen Medienunternehmen "beweglich" zeigen. Der Preis für politisches Wohlwollen ist die journalistische Unabhängigkeit. Sender, die sich, wie das peruanische Nachrichtenprogramm Canal N um Objektivität und kritischen Journalismus bemühen, kämpfen gegen Windmühlen.
Das gefällige Geben und Nehmen im medienrechtlichen Niemandsland Lateinamerika stört weder Kleinaktionäre noch Aufsichtsgremien. Die privaten Veranstalter des Subkontinents, seien sie börsennotiert oder als "anonyme geschlossene Gesellschaft" im Handelsregister registriert, befinden sich überwiegend im Besitz einiger weniger einflussreicher Familien. Firmenpolitik ist Familiensache.
Vom Gründer der Cisneros-Gruppe wird erzählt, dass er von den Ex-Präsidenten in Venezuela nur mit "Don Diego" angesprochen werden wollte. Laut dem US-Business-Magazin Forbes ist sein Sohn und Unternehmenserbe Gustavo Cisneros mit vier Milliarden US-Dollar Privatvermögen der drittreichste Lateinamerikaner. Der jüngst verstorbene, schon zu Lebzeiten beinahe legendäre TV-Globo-Gründer Roberto Marinho gilt als einer der publizistischen Wegbereiter des Militärputsches in Brasilien 1964. In den achtziger Jahren wurde er als die eigentliche Nummer eins im Lande gehandelt. Bereits einige Zeit vor seinem Tod hatte Marinho die Geschäfte an seine drei Söhne übertragen. Für Kolumbien gilt als gesichert, dass die Präsidentschaftskampagne von Ernesto Samper 1994 wenigstens zum Teil von Medienmogul Julio Mario Santo Domingo bezahlt wurde. Die Familie Azcárraga regiert den mexikanischen Televisa-Konzern seit den Anfängen im Jahr 1923 ununterbrochen.
Der unternehmerische Einfluss der Medienchefs ist mit der Politik ihrer Heimatländer untrennbar verbunden. Ohne enge Beziehungen zu den politisch Mächtigen hätte es einen Aufstieg der Konzerne in die Liga der Global Player nie gegeben. Im Grunde genommen ganz so wie bei Rosalinda.
aus: der überblick 04/2003, Seite 6
AUTOR(EN):
Paul Linnarz:
Paul Linnarz leitet seit Mitte 2002 das Programm "Medien und Demokratie" der Konrad-Adenauer-Stiftung in deren Auslandsbüro in Lima, Peru.