Uganda: Wer A sagt, muss auch C sagen
von Renate Wilke-Launer
Wenn hierzulande der Zustand vieler afrikanischer Länderbeklagt wird, dann taucht unweigerlich ein Hinweis auf Botsuana auf: die Ausnahme von der traurigen Regel. Doch meist erschöpft sich das Argument dann im Verweis auf die beachtlichen Wachstumsraten und regelmäßige, freie Wahlen. Bei näherer Betrachtung freilich glänzt keineswegs alles so diamanten, wie man bei Ian Taylor und Kenneth Good, zwei im Lande lehrenden Wissenschaftlern, nachlesen kann. Der Australier Good wurde wegen seiner Kritik im Februar zum unerwünschten Immigranten erklärt und Ende Mai des Landes verwiesen. Und wer nicht nur auf Wirtschaft und Wahlen blickt, wird sich fragen müssen, warum ausgerechnet Botsuana einen Spitzenplatz bei HIV-Infektionen bzw. Aids-Erkrankungen einnimmt.
Geht es um HIV/AIDS, wird anerkennend auf ein anderes afrikanisches Land verwiesen: Uganda. Nimmt man die Kriterien für die Gewährung von Schuldenerlass und Entwicklungshilfe als Maßstab, dann wird es offenbar einigermaßen ordentlich regiert. Es bekommt sogar Budgethilfe, kann also mit dem fremden Geld selbst Prioritäten setzen. Dass ugandische Truppen in Kongos Krieg(en) mitmischen und daraus Gewinn ziehen, dass viel öffentliches Geld in private Taschen fließt, wird zwar gelegentlich kritisch angemerkt, hat aber kaum empfindliche Konsequenzen. Schließlich hat Uganda eine vorbildliche Aids-Politik.
Als Beleg wird angeführt, dass die Prävalenz von Aids-Erkrankungen von 15 Prozent zu Beginn der neunziger Jahre bis 2002 auf etwa 6 Prozent zurückgegangen ist und seitdem stagniert. Auch wenn diese Zahlen nicht unumstritten sind, unbestritten ist ein eindrucksvoller Rückgang. Dafür gibt es eine Reihe von Erklärungen. Der Präsident hat den Kampf gegen HIV/AIDS zur Chefsache gemacht und sein Kabinett in die Pflicht genommen. Die Bemühungen der Regierung werden ergänzt durch eine Reihe sehr aktiver nichtstaatlicher Organisationen. Schätzungen sprechen von mehr als 1000 Aids-NGOs, stellvertretend sei hier nur die größte, TASO, genannt. Und es wird, in Afrika ungewöhnlich, teilweise freimütig über Sexualität gesprochen. Das Aufklärungsradio Straight Talk ist über die Landesgrenzen hinaus berühmt geworden.
Was hat dazu geführt, dass in Uganda energischer gehandelt wird als anderswo? Die ersten Aids-Fälle wurden 1982 bekannt, aber kaum beachtet. Das Land hatte viele Jahre unter den Präsidenten Amin und Obote gelitten, befand sich immer noch im Bürgerkrieg. 1986 zog Yoweri Museveni mit seinen Truppen in Kampala ein. Der Stratege hat früh erkannt, das AIDS nicht nur ein Gesundheits-, sondern auch ein Sicherheitsproblem ist. Dazu hat Fidel Castro beigetragen, der 1987 nach Kuba entsandte ugandische Offiziere auf HIV untersuchen ließ und Museveni persönlich auf den alarmierenden Befund aufmerksam machte. 1991, so wird berichtet, haben US-Wissenschaftler ihm vor Augen geführt, dass 60 Prozent seiner Soldaten HIV-positiv sein könnten. Bevölkerungsprojektionen zeigten, dass wichtige Gruppen Armee, Polizei und Lehrer durch die Pandemie dezimiert werden würden. Das hat den Präsidenten zwar nicht bewogen, den (hohen) Militäretat zugunsten des (niedrigen) Gesundheitsbudgets zusammenzustreichen, aber doch dazu gebracht, seinen religiösen Konservatismus hintanzustellen und öffentlich für den Gebrauch von Kondomen zu werben. Der Widerstand einiger Kirchen und Religionsführer hat ihn davon nicht wieder abbringen können.
So hat Uganda durch umfassende Aufklärung beachtliche Änderungen im Sexualverhalten erzielen können: Jugendliche haben nun später ihren ersten Geschlechtsverkehr Mädchen mit 16,7, Jungen mit 18,8 Jahren. Männer, die wie in vielen Teilen Afrikas meinen, ein Anrecht auf viele Sexualkontakte zu haben, sind nicht gerade treu, aber doch etwas zurückhaltender in der Zahl ihrer außerehelichen Beziehungen geworden, ein Teil verwendet dabei die fast überall erhältlichen Kondome. Gefördert hat dies eine vom Gesundheitsministerium initiierte Kampagne unter dem Titel Zero Grazing: kein Herumtreiben auf fremden Weiden.
Doch in letzter Zeit gibt es Warnungen vor einer Wende, zum Beispiel im März dieses Jahres in einer Studie von Human Rights Watch*. Die Hauptpersonen dabei sind der nun seit fast 20 Jahren regierende Präsident, der unbedingt mit einer Verfassungsänderung weiter im Amt bleiben will, und seine Gattin sowie ihr amerikanischer Pate George W. Bush und sein Kongress. Das Präsidentenpaar, aber auch andere hohe Regierungsvertreter, haben vor vier Jahren damit begonnen, ihren Landsleuten »Jungfräulichkeit« und »moralisches Verhalten« nahezulegen und werden dabei von den stark wachsenden Kirchen der »wiedergeborenen« Christen unterstützt. Enthaltsamkeit sei eine Mischung aus afrikanischen und christlichen Werten, so Janet Museveni.
Die First Lady hatte schon 1992 das Uganda Youth Forum gegründet, in dessen Rahmen sich junge Mädchen und Männer verpflichten, bis zur Heirat sexuell »rein« zu bleiben. Im Dezember 2004 forderte sie dann sogar die Einrichtung eines Jungfrauenregisters. Ihr Mann hat 2002 eine ambitiöse Kommunikationsstrategie für Aids-Aufklärung für Jugendliche (PIASCY) gestartet, in der Enthaltsamkeit eine größer werdende Rolle spielt, religiöse Gruppen Einfluss nehmen und wichtige Informationen nicht mehr auftauchen. Immer wieder hat der Präsident 2004 öffentlich gegen die Propagierung von Kondomen Stellung bezogen.
Janet Museveni ist 2003 zu den Beratungen über den 15 Milliarden US-Dollar schweren President's Emergency Plan for Aids Relief (PEPFAR) von Präsident Bush in die USA gereist. In einem Brief an die republikanischen Kongressabgeordneten führte sie die ugandischen Erfolge wesentlich auf Abstinenz zurück. Das hat, so heißt es, mit dazu beigetragen, dass ein Teil der für Prävention bereit gestellten PEPFAR-Gelder für Enthaltsamkeitsprogramme reserviert ist. Mit denen, das ist nicht wirklich überraschend, wird nun auch das Uganda Youth Forum der First Lady unterstützt. Uganda ist ohnehin der größte Empfänger von US-Unterstützung im Rahmen des PEPFAR-Programms. Seit 2004 hat das Land mehr als 200 Millionen US-Dollar erhalten.
George W. Bush, der Uganda im Juli 2003 besucht hat, hat (materiell) mehr für Afrika getan als sein rhetorisch geschickter Vorgänger Clinton. Sogar Jeffrey Sachs, der dieses Jahr im Dienst der Vereinten Nationen das »Ende der Armut« ausgerufen hat und ausgesprochen kritisch über die mangelnde US-Hilfe urteilt, gesteht zu, dass PEPFAR, in dessen Rahmen 200. 000 Afrikaner antiretrovirale Medikamente bekommen, ein heller Fleck auf der ansonsten dunklen US-Bilanz ist. Das ist auch ein Verdienst der vielgeschmähten christlichen Rechten, die in den letzten Jahren begonnen hat, sich, wenn auch selektiv, internationalen Fragen zuzuwenden.
Nur leider sehen Konservative und christliche Rechte immer noch Rot, wenn es um Sexualität geht und verhindern und erschweren sachgerechte Prävention und Behandlung durch groteske Auflagen für ihre Hilfsprogramme. So als könne man auf dem Verordnungsweg eine Welt herstellen, in der keine Kondome benötigt werden, es keine Prostituierten gibt und Drogenabhängige dadurch verschwinden, dass ihnen keine neue Nadeln ausgehändigt werden. Neu sind derartige moralisierenden Auflagen übrigens nicht, schon Präsident Reagan hatte 1984 die Mexico City Policy, auch Global Gag Rule, genannt, eingeführt, nach der staatliche Zuschüssse an Familienplanungs- und Entwicklungsorganisationen verboten sind, die in irgendeiner Form mit Schwangerschaftsabbrüchen zu tun haben. Clinton hatte sie einst kurz nach seinem Amtsantritt aufgehoben, Bush junior sie umgehend erneuert. Eine nette Geste an die Wählerschaft zu Lasten von armen Frauen.
Gegen Enthaltsamkeits- und Treueprogramme ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Zu viele Mädchen in Afrika werden zu früh schwanger, manchmal sogar deswegen von der Schule verwiesen. Und fremd gehende Männer riskieren nicht nur eine Ansteckung mit HIV/AIDS, sie gefährden auch ihre Familien in vielerlei Hinsicht. Gefährlich und verantwortungslos sind solche Ansätze aber dann, wenn dem ABC (Abstain, Be Faithful or Use Condoms) das C fehlt: Information über Kondome und die Möglichkeit, sie (relativ) problemlos zu bekommen.
Opfer solcher Bevormundung sind in erster Linie Mädchen und Frauen. Auch wenn sie selbst enthaltsam und später als Ehefrau treu leben, riskieren sie, von den oft älteren und bis zur Heirat keineswegs abstinenten oder später fremd gehenden Männern angesteckt zu werden. Treue meint explizit oder implizit für viele Männer immer noch in erster Linie Treue der (Ehe-)Frau. Und schließlich hat in Uganda keineswegs jedes Mädchen und jede Frau die Möglichkeit, sich wirklich frei gegen sexuelle Beziehungen zu entscheiden. Wenn aber Enthaltsamkeit und Treue das einzig moralisch akzeptable Verhalten werden, bekommt zusätzlich ein Stigma, wer dennoch erkrankt.
US-amerikanische Abstinenzbefürworter haben sich geradezu gierig auf die ugandischen Erfolge im Kampf gegen HIV/AIDS gestürzt, haben sie doch bei ihrer Erziehung zur Enthaltsamkeit im eigenen Land kaum die erwünschte Wirkung erzielt**. In keinem anderen westlichen Land gibt es so viele Teenager-Schwangerschaften wie in den USA. Dass die Musevenis ihnen versichern, der Rückgang der AIDS-Erkrankungen sei überwiegend auf Enthaltsamkeit und Treue zurückzuführen, ist eine willkommene Waffe in der Schlacht um die angeblich einzig richtige Strategie gegen vor- und außereheliche Sexualität.
Das alles mögen aufgeklärte Weltbürger für hinterwäldlerisch halten, doch es kommt inzwischen ganz modern daher (www.abstinenceafrica.com). Und es könnte für Uganda durchaus gefährlich werden, denn die großzügige PEPFAR-Hilfe rettet zwar derzeit durch Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten Menschenleben, sie kann sie aber auch gefährden, wenn sich in Uganda wegen fehlender Kondome wieder mehr Personen infizieren.
Auch wenn ugandische Regierungsvertreter nach Veröffentlichung des Berichtes von Human Rights Watch darauf beharrten, dass das Land die Strategie keineswegs geändert habe und Museveni der katholischen Kirche nach einem Pressebericht im Juni ins Gewissen geredet hat, ihre prinzipielle Ablehnung von Kondomen aufzugeben, scheinen sich unterstützt durch die schon lange bestehende Allianz mit den USA und deren Geld die Gewichte in Uganda zu verschieben. Das ugandische ABC war eine gelungene Verbindung von Moral und Pragmatismus. Das hat dem Land und seinem Präsidenten viel Wohlwollen eingebracht. Fällt das C dem moralisierenden Opportunismus zum Opfer, wird in Zukunft niemand mehr gute Regierungsführung in Uganda vermuten.
aus: der überblick 02/2005, Seite 4
AUTOR(EN):
Renate Wilke-Launer