Sie putzen, waschen, kochen und erziehen die Kinder ihrer Arbeitgeber. Dabei haben sie zu funktionieren wie Maschinen: Bleiben sie stehen, haut man mit der Faust dagegen. Und wenn das nicht hilft, kauft man sich einfach eine neue. Die Rede ist von mucamas, Hausangestellten in Argentinien, die sich tagein tagaus um das Wohl ihrer Herrschaften bemühen und selbst keine Geschichte, keine Gefühle, keine Gesundheit haben dürfen. Und keine Sorgen.
Schätzungsweise 20 Millionen Mädchen und Frauen verdienen sich ihr Geld als illegal beschäftigte Haushaltshilfen in Lateinamerika, häufig fern von ihrer Heimat in den wohlhabenderen Staaten wie Chile oder Argentinien. Die deutsche Journalistin Eva Karnofsky war über zehn Jahre als Korrespondentin für die "Süddeutsche Zeitung" in Buenos Aires tätig und hat von diesen Verhältnissen mitbekommen. In ihrem Roman "Besenkammer mit Bett. Das Schicksal einer illegalen Hausangestellten in Lateinamerika" verarbeitet sie die Erzählungen ihres eigenen Hausmädchens Liduvina Campo, deren Schwestern und Freundinnen zum Romanschicksal ihrer Protagonistin – zur Lebens- und Leidensgeschichte der mucama Catalina Vázquez, kurz Cata. Die Romanfigur ist fiktiv, ihre Geschichte jedoch authentisch.
Die junge Peruanerin Cata arbeitet in Buenos Aires als illegales Dienstmädchen unter menschenunwürdigen Bedingungen, immer in der Hoffnung auf ein besseres Leben. In ihrer peruanischen Heimat hat sie die Universität besucht und danach bis zu einem existenzzerstörenden Raubüberfall das eigene Fischrestaurant "Nautilus"geführt. Als mucama hofft sie, die finanziellen Grundlagen für einen Neuanfang in Peru zu erwirtschaften. Und die Aussichten dafür stehen zunächst gut im wohlhabenden Argentinien Menems der 1990er Jahre – einem Land, in dem man als illegale Haushaltsangestellte weit mehr verdienen kann als eine studierte Krankenschwester in Peru.
Rechtlos, ausgebeutet und verachtet – so zeichnet Karnofsky die gesellschaftliche Stellung der mucamas, die von ihren reichen señoras häufig schlecht behandelt und bezahlt werden. Zwar beschreibt die Autorin auch Familien, die ihren untergebenen Angestellten zumindest einen Hauch an eigenem Leben und menschlicher Würde zugestehen. Der Großteil der argentinischen Oberschicht erscheint jedoch kalt und arrogant, obwohl oder vielleicht gerade weil die mucamas häufig besser gebildet sind als die Herrschaften selbst. Der kleinste Anlass – eine zu heiß gebügelte Bluse, die Frage nach einer Gehaltserhöhung, die Klage über den voyeuristischen Neffen – kann zur Kündigung führen. Denn eine mucama ist austauschbar wie eine Maschine.
Gegen ihre Situation können die illegalen Hausangestellten kaum etwas unternehmen. Ohne offizielle Papiere haben sie keinen Anspruch auf Krankenversicherung oder Altersvorsorge und erst recht keine Ansprüche gegenüber der feinen Gesellschaft. Keine Gewerkschaft setzt sich für sie ein, kein Arbeitsrecht tritt für sie in Kraft. Wenn die mucamas ihre Anstellung nicht verlieren wollen, weil ihr Gehalt die armen Familien, oftmals die eigenen Kinder, im fernen Zuhause unterstützt oder weil sie wie Cata den Traum der Selbständigkeit in der Heimat irgendwann einmal ersehnen, müssen sie die Willkür anderer stillschweigend erdulden. Und das heißt dann: 18 Stunden täglich schuften für hochnäsige Herrschaften, manchmal wochenlang ohne einen freien Tag.
Ihr Schicksal teilt Cata mit anderen illegalen Migrantinnen aus Paraguay, Peru, Bolivien und der Dominikanischen Republik, die sich ebenfalls als Hausangestellte verdingen, und mit denen sie sich in ihrem vierjährigen Aufenthalt in Argentinien anfreundet. An den freien Tagen, an denen die Frauen nicht bei den Arbeitgebern in meist fenster- und heizungslosen Kabuffs mit Klo und schmaler Pritsche – eben in einer "Besenkammer mit Bett" – hausen, wohnen sie gemeinsam in ärmlichen, überteuren Pensionen und klagen sich ihre Erlebnisse. In der ständigen Angst, denunziert und abgeschoben zu werden, schmieden sie Pläne wie sie über Heirat oder Geburt eines Kindes auf argentinischem Boden die dauerhafte Aufenthaltserlaubnis erhalten können. Und immer dann, wenn diese Ideen sie in noch tieferes Unglück und Leid stürzen, dann bleibt zumindest die warmherzige Solidarität untereinander: Die Frauen geben sich Halt und da sie für ihr Leben gern kochen, verwöhnen sie sich gegenseitig mit ihren nationalen Lieblingsgerichten.
Eva Karnofsky hat aus den traurigen Geschichten, die sie über die Jahre hinweg von mucamas gehört hat, ein gutes und spannendes Buch geschrieben. Der familiäre Zusammenhalt, den die Frauen bei ihren Kochsessions erfahren, kann man förmlich spüren, ihre schlichten, wohltuenden (Überlebens-)Rezepte sind nochmals hervorgehoben abgedruckt. Als Leserin wünscht man den illegalen Dienstmädchen eine positive Wende. Zu einem Happy End kommt es wie so häufig in der lateinamerikanischen Realität jedoch nicht. Cata muss desillusioniert in ihre Heimat zurückkehren, ohne zu wissen, wie es weitergeht: Die hart erarbeiteten Ersparnisse wurden von der argentinischen Wirtschaftsmisere 2001/2002 nicht verschont, und der Traum, wieder ihre eigene Chefin zu sein, rückt für sie in weite Ferne.
Der Roman erzählt die unvorstellbare Geschichte von moderner Sklaverei, wie sie sich tagtäglich in Haushalten auf der ganzen Welt ereignen kann. Der Autorin Eva Karnofsky gelingt es über soziale Anklage hinaus, der Leserin einen Eindruck über die gesellschaftliche Realität (Rassismus gegenüber Mestizinnen, Diskriminierung von Frauen) zu vermitteln, eingefasst in die politischen Hintergründe Perus und Argentiniens.
Eine Lektüre, die man einmal angefangen zu lesen, nicht mehr so schnell aus der Hand legen will.
von Birte Krüger
aus: der überblick 04/2007, Seite 124