Volker Perthes führt die Leserinnen und Leser durch sechs Länder und Gebiete des Nahen und Mittleren Ostens: nach Ägypten, Israel und die besetzten Gebiete, nach Saudiarabien, den kurdischen Teil des Iraks und nach Iran. Man folgt ihm gern, lernt eine Vielzahl von Menschen und Meinungen kennen und begreift am Ende ein wenig, wie kompliziert die Situation im einzelnen ist, wie kluge Menschen sie beurteilen und welche Kräfte dort am Werk sind. Und man freut sich über den kundigen Begleiter, der erzählt und nicht belehrt, aber doch deutlich ordnet, gelegentlich nachfragt und den Hintergrund erläutert. Oft reicht ein einzelner Satz, um den Blick zu schärfen, etwa, wenn er über die ägyptische Opposition urteilt, dass die Gegner Pharaos oft wie seine um die Macht betrogenen Brüder wirken oder in den von Israel lange besetzten Gebieten beobachtet, wie die Palästinenser eine Art Staatszerfall ohne Staat erleben. Das Kapitel über die schwierige Scheidung von Israel und Palästina ist das angespannteste, weil hier die Situation bis in die kleinsten Lebensdetails hinein von dem Konflikt zwischen den Kontrahenten bestimmt wird. Mit Beklemmung liest man Perthes Bericht über seine Wiedereinreise nach Israel: so viel technische Überwachung, so viel Fernsteuerung per Lautsprecher, so viel kalter, bedrängender Beton scheinen selbst so etwas wie Koexistenz schwer erträglich zu machen. Dabei ist dies der Übergang für privilegierte Ausländer, Willkür und Schikane kommen für die Palästinenser noch hinzu. In anderen Abschnitten werden weniger beschwerte Spaziergänge geschildert, etwa fünf Stunden entlang der dreizehn Kilometer langen Teheraner Nord-Süd-Magistrale. Perthes sieht in den Städten des Iran eine kleinbürgerliche Gesellschaft im Aufbruch, beschreibt Szenen, die ihn und die Leserin an das (West-)Deutschland der sechziger Jahre erinnern. Seine Stadtansichten eröffnen immer wieder neue Einblicke: Wer weiß schon, dass es in den iranischen Städten so viele gepflegte Grünanlagen (mit Rosen in allen Farben) gibt, dass Picknick im Park eine beliebte Freizeitbeschäftigung ist? Zwei knappe Seiten über Buchläden sprechen Bände über Lesefreudigkeit und literarische Vielfalt. Auch an den Universitäten, so Perthes, scheinen die Bemühungen des Regimes, seine geistige Hegemonie durchzusetzen, "einfach abzuperlen". Und arabisch (als Sprache des Korans) lernen Schüler und Studenten mit ebensowenig Interesse wie die DDR-Bürger einst Russisch. Lebensstilfragen und Kleiderordnung haben einen hohen symbolischen Rang, aber auch da gibt es wesentlich mehr Nuancen als gemeinhin wahrgenommen: Perthes zitiert einen weitsichtigen Konservativen, der eine islamische, aber keine geschlossene Gesellschaft will und meint, dass man der Frage, wie die jungen Frauen ihr Kopftuch tragen, nicht allzu viel Aufmerksamkeit widmen solle. Wie man zur Verhüllung gedachte Kleidungsvorschriften so interpretieren kann, dass sie modisch betonen, was eigentlich verborgen sein soll, demonstrieren die jungen Frauen der jeunesse dorée in Teheran. Auch das beschreibt der Autor ebenso genau wie dezent. Im Kapitel über Saudiarabien geht Perthes der These nach, dass sich die Eintönigkeit des gesellschaftlichen Lebens auch in der Männermode spiegelt, findet dann aber bei einem Besuch eines einschlägigen Ladens und im Straßenbild doch gewisse Variationen. Diese Erkundungen wirken keineswegs wie Exkurse, sondern werden ebenso präzise registriert und elegant beschrieben wie die politischen Begegnungen oder Gespräche mit Experten, die differenzierte und oft überraschende Einblicke in die einzelnen Gesellschaften vermitteln. Die Verbindung von Anschauung und Analyse macht die "orientalischen Promenaden" so lesenswert. Dass das Buch 2005 abgeschlossen wurde und 2006 erschienen ist, stört bei der Lektüre nur an ganz wenigen Stellen, etwa im Blick auf den iranischen Präsidenten Ahmadinejad. Inzwischen auch als Taschenbuch zu haben, wirkt das Buch auch 2007 keineswegs angestaubt. Der Gewinn an Hintergrundwissen und Vorstellungskraft hilft umgekehrt, aktuelle Phänomene wie die gerade wieder aufgeflammte Debatte, ob Frauen in Saudiarabien Autos lenken würden einzuordnen. Und schließlich erscheint nicht jedes Jahr ein so facettenreiches und gut geschriebenes Buch über den Nahen und Mittleren Osten.
von Renate Wilke-Launer
aus: der überblick 04/2007, Seite 124