Ob der mit Sanktionen der Europäischen Union belegte Robert Mugabe zum EU-Afrika-Gipfel in Lissabon eingeladen werden sollte, war im Vorfeld heftig umstritten. Großbritanniens Premierminister Brown war vehement dagegen, die afrikanischen Staatschefs ebenso vehement dafür. Sie hatten sogar gedroht, alle fern zu bleiben, wenn einer der ihren nicht dabei sein dürfe. Bundeskanzlerin Merkel hatte argumentiert, der Gipfel müsse stattfinden, man könne schließlich nicht Mugabe über das Verhältnis zwischen Europa und Afrika bestimmen lassen.
Nicht zu bestreiten ist die katastrophale Lage in Simbabwe: Es gibt kaum noch etwas zu kaufen, die Inflation ist vierstellig, mehr als drei Millionen Menschen haben das Land verlassen, die Zurückgebliebenen leben von der Hand in den Mund und den Hilfssendungen ihrer im Ausland lebenden Verwandten. Und gleichzeitig ist nicht zu übersehen, dass sich die herrschende Clique schamlos bereichert und Widerstand zu ersticken versteht, notfalls auch mit nackter Gewalt. Wie, so fragen sich viele Menschen im Ausland, kann es sein, dass die Bürger nicht revoltieren und den alten Mann, der seit 27 Jahren regiert und nicht von der Macht lassen will, davonjagen?
Der schmale Band versucht darauf eine Antwort. In dem einleitenden Beitrag analysiert Beatrice Schlee, bis März 2007 Landesbeauftragte der Konrad-Adenauer-Stiftung in Harare, wie geschickt Robert Mugabe sich zu behaupten weiß: durch Patronage auf der einen und Spaltung und Einschüchterung auf der anderen Seite. Die in den Jahren 2000 bis 2002 starke Opposition Movement for a Democratic Change (MDC) ist seit 2005 gespalten, beide Flügel sind geschwächt und haben programmatisch und strategisch wenig zu bieten. Weil viele der Organisationen der Zivilgesellschaft müde, durch Abwanderung ausgezehrt und untereinander zerstritten sind, vermögen sie auch nur punktuell Protest zu erheben.
Vor allen Dingen aber, das beschreibt Schlee eindringlich, hat der Niedergang ihres Landes die Simbabwer apathisch gemacht: Wer täglich um etwas zu essen anstehen oder kämpfen muss, wer seine ganze Energie darauf verwendet, etwas aus Südafrika zu beschaffen, das er dann verkaufen kann, ist davon ganz in Beschlag genommen. Wer sich auf nichts mehr verlassen kann, zieht sich zurück, duckt sich weg und wird pessimistisch.
Im zweiten Beitrag präsentiert Helga Dickow die Ergebnisse ihrer Befragungen von Politikern, Akademikern und Aktivisten in Harare und Bulawayo vom Juli 2006. Vertreter des Regierungslagers geben – anonym versteht sich – offen zu, wie sie die Wahlen manipuliert und die Opposition eingeschüchtert haben.
Und ein Mitglied der abgespaltenen MDC-Fraktion analysiert freimütig die Schwächen der Opposition: "Wir haben zu viele Realitäten übersehen: die Fähigkeit der Regierung, eine neue Partei zu destabilisieren, und die Möglichkeit, dass wir die Wahlen verlieren, wie das im Jahr 2000 der Fall war. Mit der Erkenntnis, dass wir möglicherweise lange in der Opposition bleiben würden, wuchs die Enttäuschung. Es kamen Spannungen auf und Fragen, wofür wir eigentlich stehen. Das stellte den Zusammenhalt der Führung auf eine harte Probe. Und es führte dazu, dass wir in der Partei eine Debatte darüber beginnen mussten, was wir eigentlich wollten. Und das wiederum hatte zur Folge, dass einige fürchteten, wegen Inkompetenz ausgeschlossen zu werden. Irgendwann setzte dann eine regelrechte Paranoia ein. Und dann stellte sich heraus, dass Toleranz fehlte, wir konnten uns gegenseitig nicht zuhören. Manch einer wollte andere Ansichten ganz unterdrücken. Das schwelte in der Partei, die eigentlich über ethnische Identität und Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse hinausgewachsen und ein Sammelbecken für alle sein wollte. Jetzt besannen sich viele auf diese Bindungen, was zu Gewalttätigkeit innerhalb des MDC führte."
Nach dieser Selbstauskunft versteht man besser, was Beatrice Schlee einleitend geschrieben hat: dass manche Mitglieder der Opposition durch die mit Zugang zu Devisen verbundene Unterstützung aus dem Ausland von der Not ihrer eigenen Landsleute ein ganzes Stück entfernt sind.
Die vielen Interviewauszüge mit erstaunlich detaillierten kritischen Äußerungen machen auch nachvollziehbar, dass Frau Schlee von einem liberalen autoritären Regime spricht und – trotz der Omnipräsenz von Spitzeln und Geheimdienst – nicht von einer Diktatur. Eine Möglichkeit, Robert Mugabe zu stürzen, sieht kaum jemand; man wartet darauf, dass er stirbt.
Im dritten Kapitel stellt Helga Dickow die Ergebnisse einer Befragung von 1012 Bürgern Simbabwes im Dezember 2005 vor: Drei Viertel haben Angst vor der Zukunft, 89 Prozent stimmen der Aussage zu, dass man selbst den Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung misstrauen muss. Drei von vier Simbabwern fühlen sich machtlos, die allermeisten geben an, dass es ihnen heute schlechter geht als vor einem Jahr und als vor zehn Jahren. Folglich halten 60 Prozent die wirtschaftliche Entwicklung des Landes für die größte Herausforderung für die Regierung. Nach den gravierendsten politischen Problemen gefragt, geben 24 Prozent Einschüchterung, 15 Prozent parteipolitische Konflikte und 12 Prozent Korruption an. Drei Viertel sind der Ansicht, dass man sich von der Politik fernhalten solle. Robert Mugabe wird von je 34 Prozent als der populärste beziehungsweise der am wenigsten populäre Führer angesehen, wobei Mugabe auf dem Land und bei den über 50-Jährigen deutlich besser abschneidet, wohl eine Verbeugung vor seinem so intensiv gepflegten Ruf als Freiheitsheld. Die Opposition MDC würde aber etwas mehr Wählerstimmen bekommen als die Regierungspartei ZANU-PF. Die von Mugabe gern verteufelte ehemalige Kolonialmacht Großbritannien liegt in der Wertschätzung der Simbabwer vor allen anderen fernen Ländern, wenn es um Hilfe für Simbabwe oder ein ideales Land geht. Nur das benachbarte Südafrika schneidet deutlich besser ab. Bei den Fragen nach den politischen Grundsätzen zeigt sich ein ausgeprägtes demokratisches Bewusstsein, auch wenn die Zukunftserwartungen sehr verhalten bis pessimistisch sind. Trotz allem wollen die Simbabwer keinen gewaltsamen Wandel.
Im letzten Kapitel beleuchtet Eldred Masunungure, Direktor des Marktforschungsinstituts, das die Befragungen durchgeführt hat, die Situation seines Landes: eine stark polarisierte Gesellschaft mit nur wenigen Grauzonen. Die jeweiligen Sichtweisen schlössen einander praktisch aus, die Regierung schiebe die katastrophale Lage des Landes auf die bösen Machenschaften des Westens und beschuldige die Opposition, dessen Statthalter zu sein. Die Opposition betrachte ebenfalls jeden als Gegner, der sich ihrer Sicht der Dinge nicht anschließe. Regierungspartei und Staat, so Masunungure, seien siamesische Zwillinge, Politbüro und Zentralkomitee bestimmten die Politik, die von Kabinett und Parlament abgesegnet und von der Bürokratie ausgeführt werde. Die Partei gehe oft ein hohes Risiko ein, setze ihre Ziele aber meist brutal durch. Die Bevölkerung dagegen gehe Risiken aus dem Weg, sie sei geprägt von den autoritären Strukturen traditionaler Herrschaft, der kolonialen Repression des Siedlerregimes und den Kommandostrukturen des Befreiungskampfes. Politik sei keine Passion, sondern ein einträgliches Gewerbe, das niemand freiwillig wieder aufgäbe. Die Gesellschaft zerfalle in unterschiedliche ethnische Gruppen, Land- und Stadtbewohner, Junge und Alte. Unter den extremen wirtschaftlichen Bedingungen sei jeder sich selbst der Nächste, die Gesellschaft atomisiert.
Dieser Zerfall berge Gefahren: "Wütende und hungrige Leute, die ihre Unzufriedenheit nicht artikulieren können, sind gefährliche Leute." Das könne zu "anomischen Handlungen" führen: unvorhersehbare und unkontrollierbare Aktionen, die ein Demagoge/Warlord für seine Zwecke ausnutzen könne. Masunungure setzt deshalb auf Intervention der Southern African Development Community (SADC) und eine politische Lösung, die allen Bürgern und Parteien freie Betätigung eröffnet und freie Wahlen ermöglicht. Die strukturellen Probleme allerdings machten eine wirkliche Demokratisierung zu einem schwierigen, allenfalls langfristig erfolgreichen Projekt.
Wer es nicht beim politischen Ritual der "Verurteilung" der simbabwischen Politik belassen will, wird durch dieses Buch hervorragend informiert. Die Befragung lässt erkennen, wie die Bürger Simbabwes über die Politik ihres Landes denken, die Interviews erhellen, wie das politische Leben funktioniert und wie eine Reihe von Akteuren die Situation beurteilt. Die beiden analytischen Beiträge machen nachvollziehbar, warum sich die Hunger und Not leidenden, in Furcht gehaltenen Bürgerinnen und Bürger nicht wehren und welche Gefahren in einer Explosion liegen. Man begreift, was man zuvor nicht glauben wollte: dass Robert Mugabe die Wahlen 2008 durchaus gewinnen könnte. So etwas wie kontrollierte Veränderungen können allein die Nachbarstaaten der SADC bewerkstelligen. Wie bei Eldred Masunungure klingt auch bei Beatrice Schlee im Hinblick auf die gegenwärtige Mission des südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki viel Skepsis an. Europa kann für Simbabwe wenig tun, es muss auch auf die SADC-Länder setzen. Handeln sie nicht endlich energischer und konsequenter, muss man ihre wohlwollend aufgenommenen und mit Entwicklungshilfe belohnten Bekenntnisse zu good governance wohl noch einmal auf die Goldwaage legen. Und die EU muss sich im Blick auf die Unterstützung, die Mugabe bei seinen Nachbarn genießt, vor dem Gipfel im Dezember fragen, ob der Partnerschaft mit Afrika wirklich gemeinsame Wertvorstellungen zugrunde liegen.
von Renate Wilke-Launer
aus: der überblick 04/2007, Seite 124