Seit März 2003 hat die Zentralafrikanische Republik eine neue Regierung
Der General ist am Ziel, der Ex-Präsident im Exil, der neue Premierminister ein integrer Mann. Seit dem Militärputsch vom März 2003 gibt es in der Zentralafrikanischen Republik eine neue Regierung und wieder ein wenig Hoffnung auf bessere Zeiten. Der bisherige Machthaber hatte das Land zuvor 10 Jahre lang heruntergewirtschaftet.
von Andreas Mehler
Die Verhältnisse in der Zentralafrikanischen Republik haben sich im März 2003 schlagartig gewandelt. Zum besseren, sollte man meinen, weil es doch über fast ein Jahrzehnt bergab ging - und dennoch ist die Zukunft wolkenverhangen. Der Fall der Zentralafrikanischen Republik ist beispielhaft für das, was man Staatszerfall nennt.
Die Zentralafrikanische Republik erregte schon im Mai 2001 bei Fachleuten Aufmerksamkeit, als - wahrscheinlich als Weltneuheit - in aller Offenheit Rebellen aus einem Nachbarland die offizielle Regierung vor einem Umsturz schützen durften. Damals wollten Anhänger des 1993 abgewählten Ex-Präsidenten Kolingba das Regime in der Hauptstadt Bangui beseitigen. Truppen des Warlords Jean-Pierre Bemba (Mouvement pour la Libération du Congo, MLC) aus der benachbarten Demokratischen Republik Kongo schlugen den blutigen Putschversuch zusammen mit libyschen Einheiten zurück.
Präsident Patassé, seit 1993 an der Macht, hatte das Land an den Abgrund geführt. Noch zu Jahresanfang 2002 hatte er erklärt: "Dieses Jahr wird glänzend", und sein Premierminister Ziguélé lieferte die Begründung nach: "Wir haben den Boden erreicht, wir können nur noch aufsteigen." Das erwies sich dann als Trugschluss. Die strukturellen ökonomischen Probleme des Landes - kein Zugang zum Meer, rudimentäre Infrastruktur, geringer Diversifizierungsgrad der Landwirtschaft, ineffizientes Steuersystem und fehlende Industrie - wurden im Laufe der neunziger Jahre dadurch verschlimmert, dass der Krieg im großen Nachbarland DR Kongo immer wieder über den Grenzfluss Oubangui hinüberschwappte. Außerdem vergraulten kleinere Erhebungen in Bangui die letzten Investoren, und Präsident Patassé bediente sich an den Rohstoffen des Landes - vor allem Diamanten und Edelhölzer - ungeniert selbst. "Ich mache für jedermann sichtbar Geschäfte", ließ er verlauten.
Patassé selbst schien unangreifbar. Nicht so seine Mitarbeiter: Nachdem der Parlamentspräsident das Finanzministerium als "Mafiabande" bezeichnet und "Unmoral, Gier und unzuverlässige Statistiken" gegeißelt hatte, wurde im Rahmen einer Antikorruptionskampagne im Sommer 2002 die Aufhebung der Immunität von Finanzminister Sorongopé veranlasst. Patassé ließ damit ein wichtiges Mitglied seiner Partei, der Mouvement pour la Libération du Peuple Centrafricain (MLPC), fallen. Dies schuf Unruhe in der Regierungspartei, die sich durch die Anklage Sorongopés wegen Unterschlagung einer bedeutenden Summe gedemütigt sah. Viel mehr wurde dadurch nicht erreicht, denn das Saubermann-Image stand dem Präsidenten so gar nicht.
Der einhellig negativen Bewertung der wirtschaftlichen Entwicklung durch Weltbank und die gesamte internationale Gemeinschaft stand in den letzten Jahren eine sehr viel vagere Einschätzung des politischen Systems gegenüber. Es gab zweifellos zu Beginn der neunziger Jahre deutliche Fortschritte in der freien Meinungsäußerung, Parteien konnten recht einfach gegründet werden, das Parlament zeigte sich bemerkenswert oft regierungskritisch. Und Patassé wurde nicht müde, sich als "demokratisch gewählt" zu bezeichnen. Seine Amtsführung zeichnete sich gleichzeitig durch einen extrem patrimonialen Stil aus, der Familienmitglieder großzügig an den Reichtümern teilhaben ließ. Wichtiger noch: Unter dem Eindruck von massiven Gewaltanwendungen verschiedener Seiten gingen viele demokratische Errungenschaften der frühen Jahre schnell verloren. Streikende Staatsangestellte, die ihren Lohn einforderten, wurden wiederholt zu Sündenböcken der Regierung, die folgende Unruhen und Rebellionen den Gewerkschaften anlastete. Journalisten wurden wiederholt eingeschüchtert.
Die jüngste Geschichte des Landes liest sich denn auch chaotisch: Patassé hatte in den Jahren 1996-97 drei Meutereien großer Teile der Armee überlebt - mit Hilfe von französischen, afrikanischen und zuletzt Truppen der Vereinten Nationen (UN). Präsidentschaftswahlen wurden im Juni 1999 abgehalten, Parlamentswahlen bereits Ende 1998, beide wurden knapp von Patassé bzw. seiner Partei MLPC gewonnen. Gegen eine zerstrittene Opposition konnte sich Patassé im ersten Fall aus eigener Kraft, im zweiten Fall durch Bestechung und Kooptation behaupten. In New York wertete man die Abhaltung von Wahlen als Normalisierung. Obwohl diese nur oberflächlich waren, reichten sie aus, um einen Abzug der UN-Truppen zu begründen. Im Mai 2001 folgte dann der Putschversuch des einstigen Diktators Kolingba, welcher offiziell 57, wahrscheinlich aber bis zu 300 Personen das Leben kostete. Auf Patassés Seite kämpften neben den Rebellen aus dem Nachbarland DR Kongo auch libysche Einheiten. Reguläre Friedensstreitkräfte (Peacekeeping-Truppen) der libysch dominierten Sahel- und Sahara-Gemeinschaft CEN-SAD wurden erst später entsandt. Für Angehörige der ethnischen Gruppe Kolingbas, die Yakoma, besonders Beamte und Armeeangehörige, begannen schwierige Zeiten. Das öffentliche Chaos erleichterte auch persönliche Abrechnungen. Eine Untersuchungskommission wurde eingesetzt, die zahlreiche Personen des öffentlichen Lebens der Mittäterschaft anklagte, darunter den amtierenden Verteidigungsminister. Eine Art Hexenjagd setzte ein.
Der Generalstabschef Bozizé, bislang ein wichtiger Unterstützer Patassés, wurde trotz fadenscheiniger Anhaltspunkte eines weiteren Putschversuchs beschuldigt und sollte Ende Oktober 2001 verhaftet werden. Dem entzog er sich: Zusammen mit ihm treu ergebenen Truppen floh er in den Norden des Landes. Bozizé organisierte nun eine Rebellion, die über Rückzugsmöglichkeiten im benachbarten Tschad verfügte.
Gegen Rebellenangriffe setzte Patassé die Spezialtruppe Unité de Sécurité Présidentielle (USP) unter Befehl von Abdoulaye Miskine ein, die zusammen mit einer lokalen Selbstverteidigungsgruppe operierte und schnell für ihr hartes Vorgehen bekannt wurde. Bei vielen Gefechten war unklar, ob es sich bei den Angreifern um Bozizé-Leute, simple Straßenräuber, tschadische Soldaten oder eine Mischung aus allen handelte - es entstand ein bewaffneter Konflikt der schmutzigen Art, wie er in Teilen Zentral- und Westafrikas immer häufiger zu beobachten ist.
Der französische Sicherheitsberater Patassés, Paul Barril, Inhaber eines international operierenden "Sicherheitsunternehmens" - in den Augen seiner Kritiker aber nicht mehr als ein Söldner B, bekam die Zuständigkeit für den "Kampf gegen den inneren und äußeren Terrorismus" übertragen. Das war nach dem 11. September eine wenig subtile Anbiederung an den internationalen Diskurs. Barril nahm damit in etwa die Rolle ein, die der berüchtigte Oberst Mantion zur Regierungszeit Kolingbas besetzt hatte (vergl. "der überblick" 4/1993). Im positiven Sinne unterschied sich die Herrschaft Patassés von der seines autoritären Vorgängers nun kaum noch: punktuelle Repression, demotivierte Staatsdiener, effektive Kontrolle nur eines geringen Umkreises um die Hauptstadt, fast keine staatlichen Dienstleistungen.
Die Bevölkerung der Grenzregion vom Tschad und der Zentralafrikanischen Republik, schon in der Vergangenheit schlecht kontrolliert und von Straßenräubern verunsichert, litt unter sporadischen Plünderungs- und Rachefeldzügen. Regierungen der Nachbarländer zeigten sich nun endlich beunruhigt. An die Stelle der unbeliebten CEN-SAD-Peacekeeper sollte eine kleine Einheit von Truppen der Zentralafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft CEMAC treten. Kurz nachdem dieser Beschluss gefallen war, überfielen Bozizés Truppen am 18. Oktober 2002 erneut Bangui; sie wurden zunächst zurückgedrängt. Auf Regierungsseite wurden im übrigen libysche Kampfbomber gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt. Auf das Konto der wieder eingesetzten MLC-Truppen, aber auch von Gefolgsleuten des Abenteurers Miskine gingen schwere Menschenrechtsverletzungen, darunter die Ermordung von circa 100 Viehhändlern aus dem Tschad; die MLC tat sich eher durch Plünderungen, Vergewaltigungen und Verstümmelungen hervor. In den nächsten Monaten hatten die Kontrahenten wechselndes Kriegsglück. Denkbar erschien, dass sich ein "Konflikt niedriger Intensität" dauerhaft festsetzt, analog der Lage etwa in der senegalesischen Casamance. Am Jahresende ersetzten dann tatsächlich die CEMAC-Truppen diejenigen der CEN-SAD. Libyens Revolutionsführer Gaddafi hatte dieser Entscheidung zum Entsetzen Patassés zugestimmt.
Als Patassés Flugzeug am 18. März 2003 bei seiner Rückkehr von einem CEN-SAD-Gipfel beschossen wurde und nach Kamerun ausweichen musste, hatten die Truppen Bozizés doch noch die Überhand gewonnen; der Widerstand der CEMAC-Soldaten und der eigenen Armee erwies sich als äußerst begrenzt. Bei aller üblichen Verurteilung gewaltsamer Machtwechsel, die nun folgte, war die Erleichterung der internationalen Gemeinschaft über das Ende einer Ära zu spüren. Besonders die Nachbarregierungen in Kinshasa (DR Kongo), Brazzaville (Republik Kongo), N'Djaména (Tschad), Yaoundé (Kamerun) und Libreville (Gabun) machten schnell deutlich, dass sie mit dem neuen Regime zusammenarbeiten und Patassé so schnell wie möglich ausschalten wollten. Bitter ging der Volkstribun ins Exil nach Togo, wo er schon einen guten Teil der achtziger Jahre verbracht hatte. Es ist durchaus möglich, dass Patassé von dort erneut mit gewaltsamen Mitteln zurückkehren möchte, aber er wird dafür im In- und Ausland wenig Sympathie finden.
Wer sind die neuen Lenker? Mit Bozizé ist ein Altbekannter der politischen Szene auf dem Präsidentenstuhl gelandet (siehe Kasten), Ambitionen hatte er schon lange. Zur Koalition gehören aber auch neuere Gruppierungen wie die Partei des kurzzeitigen Ministerpräsidenten Jean-Pierre Ngoupandé oder die schillernde Figur des ehemaligen Minenministers Charles Massi. Bei all ihren Unzulänglichkeiten sind die zurückliegenden Wahlen ein Gradmesser dafür, dass die Politiker nicht über eine breite, sondern höchstens lokal ausgeprägte Unterstützung verfügen. So erzielte Ngoupandé 3,1 Prozent, Massi 1,3 Prozent der Stimmen bei den Wahlen 1999. Insofern ist wichtig, dass auch einige etablierte Parteien eingebunden werden. Dies gilt bislang aber noch nicht für die MLPC, deren Spitzenpersonal zum Teil unter Anklage steht. Auch die Rückkehr Kolingbas aus dem Exil hielt Bozizé für noch nicht angebracht.
Als Hauptproblem könnte sich herausstellen, dass die vorherrschende militärische Logik erneut obsiegt hat. Die wichtigsten Parteien außerhalb der nur durch Waffengewalt siegreichen Koalition sind die Ex-Einheitspartei Rassemblement Démocratique Centrafricain (RDC), der seit dem Gewaltakt Kolingbas vom Mai 2001 der Ruf der Putschistenpartei anhaftet, und die Patassé-Partei MLPC, die in der Wahl ihrer Mittel ebenfalls nicht zimperlich war. Bozizé löste als einen seiner ersten Schritte das Parlament auf, er suspendierte die Verfassung und die obersten Gerichte. Auch die Spezialeinheit USP wurde aufgelöst. Bis Januar 2005 soll die Übergangsphase abgeschlossen werden. Das bedeutet, dass sowohl Verfassungsreferendum, als auch Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Jahr 2004 abgehalten werden müssen. Dies wird wie in der Vergangenheit nur mit massiver auswärtiger Unterstützung gelingen. Ob Bozizé dann antritt, ist derzeit unklar.
Die Übergangsinstitutionen geben ziviler Opposition und Zivilgesellschaft einen relativ großen Raum. Zum Vorsitzenden der Übergangslegislative wurde Nicolas Tiangaye, der angesehene Vorsitzende der Menschenrechtsliga, gewählt.
Sorgen macht aber auch der eigene Hintergrund und die diversen Unterstützer Bozizés. Seine Leute hatten sich nach ihren ersten Niederlagen nach Bossangoa, 300 Kilometer nördlich von Bangui zurückgezogen. Bei der Einnahme ihrer künftigen Hochburg wurden mindestens fünf Angehörige einer Selbstverteidigungsgruppe erschossen und eine Massenflucht ausgelöst. Damals kam es auch zu Zerstörungen und Plünderungen sowie zur Ermordung eines Geistlichen. Weitere Städte und Ortschaften wurden überfallen, der Einnahme der Stadt Bozoum folgte die Plünderung des dort ansässigen GTZ-Projekts. Damit war Bozizé für einen Teil der humanitären Notlage mitverantwortlich. Das World Food Programme schätzte im Frühjahr 2003, dass in Folge der Kämpfe 231.000 Menschen innerhalb des Landes vertrieben wurden, davon floh fast die Hälfte aus den Rebellengebieten in die von der Regierung kontrollierte Zone. Etwa 30.000 Menschen lebten in provisorischen Lagern an der tschadischen Grenze. Die Zivilbevölkerung wurde somit zur Geisel beider Kriegsparteien. Auch nach dem militärischen Sieg zeigten sich die "Patrioten" wenig diszipliniert und stellten ein Sicherheitsrisiko in Bangui dar.
Sorge macht außerdem, dass Bozizé offenkundig erst mit der Unterstützung durch das Nachbarland Tschad entscheidendes militärisches Übergewicht bekam. Dies schafft eine ungute Abhängigkeit von tschadischen Truppen, die in der Bevölkerung weitgehend auf Ablehnung stoßen. Durch die Integration einiger Einheiten in die CEMAC-Truppe konnte gesichtswahrend die tschadische Präsenz aufrecht erhalten werden. Trotzdem muss die massive Einbeziehung eines Nachbarstaates in einer Region, die damit notorisch schlechte Erfahrungen gemacht hat (wie bei der Intervention zahlreicher afrikanischer Staaten in der DR Kongo) als Warnzeichen erscheinen. In der Vergangenheit betrachteten sowohl die Eliten des Landes, als auch Abenteurer aus dem Ausland die wichtigste Ressource des Landes, Diamanten, als Beute. Dies muss sich ändern, wenn der Staatshaushalt saniert und wenigstens einen Teil der Gehaltsrückstände im öffentlichen Dienst (bis zu 32 Monatsgehälter) abgetragen werden soll. Zu den Financiers der Bozizé-Revolte gehört aber auch der windige Geschäftsmann Sani Yalo, der in der Vergangenheit mehrfach in Korruptionsaffären verwickelt war.
Dann bleibt noch die unbekannte Größe Erdöl. In der Grenzregion zum Tschad ist man offenbar fündig geworden. Durch die umstrittene Pipeline Doba (Tschad) - Kribi (Kamerun), die noch im Sommer 2003 in Betrieb genommen werden soll, ist es durchaus realistisch zu erwarten, dass auch die Zentralafrikanische Republik in die Erdöl-Ära eintritt. Denn eine kurze Zuleitung ist technisch machbar. Das mag Hoffnungen entstehen lassen, bringt aber jede Menge Risiken mit sich. Wer sich die Region von Zentralafrika bis zum Golf von Guinea anschaut, weiß, dass bislang Erdöl und Demokratie - siehe zuletzt den Putsch auf Sve">no Tomé - nicht gut zusammenpassten, von ökologischen Risiken ganz zu schweigen. Das geringe Maß an staatlicher Regulierungskapazität lässt Beobachter daran zweifeln, dass die potenziellen Einnahmen sinnvoll verwaltet werden. Und die Begehrlichkeiten einer immer schon an "leichtem Geld" - in der Vergangenheit aus französischer Entwicklungshilfe, dann Diamantenschmuggel - interessierten Elite sind schon längst geweckt. Neben den genannten Hypotheken gibt es aber auch Chancen: Erstmals seit der Unabhängigkeit ist mit Abel Goumba ein erklärter "Saubermann" Premierminister, erstmals seit der Erneuerung des Parteienpluralismus ist eine breite Koalition von Repräsentanten fast des gesamten politischen Spektrums in der Regierung vertreten. Wichtig ist, dass nun die internationale Gemeinschaft erkennt, dass die zweite Transition gelingen muss, damit nicht für eine ganz lange Zeit die Mitte des Kontinents im Chaos versinkt.
Alte Hasen der PolitikJeder gegen und mit jedemFrançois Bozizé, Militär (geb. 1946), Präsident seit seiner gewaltsamen Machtübernahme am 18.3.2003. Der General trat erstmals als Vorsitzender und Gründer (1980) der pro-libyschen Partei Mouvement Centrafricain de Libération Nationale (MCLN) in den Vordergrund, näherte sich Ange-Félix Patassé schon in den frühen achtziger Jahren an und war in dessen Putschversuch vom 3.3.1982 involviert, musste dann außer Landes und ins Exil nach Benin fliehen. Von dort wurde er 1989 auf ein Auslieferungsgesuch hin in die zentralafrikanische Hauptstadt Bangui verbracht, wo er zwei Jahre ohne Anklageerhebung unter Kolingba incommunicado im Gefängnis saß. Bei den Wahlen von 1993 war Bozizé Kandidat und erhielt gerade einmal 1,5 Prozent der Stimmen. Patassé berief seinen Gefolgsmann nach dem Putsch im Mai 2001 zum Generalstabschef, nachdem der vorherige Amtsinhaber ums Leben gekommen war. Eines weiteren Putschversuchs verdächtigt entzog sich Bozizé im Oktober 2001 seiner Verhaftung und schlug sich mit etwa 300 ihm ergebenen Soldaten plündernd in den Norden des Landes durch, um von dort - letztlich erfolgreich - eine Rebellion gegen die Regierung zu organisieren. Bozizé gehört der größten Volksgruppe der Gbaya (Nordwesten) an, seine wichtigste internationale Unterstützung erfährt er durch das Nachbarland Tschad. Ange-Félix Patassé, Agrarökonom (geb. 1937), im März 2003 gestürzter Präsident. Patassé war schon unter dem erratisch regierenden "Kaiser" Bokassa ab 1966 Minister in verschiedenen Ressorts, dann Premierminister (1976-78) und Kandidat bei den ersten pluralistischen Wahlen 1981, bei denen er offiziell mit 38 Prozent der Stimmen Rang 2 hinter dem damaligen Präsidenten David Dacko einnahm. Im Zusammenhang mit Manipulationsvorwürfen durch Patassé entstanden Unruhen, die durch Kolingbas Putsch 1981 beendet wurden. Patassé versuchte nun vergeblich, Kolingba zu stürzen und musste ins Exil nach Togo fliehen. Nach seiner Rückkehr 1992 konnte er die freien Wahlen von 1993 im zweiten Wahlgang gegen Goumba gewinnen. Patassés Partei Mouvement pour la Libération du Peuple Centrafricain ist die älteste Partei des Landes (gegründet 1980). Im September 1999 wurde Patassé mit absoluter Mehrheit im ersten Wahlgang wiedergewählt (51,6 Prozent). Patassés Herrschaft zeichnete sich durch ein hohes Maß an Korruption und Geschäftemacherei im Amt aus, aber auch durch eine sprunghafte Außenpolitik. Er gehört der nördlichen Volksgruppe der Sara-Kaba an. Internationale Unterstützung kam vor allem aus Libyen und von der Rebellenbewegung MLC aus dem Nachbarland Demokratische Republik Kongo. André Kolingba, Militär (geb. 1935). Der ehemalige Generalstabschef und Präsident (1981-1993) kam durch einen Militärputsch an die Macht, als Manipulationsvorwürfe nach ersten pluralistischen Wahlen das Land erschütterten. Kolingba setzte die Verfassung außer Kraft und ließ erst 1987 wählen, wobei er nur einen begrenzten Wettbewerb zwischen Kandidaten der frisch gegründeten Einheitspartei Rassemblement Démocratique Centrafricain (RDC) zuließ. Unter Kolingba wurde das öffentliche Leben stark tribalisiert, seine Landsleute der Yakoma (Süden) besetzten die wichtigsten Posten und wurden vornehmlich für die Armee rekrutiert. Nach annullierten Wahlen 1992 wurde Kolingba von den Geldgebern ein Jahr später zu Wahlen gezwungen, bei denen er nur auf den vierten Platz kam. Seine Anhänger wurden anschließend durch Patassé systematisch von den Schaltstellen der Macht entfernt. Kolingba sorgte für eine stets illoyale Opposition und war zumindest indirekt in die Meutereien 1996/97 verwickelt. Bei den Wahlen 1998/1999 wurden RDC bzw. Kolingba mit 18,3 bzw. 19,4 Prozent der Stimmen zum wichtigsten Gegengewicht Patassés. Sein blutiger Putschversuch von 2001 ersetzte nun vollständig die zivile durch eine militärische Logik. Etwa 600 bewaffnete Anhänger flohen nach seinem Scheitern in die benachbarte Demokratische Republik Kongo, er selbst nach Uganda. Nach Bozizés Machtübernahme wurde Kolingbas militärischer Rang wieder zuerkannt, seine Rückkehr aber als problematisch angesehen. Abel Goumba, Arzt (geb. 1926), Premierminister unter Bozizé. Goumba ist der Veteran unter den vielen altgedienten Politikern des Landes. Schon als engster Mitarbeiter des mythischen Staatsgründers Barthélémy Boganda hatte er bei dessen tragischen Flugzeugabsturz 1959 beste Chancen, sein Nachfolger und erster Präsident des Landes zu werden. In einer Übergangsphase von vier Wochen war er bereits damals mit dem Premierministeramt betraut, wurde dann aber von David Dacko mit französischer Hilfe ins Abseits gestellt. Bei den Wahlen 1981 erhielt er nur 1,4 Prozent der Stimmen, 1993 aber stattliche 46,5 Prozent in der zweiten Runde und schließlich nur 6,1 Prozent 1999. Unter Patassé ging Goumba in Fundamentalopposition. Sein ethnischer Rückhalt ist unbedeutend, die ihn tragende Partei Front Patriotique pour le Progrs schwach. Goumba spricht vor allem gebildete Schichten an. Er gilt als der einzige unbestechliche Spitzenpolitiker, was genau der Grund sein dürfte, weshalb ihn Bozizé zum Premierminister berief, um nämlich im In- und Ausland in den Genuss eines Vertrauensvorschusses zu kommen. Andreas Mehler |
aus: der überblick 03/2003, Seite 10
AUTOR(EN):
Andreas Mehler:
Dr. Andreas Mehler ist Direktor des Institutes für Afrika-Kunde in Hamburg. Sein regionaler Forschungsschwerpunkt ist Zentral- und Westafrika.