Globalisierung ohne Plan
Tansania verfolgt seit knapp zehn Jahren einen Kurs handelspolitischer Öffnung. Aber die Ausfuhr des Landes kommt kaum voran. Das verarbeitende Gewerbe ist noch zu wenig entwickelt und nicht konkurrenzfähig. Und die beschäftigungsintensive Landwirtschaft hat in den letzten Jahren beinahe stagniert. Nun verhandelt die Regierung mit den Nachbarstaaten und mit der Europäischen Union (EU) über neue Handelsmodalitäten. Doch hinter dieser Politik steht keine Strategie, und es findet kaum eine Koordinierung zwischen den einzelnen Ministerien und mit der Politik für die einzelnen Branchen statt. So läuft die Öffnung ins Leere.
von Regine Qualmann
Nur zögernd haben sich die Regierungen nach dem Beginn der marktwirtschaftlich orientierten Reformpolitik ab Mitte der achtziger Jahre den Themen der Handelsöffnung und der Anwerbung ausländischer Direktinvestitionen angenähert. Innenpolitische Widerstände gegen den vermeintlichen Ausverkauf des Landes sind stets groß. In der Handelspolitik spielt hierfür zum einen die hohe Abhängigkeit des Staatsbudgets von den Zöllen eine gewichtige Rolle. Einnahmen aus Importabgaben machen noch immer rund ein Drittel der Staatseinnahmen aus, und das, obwohl die Steuerbasis durch die Einführung einer Mehrwertsteuer auf alle Güter und Dienstleistungen schon vor einigen Jahren deutlich verbreitert wurde. Zum zweiten kommt den Zöllen als Mittel zum Schutz heimischer Produzenten vor billigen Importen hohe Bedeutung zu. Angesichts der geringen Produktivität und der auch im regionalen Vergleich hohen Kosten für Strom, Wasser und Telefon ist die tansanische Wirtschaft in weiten Teilen nicht wettbewerbsfähig. Der Fortbestand vieler Betriebe, darunter jüngst privatisierten Staatsunternehmen, ist vor allem den Schutzzöllen geschuldet.
Eine eigenständige Handelspolitik, betraut mit der strategischen Aufgabe der Förderung des Handels, gibt es erst seit Anfang des Jahres 2003. Zölle auf Im- und Exporte dienten traditionell der Fiskalpolitik, waren also auf das Füllen des Staatssäckls und nicht auf handelspolitische Ziele ausgerichtet. Eine spezielle Politik der Exportförderung gab es ebenso wenig wie eine handelsbegleitende Investitionspolitik. Bis weit in die achtziger Jahre hinein unterlag der Außenhandel vollständig der staatlichen Kontrolle und Steuerung. Erst nach dem Scheitern des Ujamaa-Sozialismus Mitte der achtziger Jahre hat Tansania schrittweise auch den Handel liberalisiert.
Zunächst war der neue Kurs von dem geprägt, was die Strukturanpassungsprogramme üblicherweise erfordern, vornehmlich der makroökonomischen Stabilisierung und der Rückführung der Staatsquote. Das Augenmerk der Regierung Mwinyi lag auf der Deregulierung der Landwirtschaft und der Privatisierung der großen Staatsunternehmen. Erst mit dem Antritt der Regierung Mkapa Mitte der neunziger Jahre hat sich die Öffnung gegenüber dem Ausland deutlich beschleunigt. Der Freigabe des Wechselkurses und der Liberalisierung der Investitionspolitik folgte in schnellen Schritten die Öffnung des Landes für Waren und Dienstleistungen. Tansania wurde Gründungsmitglied der internationalen Handelsorganisation WTO und hat die dort eingegangenen Verpflichtungen wie die Abschaffung von mengenmäßigen Handelsbeschränkungen und den Abbau der Importzölle bislang fristgerecht umgesetzt.
Vor etwa drei Jahren ist dieser Prozess jedoch wieder ins Stocken geraten. Mit einem durchschnittlichen Außenzoll von rund 16 Prozent und weit höheren branchenspezifischen sowie effektiven Zollsätzen (die höher sind als der Nominalzoll, wenn das Endprodukt höher verzollt wird als die darin eingehenden Vorprodukte) ist der Grad des Außenschutzes noch immer hoch. Problematisch sind vor allem die unzähligen Ausnahmeregelungen und Sonderabgaben, die das tansanische Handelsregime enthält. So kommen vor allem gegenüber Importen aus den Nachbarländern so genannte suspended duties zur Anwendung, eine zusätzliche Abgabe von bis zu 40 Prozent auf bestimmte Güter. Mit diesem Instrument wird beispielsweise der Textilsektor vor der kenianischen Konkurrenz geschützt. Solche Abgaben sind Ermessensentscheidungen und Einfallstore für willkürliche Eingriffe. Der Schritt zur Korruption ist dann klein. Nichttarifäre Handelshemmnisse stellen ein ähnliches Problem für den Handel dar. So müssen beispielsweise alle Importe, deren Wert 5000 US-Dollar übersteigt, noch im Herkunftsland einer zeitaufwendigen und kostspieligen Kontrolle unterzogen werden, ob die Qualität stimmt und die die Fabrikationsnormen eingehalten wurden, die so genannte preshipment inspection. Hinzu kommen Importrestriktionen für einzelne Produkte wie Tee, Baumwolle oder Cashewnüsse, mit denen heimische Produzenten geschützt werden sollen. Oft sind auf lokaler und regionaler Ebene Lizenzen für den Handel erforderlich, etwa für den Aufkauf von Agrargütern oder deren Ein- und Ausfuhr.
Das derzeit wohl ehrgeizigste Projekt der tansanischen Außen- und Handelspolitik besteht in der Einrichtung einer Zollunion in der ostafrikanischen Gemeinschaft EAC, und zwar bereits ab dem Jahr 2004. Doch auch hier gilt Tansania zunehmend als zögerlicher und wenig verlässlicher Verhandlungspartner, der sich zeitweilig sogar sträubt, eingegangene Verpflichtungen umzusetzen. Gegenüber seinen EAC-Partnern Kenia und Uganda ist Tansania immer nur zu den geringstmöglichen Zugeständnissen bereit und hat erst jüngst mit dieser Haltung die Verhandlungen um die geplante Zollunion wieder ins Stocken gebracht. Aus dem gemeinsamen Markt der ost- und südafrikanischen Staaten (COMESA) hat sich Tansania im Jahre 2000 ganz zurück gezogen, vornehmlich wohl, weil dem Land die Liberalisierung dort zu schnell ging. Und selbst in der 14 Staaten umfassenden SADC, der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas, die ohnehin in der Handelsliberalisierung wesentlich langsamer voranschreitet, hat Tansania als eines der wenigen säumigen Mitgliedsländer noch immer nicht mit der Umsetzung des gemeinsamen Handelsprotokolls begonnen.
Neben den genannten ökonomischen Gründen gibt es noch weitere für die passive bis ablehnende Haltung der Tansanier in Sachen Handelsliberalisierung. Ein wesentliches Moment liegt darin, dass sich die betroffenen tansanischen Stellen schlicht überfordert sehen, den Anforderungen, die aus multilateralen, regionalen und bilateralen Handelsabkommen auf sie zu kommen, gerecht zu werden. In ihrem jüngsten
Bericht gegenüber der WTO erklärte die tansanische Regierung die mangelnde Umsetzung ihrer Verpflichtungen aus der Uruguay-Verhandlungsrunde mit dem "sehr begrenzten" Verständnis und mangelndem Bewusstsein, die innerhalb des öffentlichen wie auch des privaten Sektors zu den WTO-Prozessen und ihren Implikationen vorherrschten. Es mangele an finanziellen, institutionellen, technischen und technologischen Voraussetzungen, um sich zunächst adäquat auf die Verhandlungen vorzubereiten und dann entsprechende Maßnahmen zu ihrer Umsetzung zu ergreifen.
Tatsächlich hat sich diese Problematik in den letzten Jahren für alle Entwicklungsländer verschärft. Immer neue Themen sind in die WTO-Runden zur Verhandlung aufgenommen worden, ohne dass andere deswegen als abgeschlossen gelten könnten. Zusätzlich drängt nun die EU-Kommission die Gruppe der Afrika-Karibik-Pazifik-Länder (AKP-Staaten), als Nachfolge für die einseitig den AKP-Staaten gewährten Handelszugeständnisse (Lomé-Präferenzen), über Freihandelsabkommen zu verhandeln, die auch der Europäischen Gemeinschaft (EU) besseren Marktzugang in Entwicklungsländern verschaffen.
Auch hier geht es nicht allein um den Abbau der Zölle, sondern um das Aushandeln eines ganzen Paketes handelsrelevanter Regelungen. Gerade die am wenigsten entwickelten Länder, darunter auch Tansania, können es sich jedoch nicht leisten, größere Delegationen nach Genf oder Brüssel zu entsenden, und so mangelt es in den dortigen Missionen regelmäßig an Handelsexperten. Im Falle Tansanias gehören die entsandten Regierungsvertreter dem Außenministerium an, die Koordination mit dem heimischen Handelsministerium läuft nur indirekt über das Außen- und das im Vergleich mit dem Handelsministerium wesentlich gewichtigere Finanzministerium.
Die personelle und finanzielle Ausstattung in den einzelnen Politikfeldern und die zügige Umsetzung von Maßnahmen ist letztlich aber auch in Entwicklungsländern vor allem eine Frage der Prioritätensetzung. In Tansania aber hat Handelspolitik derzeit keinen Vorrang. Andere Politikbereiche haben nicht zuletzt durch den Prozess der Erstellung einer Strategie der Armutsminderung, der Poverty Reduction Strategy nach dem Weltbankmodell, entwicklungspolitisch den Vorrang erhalten - Gesundheit, Grundbildung und Wasserversorgung sind derzeit auch für die Geber die Schwerpunktbereiche der Kooperation. Nur wenige Geber widmen sich der eher mittelfristig ausgerichteten und überwiegend mit technischer und nicht mit finanzieller Hilfe zu unterstützenden Handelspolitik.
Das Handelsministerium gehört zu den schwächeren Ministerien im Kabinett, und es hat erst vor Kurzem die Führungsrolle in der Koordination von Handelsfragen übertragen bekommen. Doch dies geht mit zahlreichen Überschneidungen von Zuständigkeiten einher. Für die regionale Integration zeichnet weiterhin das Außenministerium verantwortlich, für die Kooperation mit der EU wegen der traditionellen Geldzuwendungen aus dem Europäischen Entwicklungsfonds das Finanzministerium. Viele Informationen und Schritte zur Vorbereitung von Positionen zur Handelspolitik laufen derzeit am Handelsministerium vorbei.
Die im 1. Halbjahr 2003 vom Handelsministerium vorgelegte erste nationale Handelsstrategie soll dies schrittweise ändern. Doch das Dokument gleicht in weiten Teilen einer Wunschliste für handelspolitische Ziele und Maßnahmen, wie sie jedes andere Land aufzählen würde. Der Bezug zur tansanischen Situation, zu einzelnen Sektorpolitiken und insbesondere zu den Poverty Reduction Strategy Papers (PRSP) fehlt weitgehend, und die institutionellen und finanziellen Voraussetzungen für die Umsetzung bleiben ungeklärt. So steht zu befürchten, dass eine entwicklungsstrategische Ausrichtung der Handelspolitik und die bessere institutionelle Verankerung und Koordination mit anderen Politikbereichen weiter auf sich warten lassen werden.
Die mangelnde Aufmerksamkeit für handelspolitische Belange in der Vergangenheit hat ihre Kosten. Seit Jahren genießt Tansania bei einer Reihe wichtiger Handelspartner handelspolitische Präferenzen, konnte diese bisher jedoch kaum für sich nutzen, und die erhoffte Diversifizierung der Produktion, die dazu führen sollte, dass mehr Fertigerzeugnisse mit höherer Wertschöpfung erzeugt werden, ist ausgeblieben. So sicherten die Lomé-Verträge den AKP-Staaten zollfreien Zugang zum EU-Mark, was teilweise eine deutliche Besserstellung gegenüber anderen Entwicklungsländern mit sich brachte. Während der planwirtschaftlichen Phase machte Tansania davon jedoch nur wenig Gebrauch, während einige andere Länder dies etwa zum Ausbau
ihrer Textil- und Bekleidungsindustrie nutzten. Auch bei den sogenannten Quotengütern wie Zucker, Reis oder Rindfleisch hatten tansanische Produzenten und Exporteure meist das Nachsehen; aufgrund von Angebots- und Vermarktungsschwächen wurden die tansanischen Quoten nicht ausgeschöpft.
Zur Gruppe der ärmsten Länder zählend (Least Developed Country), kann Tansania seit 2001 unter der Everything-But-Arms-Initiative (alles außer Waffen) vom faktisch unbegrenzten Marktzugang in die EU profitieren. Außerdem gehört es zu den Ländern, die unter dem neuen US-amerikanischen Gesetz Africa Growth and Opportunity Act (AGOA) eine Reihe von Produkten zollfrei in die Vereinigten Staaten liefern dürfen. Doch auch diese Erleichterungen haben kaum Bewegung in die Exporte gebracht. Insbesondere ist es Tansania nicht gelungen, mehr Wertschöpfung und die damit verbundenen Arbeitsplätze ins Land zu holen. Das verarbeitende Gewerbe spielt mit knapp acht Prozent bei den Exporten nur eine verschwindend geringe Rolle. Den Großteil der Exporte stellen mit rund 50 Prozent nach wie vor die traditionellen, weitgehend unverarbeiteten landwirtschaftlichen Erzeugnisse wie Kaffee, Tee, Baumwolle, Sisal, Tabak und Cashewnüsse. Alle diese Produkte unterlagen in den letzten Jahren den bekannten Schwankungen von Weltmarktpreisen und Witterungsverhältnissen. Vor allem die traditionsreiche Kaffeeproduktion ist nun bereits seit mehreren Jahren rückläufig, und es besteht keinerlei Aussicht auf Besserung. Immerhin sind die nicht- traditionellen Agrarexporte wie Fisch und Fischprodukte, Schnittblumen und Gemüse leicht gestiegen.
Die bedeutendste Steigerung ging allerdings von den Bergbauerzeugnissen aus. Allein der Export von Gold brachte im Jahr 2002 rund 38 Prozent der tansanischen Exporteinnahmen und war auch im wesentlichen für das erzielte Exportwachstum verantwortlich. Kurzfristig verschafft dies dem Land zwar willkommene Erleichterung bei den Devisenreserven, doch mittel- bis langfristig birgt das schnelle und einseitige Exportwachstum mineralischer Rohstoffe immer die Gefahr mit sich, dass dadurch der Wechselkurs der nationalen Währung ansteigt und sich so die Exportpreise für andere Waren erhöhen. Das führt dann zu einer geringeren Ausfuhr in anderen Branchen.
Tansania importiert im Wesentlichen Maschinen, Ausrüstungsgüter und Erdöl. Trotz eines steigenden Ausfuhrvolumens befindet sich die Handelsbilanz aufgrund sinkender Terms of Trade seit Jahrzehnten im Defizit, weil die Preise der exportierten Rohstoffe tendenziell stagnieren oder sinken, während die importierte Technologie teurer wird. Angesichts ausbleibender ausländischer Direktinvestitionen ist die Wirtschaft also permanent auf sonstige Geldübertragungen angewiesen.
Hoffnungen setzt die tansanische Regierung derzeit auf die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen, in denen durch steuerliche Anreize die Ansiedlung von Exportindustrien gefördert werden soll. Doch der internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank winken bereits ab: Als zu gering werden die Aussichten auf zusätzliche Investitionen eingeschätzt, und als zu hoch die Mitnahmeeffekte einzelner Unternehmen durch die Steuernachlässe. Die Folge wären weitere Löcher im Staatsbudget.
Die strukturellen Probleme der tansanischen Wirtschaft sind über solche Maßnahmen wohl auch kaum zu heilen. Die bisherige handelspolitische Öffnung hat viele der Versäumnisse offengelegt, die im Kontext der Strukturanpassung begangen, aber wegen der makroökonomischen Stabilisierungserfolge oft nicht wahrgenommen worden sind.
Ein drastisches Beispiel dafür ist der Agrarsektor, der gern als das Rückgrat der tansanischen Wirtschaft bezeichnet wird und heute ihr größter Schwachpunkt ist. Die landwirtschaftliche Produktivität stagniert seit Jahren, die Weiterverarbeitung lokaler Rohstoffe ist auf breiter Front ausgeblieben. Einseitig auf Deregulierung setzende Anpassungsauflagen, vor allem aber die seit Jahren unkoordinierte und höchst ineffiziente Agrarpolitik der Regierung sind für die Misere verantwortlich. Mit der Abschaffung der staatlichen Aufkaufstellen ist ein Vakuum entstanden, das an vielen Stellen noch immer nicht gefüllt werden konnte. Gerade die kleinbäuerlichen Produzenten sind nun häufig gar nicht mehr an die Vermarktungswege für ihre Erzeugnisse angeschlossen. Zugang zu Krediten, ertragsteigernden Hilfen wie Dünger und Pflanzenschutzmittel, moderne landwirtschaftliche Geräte und Technologien sowie zu landwirtschaftlichen Beratungsleistungen haben die wenigsten. Noch immer wird die landwirtschaftliche Produktion am höchsten besteuert, während ihr Anteil an den Staatsausgaben kontinuierlich gesunken ist. Gleichzeitig unterliegt sie einer Reihe von Auflagen, wie zum Beispiel dem Verbot von Nahrungsmittelexporten in vielen grenznahen Regionen.
Vor diesem Hintergrund ist die von vielen Tansaniern geäußerte Befürchtung durchaus nachvollziehbar, dass ein weiterer Abbau von Handelsschranken, sei es in der Region oder gegenüber der EU, erhebliche Probleme für die tansanische Wirtschaft mit sich bringen könnte - und kaum Vorteile.
Eine Reihe von Gebern setzt bei der Formulierung und Umsetzung umfassender entwicklungspolitischer Strategien zunehmend auf die Einbeziehung nichtstaatlicher Organisationen. Der PRSP-Prozess gilt hier in vielen Ländern als Vorreiter. Auch das Abkommen von Cotonou, das 2003 an Stelle des Lomé-Abkommens in Kraft getreten ist, beinhaltet die Forderung nach verstärkter Teilhabe, aber bisher ist unklar, wie dies im Rahmen des neuen Handelsabkommens mit den AKP-Staaten umzusetzen ist. Nach wie sind es vor allem die Regierungen, die die Entscheidungen fällen und die Ausführung in der Hand haben. Es sollen jedoch künftig andere Kräfte in den Verhandlungsprozess mit einbezogen werden, insbesondere die Privatwirtschaft, die Sozialpartner sowie weitere nicht zu Staat oder Wirtschaft gehörende zivilgesellschaftliche Gruppen.
Die Umsetzung dieser Forderung ist bislang den Kooperationspartnern in den AKP-Staaten selbst überlassen und blieb in den meisten Ländern in den Anfängen stecken. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich in Tansania ab. Im Vergleich zum PRSP-Prozess sind die nichtstaatlichen potentiellen Teilnehmer sehr viel schlechter über den Ablauf und die Möglichkeiten zur Teilhabe informiert. Weder die Regierung noch die EU-Delegation in Tansania hat bislang Maßnahmen ergriffen, um nichtstaatliche Organisationen und Verbände über den anstehenden Verhandlungsprozess zu informieren oder Mechanismen zu deren Beteiligung zu entwickeln.
Der Grund dafür ist nicht nur, dass es an politischem Willen mangelt. Gerade in Tansania sind zivilgesellschaftliche Gruppen in aller Regel noch sehr schlecht organisiert, und es fehlt ihnen an Fachleuten und Geld, um sich über die direkte Zielgruppenarbeit hinaus in breiterer Form an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Es kommt erschwerend hinzu, dass das Thema Handel komplex ist und viele Gruppen die Auswirkungen von Handelsverhandlungen auf die eigene Klientel gar nicht überschauen können. Einzige Ausnahme bildet derzeit die Privatwirtschaft, deren Verbände sich zunehmend in diesem Bereich engagieren. Aber auch hier sind nur wenige über anstehende handelspolitische Entscheidungen informiert oder gar in deren Vorbereitung involviert. So sind über die derzeit aktivste Lobby-Organisation, die Confederation of Tanzanian Industries (CTI) vor allem die Interessen der wenigen Großunternehmen vertreten, während sich Kleinbetriebe aller Sektoren bisher keinerlei Gehör verschaffen können, am wenigsten die der Landwirtschaft. Damit besteht die Gefahr, dass sich gerade bei der Gestaltung der Handelspolitik die vornehmlich an Protektion und weiteren Ausnahmeregelungen interessierten Unternehmen Einfluss verschaffen.
Ein wichtiger Schritt für die Vorbereitung der anstehenden Verhandlungen mit der EU wäre getan, wenn die begonnene Einbeziehung derjenigen zivilgesellschaftlichen Gruppen systematisch gestärkt werden könnte, deren Klientel - Unternehmer, Kleinbauern, Arbeitnehmer, Händler, Verbraucher und dergleichen - von den Auswirkungen der neuen Handelspolitik in jedem Falle betroffen sein wird und sich auf die damit geschaffenen Chancen und Risiken einstellen muss. Hier, wie generell beim Erwerben von Wissen und Erfahrung (capacity building) hinsichtlich der Handelspolitik, ergeben sich viele Ansatzpunkte für die Unterstützung durch die Geber beziehungsweise einschlägige internationale Nichtregierungsorganisationen.
aus: der überblick 03/2003, Seite 65
AUTOR(EN):
Regine Qualmann:
Regine Qualmann hat diesen Artikel in Zusammenarbeit mit Elke Herrfahrdt und Stefan Leiderer verfasst. Regine Qualmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am "Deutschen Institut für Entwicklungspolitik" (DIE) und seit Juni für eine Tätigkeit als Handelsberaterin im SADC-Sekretariat in Botsuana beurlaubt. Elke Herrfahrdt und Stefan Leiderer haben an einer DIE-Studie zu Tansanias Vorbereitungen der Cotonou-Verhandlungen mitgearbeitet und sind seit kurzem wissenschaftliche Mitarbeiter am DIE.