"Spektakuläre Bilder verhüllen die Wirklichkeit"
Die Überschwemmungskatastrophe in Mosambik im Februar 2000 hat eine Flut von Medienberichten ausgelöst, die dann große Hilfsoperationen zur Folge hatten. Unter dem Eindruck dieser Erfahrung hat Außenminister Fischer Ende September zu einem Symposium eingeladen, auf dem das Verhältnis von Medien, Hilfsorganisationen und Politik kritisch beleuchtet wurde. "der überblick" dokumentiert die Beiträge von Thomas Gebauer und Horand Knaup zu diesem Sysmposium.
von Thomas Gebauer
Eine kritische und pointierte Betrachtung des Verhältnisses zwischen Humanitärer Hilfe und Medien klingt nach Medienschelte. Und ich befürchte, ganz ohne wird es nicht gehen. Sehen Sie mir das bitte nach. Viele Hilfsorganisationen hängen in hohem Maße von der Resonanz in den Medien ab. Und nur damit das Verhältnis untereinander ein konstruktives bleibt, überhäufen wir Sie, die Vertreter der Medien, heute ausnahmsweise nicht mit Presseerklärungen und Spendenappellen, sondern mit kritischen Anmerkungen.
Meine erste These kommt ein wenig paradox daher und besagt, dass die Wirklichkeit unsichtbar wird, indem sie immer überwältigender medial ins Bild gesetzt wird.
Bekanntlich ereignen sich die Dinge heutzutage ja erst dann wirklich, wenn sie in den Medien sichtbar werden - ein sonderbares Kulturphänomen, an dessen Zustandekommen die Medien selbst großen Anteil gehabt haben. Die Konsequenzen für die Not- und Entwicklungshilfe sind beträchtlich. Wenn die öffentliche Wahrnehmung auf einzelne spektakuläre Katastrophen verengt wird, geht der Blick für andere Katastrophen und die alltäglichen Nöte und Schrecken, denen Menschen in aller Welt unablässig ausgesetzt sind, verloren.
Wirklichkeiten, die nicht ins mediale Bild passen, weil sie nichts Aufregendes mehr zu bieten haben oder sich einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort ereignen, bleiben unsichtbar und gelten bestenfalls noch als "vergessene Konflikte". Das alltägliche Verrecken von Menschen erregt kein öffentliches Aufsehen, scheint nicht eigentlich mehr wahr und wird aus dem Bewusstsein verdrängt. Anders als Naturkatastrophen, die den Eindruck schicksalsgegebener Menschheitsprüfungen erwecken, oder Kriege, die sich so trefflich falsch aus der Irrationalität von Schurken und Schurkenstaaten erklären lassen, verweisen Flucht, Krankheit und Hunger auf die beschämende Tatsache, dass all dies - gemessen an dem Entwicklungsstand der Welt - durchaus vermeidbar wäre.
Auf scheinbar paradoxe Weise befreit gerade die Überzeichnung des katastrophalen Geschehens von der Verantwortung, dagegen etwas in einem ursächlichen Sinne zu unternehmen. Unsichtbar machen sich die Waffen, je blutiger die Wunden sind.
These zwei: Statt die Ursachen des Unglücks zu skandalisieren, begnügt sich die Mehrzahl der Medien (wie übrigens auch viele Hilfswerke) damit, es zu dramatisieren.
Hautnah dran zu sein, dichte Reportagen zu schreiben, so der Journalist Riszard Kapuscinski kürzlich in einem Interview mit der "Frankfurter Rundschau", ist gar nicht das Problem. Man muss nah dran sein, um gut berichten zu können, freilich nicht mit dem Gedanken an Einschaltquoten und Werbeeinnahmen, sondern bemüht um die Aufklärung der Hintergründe von Missständen.
Beispiel Mosambik: Durch einen langjährigen Stellvertreterkrieg verwüstet, ist das Land seit langem bettelarm. Nach Kräften haben sich Hilfsorganisationen um den Wiederaufbau gekümmert. Aber solange das Elend nur Nachkriegs-Alltag blieb, traf es auf kein großes Interesse. Erst die Toten, die in den Fluten umgekommen sind, haben aus der Not wieder eine Schlagzeile gemacht und die Kamerateams auf den Plan gerufen.
Die Bilder, die wir dann zu sehen bekamen, passten in die Zeit. Weiße Hubschrauberpiloten, die schwarzen Kindern aus den Fluten halfen - eindrücklicher lässt sich die Ordnung einer Welt, die scheinbar nicht zu retten ist, nicht darstellen. Das wirklich Skandalöse, über das zu berichten gewesen wäre, aber trat hinter den Mythos der ganz und gar hilflosen Opfer, für die nun alles Notwendige getan werde, zurück.
Eine Randnotiz blieb, dass schwere Unwetter, wie sie in diesem Jahr im südlichen Afrika gewütet haben, nur deshalb so katastrophale Auswirkungen haben, weil ihnen die Menschen infolge einer verfehlten Politik schutzlos ausgeliefert sind. Marginal auch die Kritik an den Ländern des Nordens und den von ihnen kontrollierten internationalen Finanzinstitutionen. Aufgrund ihrer Weigerung, der Forderung nach einem Schuldenerlass nachzukommen, und der Auferlegung von Strukturanpassungsprogrammen sind sie unmittelbar für die dramatische Situation in Ländern wie Mosambik verantwortlich.
Vom moralischen Standpunkt aus betrachtet war der öffentliche Druck, den die Medien auf die Bundesregierung ausgeübt haben, durchaus berechtigt. Die Überzeugung, dass man angesichts der Not von Menschen nicht tatenlos zusehen kann, darf aber nicht zur Beförderung substanzloser Handlungen führen. Die Entsendung von Hubschraubern nach Mosambik war aus fachlichen Gründen unnötig. Es kam dennoch dazu, weil der Politik eine solche Entscheidung von den Medien regelrecht aufgenötigt wurde. Ein Beispiel dafür, dass sich das scheinbar Plausible als unangemessener und teurer Aktionismus erweisen kann, der Bilder und Stories liefert - und die Spenden und das nationale Prestige mehrt -, dem realen Missstand aber nicht eigentlich entspricht. Symptomatisch die kleine Episode, die uns aus Beira berichtet wurde, wo ein Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes, der gerade eingetroffen war, ohne Einsatzplan aufsteigen musste, damit die versammelten Journalisten endlich ihr Bild im Kasten hatten.
Die Wassermassen in Mosambik waren bereits weitgehend abgeflossen, als hierzulande noch immer Bilder von der Flut durch die Medien geisterten. Das Unglück wurde künstlich verlängert und die Menschen, die längst mit eigenen Wiederaufbaubemühungen begonnen hatten, in einem Opferstatus festgeschrieben. Solche Berichterstattung dient nicht der Aufklärung, sondern der Fortschreibung von Mythen, was kurzfristig Aufmerksamkeit schafft, sich auf Dauer aber gegen die Idee der Humanitären Hilfe wenden wird. Fürstin Gloria von Thurn und Taxis hat das vor einigen Jahren schon in dem bemerkenswerten Satz zusammengefasst, ganz Afrika lebe doch eh nur aus unserem Portmonee.
Medienkampagnen, die voll auf den Affekt setzen und das Unglück dramatisieren, können sich als fatal erweisen. Die Mittel, die so beschafft werden, sind zweckgebunden. Sie dienen der Symptommilderung und stehen immer weniger für Ursachenbekämpfung und langfristige Entwicklungsbemühungen zur Verfügung. Organisationen, die Nothilfespenden für mittel- und langfristige Wiederaufbauleistungen zurücklegen, sehen sich schnell öffentlicher Kritik ausgesetzt. Man muss nicht mit Rupert Neudeck einverstanden sein, um in dem kürzlich erhobenen Vorwurf, er habe Geldmittel nicht umgehend ausgegeben, auch etwas Unsinniges ausmachen zu können. Ja, Katastrophen, die medial hoch gepuscht werden, können auch zur Katastrophe von Hilfswerken werden. Der Mittelabflussdruck, der für Projekte im Kosovo bestehen mag, korrespondiert mit leeren Kassen für Hilfen, die in unpopulären Regionen der Welt, denken Sie an Nordkorea oder den Sudan, dringend notwendig wären.
Das führt mich zur dritten These, die sich auch mit der eigenen Zunft auseinandersetzen muss. Sie lautet provozierend: Je sichtbarer die Hilfe, desto entfernter die Veränderung.
Die Beseitigung von Kriegs- und Katastrophenschäden erfordert ein langfristiges Bemühen. In einem gemeinsamen Positionspapier haben die im Verband Entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen (VENRO) zusammengeschlossenen Nothilfe-NROs ihre Vorstellungen von Nothilfe dargelegt. Das Ziel ist eine nachhaltige humanitäre Hilfe, die kontext- und partnerorientiert sein muss - von Anfang an. Interventionistische Hilfsprogramme, die von außen übergestülpt werden, können mehr schaden als nutzen, auch wenn sie sich noch so gut für eine mediale Verwertung eignen mögen.
Die Sichtbarkeit der Hilfe in Gestalt von Nothelfern, die mit Uniformen, T-Shirts mit Aufdruck und immer größer werdenden Hinweistafeln auf sich aufmerksam machen, ist nicht unbedingt ein Kriterium für eine angemessene Hilfe zur Selbsthilfe, die vor allem eines, nämlich lokale Partner braucht. Auch Flugzeuge voller Hilfsgüter und beeindruckendem Rettungsgerät sagen alleine noch nichts über eine kontextgerechte Unterstützung aus.
Humanitäre Hilfe ist leider nicht davor gefeit, für vielerlei eigennützige Zwecke instrumentalisiert zu werden. Geschäftemacher haben das erkannt, die Hilfswerke selbst und auch die Medien, die unterdessen begonnen haben, eigene Hilfsorganisationen aufzubauen. So wie RTL mit seiner Stiftung "Hilfe für Kinder", die 1997 entstand und heute eigene Hilfsprojekte fördert, unter anderem in Thailand. Statt klarer Rollenteilung sind hier die Vorboten eines selbstreferenziellen "Humanitär-Industriellen-Komplexes" auszumachen, der in Zukunft droht.
Auch Politiker haben verstanden, wie gut sich humanitäre Hilfe zur Durchsetzung politischer Zwecke und der öffentlichen Inszenierung politischer Handlungsfähigkeit nutzen lässt. Letzteres erfordert, dass sie ihren Einsatz ebenfalls auf Ereignisse konzentrieren, die bereits in den Medien sichtbar geworden sind. Eine zupackende Aktivität in spektakulären Katastrophen kann von den großen ungelösten Zukunftsaufgaben entlasten. Auf Dauer aber lassen sich die Legitimationsdefizite der Politik, die angesichts der krisenhaften Entwicklung der Welt eher noch zunehmen werden, so nicht überwinden. Wenn es nur noch um die Abmilderung humanitärer Krisen geht und nicht mehr um deren Verhinderung, dann wird auch von der guten Idee der Krisenprävention nur noch ein schöner Schein bleiben.
Medien wie auch Hilfswerke können daran mitwirken, dass eine solche Entwicklung nicht eintritt. Allerdings erfordert Krisenprävention per definitionem öffentliche Aufmerksamkeit für andere Länder gerade in Zeiten, in denen es von dort nichts Spektakuläres zu berichten gibt. Ich gebe zu, dass dies für Medien ein Dilemma bedeuten kann. Die Frage ist nämlich, wie eine gelungene Prävention darzustellen wäre. Mithin etwas, das nicht lärmend eingetreten ist und nicht sichtbar werden kann und doch das höchste Anrecht hätte, täglich im Fernsehen und auf den Titelseiten der Zeitungen benannt zu werden. Diese Frage scheint ebenso absurd, wie sie auf den Kern des Problem verweist. Die wohlklingende Rhetorik von Krisenprävention und Katastrophenvorbeugung wird erst dann zu einem politischen Faktum, wenn dafür auch die notwendigen Mittel bereitstehen. Dafür aber, das lehrt die Erfahrung, bedarf es einer wachsamen Öffentlichkeit und öffentlichen Drucks.
Eine letzte These: So wenig wie es die humanitäre Hilfe gibt, so wenig gibt es die Medien.
aus: der überblick 04/2000, Seite 103
AUTOR(EN):
Thomas Gebauer:
Thomas Gebauer ist Geschäftsführer von Medico International in Frankfurt am Main.