"Unsere Politiker kümmern sich nicht um die kleinen Landwirte"
Wichtige Weichen für die Verhandlungen über Welthandelsregeln dürften im September auf der fünften Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Mexiko gestellt werden. Für die ländliche Bevölkerung im Süden haben die WTO-Abkommen mit Bezug zur Landwirtschaft und Artenvielfalt die größten Folgen: Die Bestimmungen über Patente auf Saatgut und Organismen, aber auch das Abkommen über den Agrarhandel. Warum, erklären Joji Carino von den Philippinen, Yoke Ling Chee aus Malaysia und P.V. Sateesh aus Indien, die Partnerorganisationen des EED vertreten.
von Bernd Ludermann
Welche Fragen der laufenden WTO-Verhandlungen machen Ihnen am meisten Sorge?
Carino: Für uns ist das Agrarabkommen besonders wichtig. Es hat sich auf die indigenen Gemeinschaften, die wir vertreten, sehr destruktiv ausgewirkt. Die Regierung der Philippinen hat den Import von Gemüsesorten, die im temperierten Klima wachsen, aus Australien und Neuseeland erlaubt. In unserem hoch gelegenen Siedlungsgebiet ist gerade der Verkauf dieser Gemüsesorten in die Städte die wichtigste Geldquelle. Der Markt dafür ist infolge der Importe praktisch zusammengebrochen.
Die Importe waren eine Folge von Zollsenkungen?
Carino: Ja. Zweitens ist der Schutz des traditionellen Wissens unter dem TRIPS-Abkommen für uns ein großes Anliegen. Wir sind sehr besorgt über die Tendenz, das traditionelle, kollektive Wissen eng zu verstehen und als privates Recht am geistigen Eigentum zu fassen.
Sateesh: Wir arbeiten mit Kleinbäuerinnen und -bauern in benachteiligten Gebieten an der Erhaltung der Artenvielfalt in der Landwirtschaft, an der Ernährungssicherung und am Aufbau autonomer Gemeinschaften. Wir bauen eine Art lokale Festungen, in die internationale Agrarabkommen nicht eingreifen können, solange die Menschen auf sich gestellt leben können. Aber wir unterstützen NGOs aus ganz Südasien, die sagen: Der Streit über das Agrarabkommen muss endlich gelöst werden.
Können sich kleine oder mittlere bäuerliche Betriebe aus dem Markt zurückziehen? Müssen sie nicht auch Geldeinkommen erzielen?
Sateesh: Der Markt ist konzentrisch aufgebaut: Zuerst kommen lokale Märkte, dann regionale, dann der landesweite Markt und erst dann die Exporte. Unser Ansatz widerspricht deshalb nicht dem Interesse der kleinen und mittleren Betriebe. Mittlere Höfe haben bei uns zwischen ein Zehntel und ein Fünftel Hektar Land, das ist für deutsche Verhältnisse winzig. Für deren Überschüsse ist der lokale Markt groß genug. Internationale Agrarabkommen können da nicht eingreifen, solange die Gemeinschaften stark sind.
Entscheidend für die Kleinlandwirtschaft ist aber, dass keine Patente auf Leben gewährt werden. Alle Schutzmechanismen wie die Offenlegung des Materials, auf dem solche Patente beruhen, oder die Teilung der Gewinne werden niemals den kleinen Landwirten helfen, sondern von den Großen, der Politik und der Industrie ausgenutzt werden. Unsere Regierungen lassen uns in dieser Frage allein. Wenn große Länder wie China, Indien und andere aus Asien die ethisch wohl begründete Forderung der afrikanischen Gruppe unterstützen würden, Patente auf Leben zu verbieten, dann hätte das international wesentlich mehr Gewicht. Wichtig ist für uns natürlich auch der Schutz des traditionellen Wissens. Die Informations- und Bioindustrie behandelt lokale Wissenssysteme als minderwertig. Aber wir glauben, dass diese, nicht die Biotechnologie, den Weg vorwärts weisen.
Chee: Auf kleiner Landwirtschaft beruht tat-sächlich in vielen Gebieten die Ernährungssicherung und die Wirtschaft. Aber es gibt hier wichtige Unterschiede zwischen den Ländern. In Indien kann man Festungen gegen den Weltmarkt bauen. Anderswo - sogar in den Anden, wo es ebenfalls selbsttragende Systeme gibt - hängen die Menschen stärker davon ab, Produkte auf Märkten zu verkaufen, die als Folge des Agrarabkommens von billigen Importen zerstört werden. Dann gibt es Länder, die netto Nahrungsmittel importieren und von Selbstversorgung weit entfernt sind. Sie haben schon unter den Strukturanpassungsprogrammen, die ganz ähnliche Vorgaben gemacht haben wie das WTO-Agrarabkommen, ihre Märkte geöffnet, was die Landwirtschaft zerrüttet hat. Hier muss man die nötigen Nahrungsimporte kontrollieren und gleichzeitig bäuerliche Gemeinschaften zum Beispiel beim Kampf um Landrechte und Saatgut unterstützen; das heißt unter den WTO-Abkommen müssen solche Schutzmaßnahmen für die Ernährungssicherung erlaubt werden. Und schließlich sind - ob uns das gefällt oder nicht - viele arme Staaten Exporteure von Gütern wie Kaffee und Baumwolle. Die wachsen auf einem Teil des besten Bodens und werden vom Agrarabkommen gar nicht erfasst.
Da ist aber nicht der Marktzugang das Problem, sondern der Verfall der Preise, oder?
Chee: Richtig. Die früheren Preisstabilisierungssysteme funktionieren nicht mehr. Die Weltbank hat vielen Ländern geraten, zum Beispiel Kaffee oder Ölpalmen anzubauen, und das Ergebnis ist ein enormes Überangebot und ein Preisverfall. Da sind Preisinterventionen nötig.
Sehen Sie irgendeine Chance, die in der WTO auch nur zu diskutieren?
Chee: Dafür brauchen wir andere Instrumente; das Agrarabkommen ist nur ein Teil der Agrarmarktregulierung. Dann stößt die Förderung der nachhaltigen Landwirtschaft auf viele Probleme mit Patenten und Biotechnologie, und die werden vom TRIPS-Abkommen gefördert. Die Frage der Landwirtschaft ist also sehr komplex. Wir vom Third World Network wollen deshalb in der gegenwärtigen WTO-Runde keine Verhandlungen über neue Themen wie Investitionen, die dann auch unsere restlichen Schutzmechanismen noch abschaffen. Es gibt genug an den bestehenden Abkommen zu berichtigen und sinnvolle Bestimmungen erst noch umzusetzen.
Ist es schwierig, sich unter den NGOs auf ein gemeinsames Vorgehen zu verständigen?
Sateesh: Unter NGOs weniger. Wir stehen alle vielen Aspekten der Globalisierung kritisch gegenüber. Man muss aber sehen, dass das Agrarabkommen befreundete Staaten zu Gegnern gemacht hat. Wenn man heute in Indien fragt, wer unsere Gegner im Agrarbereich sind, sagen wir sofort: China, Vietnam und Malaysia. Reis kommt aus China und Vietnam, Palmöl aus Malaysia; das lässt unsere Agrarmärkte zusammenbrechen. Aber diese Marktstörungen sind vorübergehend. Die langfristigen Schäden werden vom Import genetisch veränderter Pflanzen ausgehen. Indien ist zum Beispiel ein riesiger Markt für Soja, Baumwolle und Reis. Wenn da genveränderte Sorten eingeführt werden, ist unsere Landwirtschaft am Ende. Doch da wir uns in Asien über kurzfristige Fragen streiten, können wir nicht gemeinsam dieser langfristigen Gefahr begegnen. Das ist sehr gefährlich.
Finden Sie die Haltung der EU-Kommission zu den WTO-Verhandlungen hilfreich?
Chee: Die meisten unserer NGOs im Süden sind wie wir strikt dagegen, das Mandat der WTO noch weiter auszudehnen und neue Themen aufzugreifen. Die EU sollte auf dieser Forderung nicht weiter bestehen. Das ist für sie anscheinend ein innenpolitisches Problem. Man erklärt uns, die EU könne Agrarreformen nicht durchsetzen, ohne von den WTO-Verhandlungen eine Gegenleistung mitzubringen. Aber wir im Süden haben ja schon vor zehn Jahren zahlreichen Gegenleistungen für solche Reformen zugestimmt, zum Beispiel dem TRIPS-Abkommen. Unsere Verhandlungsführer sind ja nicht blöd. Sie wussten, dass dieses Abkommen nicht zu unserem Nutzen ist. Doch sie glaubten an den guten Willen der Industrieländer - daran, das im Gegenzug die Agrarsubventionen abgebaut würden, dass im Textilsektor faire Handelsregeln gelten würden und dass der Norden auf multilaterale Regeln setzt und darauf verzichtet, Länder einzeln unter Druck zu setzen. Das alles ist nicht passiert. Und jetzt verlangt die EU neue Gegenleistungen, bevor sie bestehende Zusagen einhält.
Sateesh: Es genügt daher nicht, wenn wir unsere Bauern und Bäuerinnen zusammenbringen. Wenn wir eine Verständigung zwischen Bauern im Süden zustande bringen und dann auch mit denen im Norden, dann können wir vielleicht unsere Regierungen dazu bringen, ihr Verhalten zu ändern.
Carino: Das wird aber ein hartes Stück Arbeit. Schon verschiedene Gruppen aus unseren eigenen Gesellschaften oder Bauernbewegungen zusammenzubringen, ist nicht einfach - dann mit anderen sozialen Bewegungen und NGOs, das wird schwierig. Ich denke allerdings, wir können eine Haltung der Solidarität finden, wenn wir uns ernsthaft dafür einsetzen. Hier in Iserlohn zum Beispiel habe ich viel gelernt. Ich habe nicht oft Gelegenheit zu solchem internationalem Austausch. Gerade wir indigenen Völker neigen dazu, uns nur untereinander zu treffen.
Chee: Wir haben aber schon einiges erreicht. Viele NGOs sind gut vernetzt, und im Norden wächst das Bewusstsein, dass wir ein besseres Verständnis und neue Ideen brauchen. Den NGOs fällt da eine besondere Verantwortung zu, denn sie können frei über diese Fragen reden. Es ist leichter, Süd-NGOs mit Ministerien im Norden ins Gespräch zu bringen, als es für unsere Regierungsvertreter ist, mit Euren wirklich zu diskutieren. In vielen internationalen Verhandlungen hört man sich überhaupt nicht gegenseitig zu. Anders war das auf dem Umweltgipfel in Rio 1992, da hat man wirklich miteinander diskutiert. In dieser Hinsicht gab es in den vergangenen zehn Jahren einen Rückschritt.
Finden Sie es einfacher, mit Regierungsvertretern aus dem Norden zu reden als mit denen Ihres eigenen Landes?
Chee: Ich habe einen sehr guten Zugang zu meiner Regierung, wahrscheinlich besser als die NGOs in Deutschland.
Sateesh: Unser Problem ist: Indien ist ein Land der dritten Welt, aber unsere Bürokraten und Politiker denken, wir sind Teil der Ersten Welt, und benehmen sich so. 500 Millionen kleine Bäuerinnen und Bauern werden dabei ignoriert und übergangen. Auch unsere Delegierten bei der WTO haben solch eine verzerrte Perspektive. Wenn Bürokraten einmal über die wahren Probleme des Landes reden, kommen wir mit ihnen ins Gespräch, aber das tun sie in der Regel nicht.
Chee: Das Verhältnis von NGOs und Behörden hängt aber von den Umständen ab und ändert sich. In den 1970er Jahren galten NGOs in Malaysia als regierungs- und fortschrittsfeindlich. Auch in den 1980ern, zur Zeit der schnellen Industrialisierung und des Vordringens einer Konsumkultur, war das Verhältnis von Konfrontation geprägt. Trotzdem haben wir Freude auch in Behörden gefunden. Internationale Konferenzen wie der Erdgipfel in Rio de Janeiro waren dann die Gelegenheit, den politischen Prozess zu öffnen. Unser Spielraum in Malaysia ist wegen dieser internationalen Bühne stark gewachsen. Heute haben wir als NGOs immer noch ein gespanntes Verhältnis zu vielen Teilen der Regierung. Zugleich haben wir gute Beziehungen zum Beispiel ins Umweltministerium. Eine Regierung ist ja nicht monolithisch. Und inzwischen haben die Politiker akzeptiert, dass NGOs eine legitime Lobby- und Advocacy-Rolle haben. Da sind wir weiter als viele Länder Lateinamerikas oder auch Thailand und Indonesien. Auch meine Freunde in den USA, Kanada oder Japan sind frustriert, weil sie kaum Chancen auf eine wirklich Debatte über ihre Argumente mit der Regierung haben. Wir werden zumindest fair angehört.
Carino: Auf den Philippinen sind die Gesetze über die Arbeit von NGOs und die Rechte indigener Völker über die Jahre verbessert worden. Zum Beispiel wenn wir uns gegen den Bau von Staudämmen in unseren Siedlungsgebieten wehrten, konnte die Regierung erklären, dass wir keinerlei Recht auf das Land hatten. Das war die Lage bis 1983. In der Verfassung wurden unsere Rechte dann 1987 anerkannt und 1997 das Gesetz über die Rechte indigener Völker eingeführt. Nur: Die Rezepte der internationalen Institutionen wie des Weltwährungsfonds haben das Land auf Dauer wirtschaftlich so geschwächt, dass es jetzt in internationalen Verhandlungen kaum seine Stimme erheben kann. Trotz der für NGOs relativ günstigen Gesetze können wir die Regierung daher nicht bewegen, eine harte Haltung in internationalen Verhandlungen einzunehmen und sich gegen, zum Beispiel, die USA zu stellen.
Können die Philippinen angesichts dieser schwachen Position denn die Flexibilität im TRIPS-Abkommen nutzen, die der Vertreter der EU-Kommission herausgestellt hat - zum Beispiel die Möglichkeiten für Patente einschränken?
Carino: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Vor kurzem haben die Philippinen ihr Gesetz über den Schutz von Pflanzensorten ausgearbeitet. Der erste Entwurf war gut. Da begann USAID, die Entwicklungsbehörde der USA, zahlreiche Anstrengungen auf den Philippinen zu finanzieren, um die Stoßrichtung des Gesetzes völlig umzukehren. Jetzt ist es ganz auf der Linie der Saatgut-Industrie.
Indien ist gegenüber solchem Druck weniger verwundbar, oder?
Sateesh: Theoretisch sind wir wirtschaftlich stark und können solchem Druck widerstehen. Wir haben ein demokratisches System und gute Massenmedien. Aber seltsamerweise singen die Politiker, die Bürokraten, die Medien und die städtische Öffentlichkeit alle dasselbe Lied: Patente seien gut für uns, und wir sollten die WTO nutzen, um uns Exportmärkte zu erschließen. Die große Zahl kleiner und mittlerer Bauern und Bäuerinnen bleibt außen vor. Man muss aber auch sagen, dass Themen wie die WTO oder TRIPS, für die sich NGOs lange kaum interessiert haben, jetzt von ihnen beachtet werden. Und die Phase, da NGOs vor allem um Zuschüsse konkurrierten, geht zu Ende. Das sind zwei erfreuliche Entwicklungen in Indien.
aus: der überblick 03/2003, Seite 126
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".