Besuch bei Partnerorganisationen
Krischan Johannsen (45) ist Referent für das westliche, zentrale und lusophone Afrika bei Dienste in Übersee (DÜ). Er war Anfang Oktober in Freetown in Sierra Leone. Zum einen, um mit Partnerorganisationen zu diskutieren, wie DÜ den Wiederaufbau in dem durch Bürgerkrieg zerstörten Land unterstützen kann. Zum anderen, um Fachkräfte aus Sierra Leone zu besuchen, die DÜ nach ihrer Ausbildung in Deutschland zurück in ihre Heimat vermittelt hatte (Re-Integrationsprogramm).
von Ilse Preiss
Gespräch mit Krischan Johannsen
Wie haben Sie die politische Situation in Sierra Leone erlebt?
Es herrscht noch kein Frieden. Aber in der Hauptstadt Freetown kann man sich auch auf Grund der Präsenz der 13.000 Mann starken UN-Friedenstruppe sicher bewegen. Reisen aufs Land sollten allerdings nicht unternommen werden, vor allem nicht in den Norden und Osten, wo gekämpft wird. Im Süden dagegen scheint es relativ ruhig zu sein. Immerhin besteht überhaupt Hoffnung auf ein Ende dieses Krieges, seit die UN-Truppen im Land sind.
Und die Bevölkerung?
Der Generalsekretär des Christenrats, Alimami Koroma, sagte es so: "Wir haben hier 4,5 Millionen Menschen, die enttraumatisiert werden müssen." Das ist ein zentrales Arbeitsfeld, auf dem unsere Partner dringend Unterstützung benötigen. Denn es gibt im ganzen Land nur einen einzigen Psychiater es ist also ganz klassisch Fach-Know-how gefragt. Ein besonderer Aspekt dabei gilt der Situation der Menschen, denen von den Rebellen Gliedmaßen grausam abgehackt wurden. Um ihnen zu helfen, braucht es Ergotherapeuten. Auf diese beiden Bereiche beziehen sich die ersten Anfragen, die wir bei DÜ bearbeiten werden.Ist für DÜ derzeit eine Fachkraft-Vermittlung überhaupt vorstellbar?
Im Moment würden wir es wagen. Denn wir sehen, wie überaus dringend der Bedarf ist. Wir würden allerdings nur nach Freetown vermitteln, wo wir unsere Leute in ein Netz von internationalen Organisationen integrieren könnten, die Evakuierungspläne haben. Aber so könnte man wenigstens einen Anfang machen. Und zwar in einem Punkt, den die Partner durchweg als entscheidend ansehen: Sie brauchen alle Arten von Personalplanung und Personalentwicklungsmaßnahmen. Gerade die kirchlichen Organisationen sind alles andere als reich. Ihnen fehlen qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Ausbildung sie sich aber nicht leisten können. Sie haben deshalb eine Voranfrage in Sachen "Capacity Building" gestellt.
Nach mehr als zehn Jahren Bürgerkrieg ist der Weg zum Wiederaufbau weit...
... sehr weit! Unsere Partnerorganisationen haben deshalb Versöhnungsarbeit als weiteren Bereich identifiziert, bei dem sie auf unsere Unterstützung hoffen. Ohne Versöhnung zwischen den verfeindeten Gruppen kann die Wiederansiedlung der vielen Flüchtlinge und Vertriebenen nicht gelingen immerhin rund ein Fünftel der Bevölkerung.
In den Rebellengruppen kämpfen ja auch viele Jugendliche, sogar Kinder...
Das ist meiner Einschätzung nach mit das schwierigste Problem, das gelöst werden muss. Die meisten jugendlichen Soldaten sind drogenabhängig, fast alle schwer traumatisiert. Und vielen fehlt jegliche Schulbildung. Sierra Leone hatte schon vor dem Krieg eine der höchsten Analphabetenraten in Afrika; im Krieg wurden die wenigen überwiegend von Kirchen geführten Schulen zerstört. Bei unseren Partnerorganisationen gibt es Pläne, ein neues Schulsystem aufzubauen, logischerweise mit einem Schwerpunkt auf Berufsausbildung. Im Moment wird dazu im Auftrag von Brot für die Welt eine Studie erstellt. Je nach Ergebnis könnte das ein weiteres Betätigungsfeld für DÜ-Fachkräfte sein.
Sie haben auch Fachkräfte besucht, die DÜ nach ihrer Ausbildung in Deutschland zurück in ihre Heimat vermittelt hat. Wie kommen die zurecht?
Beide aktuellen Maßnahmen laufen gut. Ein Agrarökonom arbeitet mittlerweile in leitender Funktion bei einer adventistischen Organisation, die ein großes Fischerdorf wieder aufbaut. Ein Ökonom wurde an ein Consulting-Unternehmen vermittelt, das jetzt, mit der Hoffnung auf Frieden, mehr und mehr Aufträge für strategische Aufbaupläne bekommt. Es gibt in Sierra Leone noch eine Reihe von zurückgekehrten Fachkräften, deren Verträge mit DÜ ausgelaufen sind, die sich aber weiter im Land engagieren.
Wie hat der Krieg die Arbeit der Partnerorganisationen beeinflusst?
Ich habe ja von 1986 bis 1990 selbst in Sierra Leone gearbeitet und kenne deshalb die meisten unserer Partnerorganisationen gut. Ich habe festgestellt: Sie sind klarer, akzentuierter, mutiger und profilierter als vor dem Krieg. Sie haben sich durch unzählige Schwierigkeiten gekämpft und sagen heute sehr deutlich, was sie wollen. Das hat mir sehr imponiert. Ich gebe deshalb gerne weiter, was mir viele Gesprächspartner in Sierra Leone besonders ans Herz gelegt haben: "Noch wichtiger als Geld ist für uns, dass dieses Land nicht von der politischen Agenda in Europa verschwindet".
aus: der überblick 04/2000, Seite 128
AUTOR(EN):
Ilse Preiss:
Ilse Preiss ist freie Journalistin.