Für bäuerliche Gemeinschaften sind Patente auf Lebensformen und Saatgut eine Bedrohung
Die Welthandelsregeln verlangen seit 1995, dass alle Mitgliedsländer der Welthandelsorganisation WTO einen Patentschutz einführen. Wieweit auch Lebensformen patentiert werden sollen, ist umstritten. Aber die Folgen für die Landwirtschaft und den Schutz traditionellen Wissens sind weitreichend.
von Bernd Ludermann
Bäuerliche und indigene Gemeinschaften im Süden fühlen sich bedroht von der Einführung von Patentgesetzen nach dem Muster von Industrieländern. Denn die geben Firmen ein Instrument, sich überlieferte Kenntnisse von Gemeinschaften im Süden anzueignen, dort vorkommende Lebensformen zu patentieren sowie deren freie landwirtschaftliche Nutzung einzuschränken. Auch Bauern in Europa sowie kirchliche und Umweltgruppen sind beunruhigt über die Patentierung von Lebensformen und Gensequenzen - unter anderem aus ethischen und ökologischen Gründen.
Dieses Unbehagen gegenüber einer Entwicklung, die bereits weit fortgeschritten ist, war auf einer Tagung in Iserlohn Anfang Juli zu spüren. Unter dem Titel "Wessen Eigentum? Patentierung von pflanzengenetischen Ressourcen: Motor für den Norden - Bremse für den Süden?" hatten der EED, "Brot für die Welt", die Kammer der EKD für Umwelt und Entwicklung, das Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen sowie das Forum Umwelt und Entwicklung eingeladen. Sie wollten zu einem ent- scheidenden Zeitpunkte in die Debatte eingreifen: Im September tagt in Cancún in Mexiko die fünfte Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO). Dort können wichtige Entscheidungen für die laufende Verhandlungsrunde über Welthandelsregeln fallen.
Eins der Streitthemen ist das Abkommen über "Handelsbezogene Aspekte von Rechten am geistigen Eigentum", das so genannte TRIPS-Abkommen. Es verpflichtet alle Mitgliedstaaten der WTO, auf ihrem Gebiet ein Mindestmaß an Schutzrechten für geistiges Eigentum einzuführen wie Handelsmarken, Urheberrechte und eben Patente: Jede verwertbare neue Erfindung von Produkten oder Prozessen muss patentierbar sein und das Patent mindestens 20 Jahre gelten. Davon dürfen die Staaten medizinische Behandlungsmethoden sowie Pflanzen und Tiere ausnehmen, nicht aber Mikroorganismen; für Pflanzensorten müssen sie Patente oder einen wirksamen anderen (sui generis) Schutz vorsehen. Die Konferenz in Iserlohn konzentrierte sich auf die Folgen im Bereich von Landwirtschaft und Ernährung. Aus Indien, Malaysia, den Philippinen und Südafrika nahmen Vertreterinnen und Vertreter von Partnerorganisationen des EED teil.
Eins ihrer Anliegen ist der Schutz vor Bio-Piraterie. Die liegt vor, wenn Firmen oder Forschungseinrichtungen Patente auf biologisches Material oder seine Nutzung anmelden, ohne das Ursprungland des Materials oder die Gemeinschaften, auf deren überliefertes Wissen die Nutzung zurückgeht, um Zustimmung zu fragen und zu entschädigen. Christoph Then von Greenpeace nannte ein Beispiel: Der US-Konzern Monsanto erhielt vor kurzem vom Europäischen Patentamt ein Patent auf eine Weizensorte mit besonderen Backeigenschaften sowie auf Produkte, die daraus hergestellt werden. Nur mit Genehmigung von Monsanto darf nun dieser Weizen angebaut und weiter gezüchtet und dürfen Kekse, Brot und Gebäck daraus verkauft werden. Dabei hatten zuerst indische Bauern Weizen mit diesen Backeigenschaften gezüchtet; diese Sorten, so Christoph Then, hat Monsanto lediglich mit anderen Pflanzen gekreuzt, wie es Bauern ständig tun.
Zustimmungsrechte und Entschädigungen für die Ursprungsländer oder -gemeinschaften fordert die UN-Konvention über biologische Vielfalt (CBD) aus dem Jahr 1992. Sie schafft ein Verfügungsrecht der Nationalstaaten über biologische Ressourcen auf ihrem Territorium. Sie verpflichtet ihre Mitgliedsstaaten, die Rechte von indigenen Völkern und traditionellen Gemeinschaften an biologischen Ressourcen und Wissenssystemen zu schützen, und verlangt die gerechte Teilung der Gewinne aus deren Nutzung. Hiervon ist im TRIPS-Abkommen nicht die Rede; das Verhältnis der beiden Verträge zueinander ist daher ein Streitpunkt auch für Cancún.
Indigene Völker und bäuerliche Gemeinschaften wollen zu einen für die Nutzung ihres Wissens eine Beteiligung am Gewinn. Dies haben jüngst die San ist Südafrika für die Nutzug eines Kaktus, der das Hungergefühl unterdrückt, von einem Pharma-Konzern erstritten, berichtet Victoria Geingos von der San-Organisation WIMSA in Iserlohn. Um so etwas sicherzustellen, kann man im nationalen Patentrecht oder im TRIPS-Abkommen vorschreiben, dass benutztes biologisches Material und traditionelles Wissen offengelegt wird.
Joji Carino von Tebtebba, einer weltweiten Organisation indigener Völker, und P.V. Sateesh von der Deccan Development Society (DDS) in Indien verlangen darüber hinaus, dass traditionelles Wissen nur mit Zustimmung der Gemeinschaften, von denen es stammt, verwendet werden darf. Die DDS hält zusammen mit Bäuerinnen und Bauern deren Wissen über die vielfältigen Kulturpflanzen in Registern fest. So kann nachgewiesen werden, wenn eine angebliche Erfindung in Wahrheit nicht neu ist, sondern aus dem Schatz traditionellen Wissens stammt.
Um geistige Eigentumsrechte auf ihr Wissen geht es indigenen Völkern aber nicht. "Das würde die Natur dieses Wissens pervertieren", sagt Carino. "Es ist kein Privatbesitz, sondern wird in einer begrenzten Gemeinschaft weitergegeben. Es darf von anderen genutzt werden, aber nur mit unserer Zustimmung; wir wollen nicht, dass es kommerziell verwertet wird." Außerdem, so betont sie, sind Patente zeitlich beschränkt. Den Zugang zu ihrem Wissen müssten Gemeinschaften aber unbefristet genehmigen oder verweigern können. Da widerspricht der Vertreter der Europäischen Kommission, Jean-Charles van Eeckhaute: Entweder die Gemeinschaften erhielten unbefristet einen Teil der Gewinne aus ihrem Wissen oder befristet ein Monopol darauf. In der Tat gibt Carino zu, dass ihre Forderung schwer in Begriffe des modernen, auf dem Individuum beruhenden Rechts zu fassen ist. Sie regt an, über geteilte Rechte nachzudenken nach dem Beispiel Kanadas, wo die Souveränität über das Land der Inuit im Norden zwischen diesen und dem Staat geteilt ist, und fordert starke Verhaltenskodizes für internationale Konzerne.
Auch Sateesh will das traditionelle Wissen in den Registern nicht unbeschränkt öffentlich zugänglich machen. Aber wäre das nicht der beste Schutz gegen Patente? "Nein", sagt Sateesh. "Die Firmen nehmen dann kleine Veränderungen an den Pflanzen vor und patentieren sie doch." Das Beispiel des indischen Weizens scheint ihm Recht zu geben. Ob aber traditionelles Wissen geschützt werden kann, wenn es weder von den Gemeinschaften patentiert noch veröffentlicht wird, und ob eine Geheimhaltung wünschenswert wäre - darauf scheint es keine klare Antwort zu geben.
Noch grundsätzlicher als der Schutz traditionellen Wissen ist die Frage, ob Lebewesen überhaupt patentiert werden sollen. Wie die Bestimmungen des TRIPS-Abkommens hier zu interpretieren sind und ob sie geändert werden sollen, ist ein weiterer Streitpunkt der WTO-Verhandlungen. Sateesh und Carino sind sich einig: Am besten würde das TRIPS-Abkommen so geändert, dass es Patente auf Leben verbietet. Christoph Then sieht das ähnlich; zusammen mit Misereor hat Greenpeace eine Kampagne "Kein Patent auf Leben!" gestartet. Auch die Gruppe afrikanischer Staaten hat bei den WTO-Verhandlungen eine solche Änderung des TRIPS-Abkommens verlangt. Dies lehnt nicht nur die US-Regierung ab, sondern auch die Europäische Union, die - anders als die USA - über Entschädigungsregeln immerhin zu sprechen bereit ist.
Die Malaysierin Yoke Ling Chee vom Third World Network empfiehlt deshalb, den Spielraum, den das TRIPS-Abkommen für die Einschränkung von Patenten lässt, jedenfalls maximal auszunutzen: Die Länder des Südens sollten keine Patente auf Tiere und Pflanzen, Tierrassen und Pflanzensorten, biologische Prozesse oder natürliche Lebewesen und Teile davon erlauben. Mikroorganismen sollten sie nur patentieren, soweit sie von Menschen verändert sind (der Einsatz genetisch manipulierter Mikroorganismen in der Industrie ist eins der wirtschaftlich bedeutendsten Gebiete der Biotechnik, weshalb die Industrieländer beim Abschluss des TRIPS-Abkommens auf deren Patentierung bestanden). Manche NGOs im Süden versuchen, die Gesetze ihres Landes dahingehend beeinflussen. Zuweilen fehlen den Regierungen hier aber Spezialkenntnisse über die Spitzfindigkeiten des Patentrechts, erklärt Michael Frein vom EED.
Zudem ist umstritten, was das TRIPS-Abkommen zulässt. Die USA zum Beispiel leiten daraus die Pflicht ab, alle mikroskopisch kleinen Lebewesen - auch zum Beispiel Pflanzenkeime - als Mikroorganismen zu patentieren, sagt Then. Der Spielraum der Entwicklungsländer ist laut Chee auch anderweitig eingeschränkt: Sowohl die USA als auch die EU strebten in bilateralen Handelsverträgen mit einzelnen Ländern weitergehende Patentregeln an. Für die EU wies van Eeckaute das allerdings zurück.
Eng verbunden mit Patenten auf Lebewesen ist der Schutz von Saatgut. Das TRIPS-Abkommen verlangt, das Recht kommerzieller Züchter an ihren Sorten zu schützen. Aber wie stark muss der Schutz sein? Dahinter steckt die Frage, inwieweit Bauern aus der Ernte von gekauftem Saatgut wieder aussäen dürfen, ohne erneut Lizenzgebühren an den Züchter zu zahlen. Je stärker dieses Recht eingeschränkt wird, desto weniger können kleine Bauern im Süden kommerzielles Saatgut verwenden (im Norden haben sie dazu wenig Alternativen) und desto stärker kontrollieren Züchter, was für lukrative Märkte angebaut wird.
Wohin der Zug geht, erklärt Georg Janssen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in Lüneburg: Ein neues Gesetz macht die Wiederaussaat in Deutschland gebührenpflichtig. Die AbL versucht zu verhindern, dass die Betriebe deswegen umfassend über alles, was sie anbauen, berichten müssen. Das macht deutlich, dass beim Protest gegen Patente auf Lebewesen eine globale Perspektive sinnvoll ist. Zumal die Gegensätze, so bemerkt Chee, nicht einfach zwischen Nord und Süd verlaufen, sondern auch in einzelnen Ländern und Regierungen - etwa zwischen Landwirtschafts-, Umwelt- und Handelsministerien.
Ein Schritt in Richtung einer international abgestimmten Lobby-Arbeit war eine der Tagung in Iserlohn vorausgehende Konferenz im indischen Hyderabad. Dort debattierten im Juni Partnerorganisationen des EED aus Indien, Malaysia, Mexiko, Costa Rica, Tansania und Georgien über geistiges Eigentum. Aus Deutschland waren der EED, das Forum Umwelt und Entwicklung und die Arbeitgemeinschaft Kirchlicher Umweltbeauftragter vertreten. Man einigte sich auf Empfehlungen und Forderungen, die im wesentlichen mit denen von Sateesh, Chee und Carino übereinstimmen. Sie konnten in Iserlohn zwar einem Vertreter der EU-Kommission vorgetragen werden, nicht aber Repräsentanten der Wirtschaft oder der WTO: Von ihnen war niemand zur Teilnahme zu bewegen gewesen.
Beim Versuch, die Verhandlungen über das TRIPS-Abkommen zu beeinflussen, beginnen also Organisationen aus Deutschland und dem Süden an einem Strang zu ziehen. Ob das genügt, um Einfluss auszuüben, ist offen. Ein großes Problem ist hier, dass alle WTO-Abkommen Teil eines einzigen Vertragswerks (single undertaking) sind, das nur insgesamt angenommen oder abgelehnt werden kann. Arme Länder werden aber viele Kröten schlucken, ehe sie die WTO-Verhandlungen scheitern lassen. Denn sie sind am Erhalt des multilateralen Systems interessiert, weil die Alternative - je einzelne Verträge mit Industrieländern - für sie noch nachteiliger wäre.
Zudem scheinen die Streitfragen, an denen die Ministerkonferenz in Cancún scheitern könnte, nicht im Bereich der Bio-Piraterie zu liegen. Für die ärmsten Länder ist das Ende des Agrar-Dumpings wichtiger. Der größte Streitpunkt im Bereich Patente ist, ob Medikamente (etwa gegen AIDS) für arme Staaten bezahlbar werden. Und die EU setzt sich stärker noch als die USA dafür ein, die Zuständigkeit der WTO erneut auf neue Themen auszudehnen, insbesondere Investitionsschutz und Wettbewerbsrecht, was Schwellenländer wie Indien vehement ablehnen.
Auch aus einem anderen Grund sollte das TRIPS-Abkommen nicht überbewertet werden: Nicht dieses, erklärt van Eeckhaute, sondern technische und ökonomische Entwicklungen sind die Ursache für die Ausweitung des Patentrechts. Und auch ohne Patente entstehen Monopole etwa für Saatgut; so kauft Monsanto zu diesem Zweck systematisch kleine Züchter auf, sagt Then.
Dennoch hat die Lobby-Arbeit Wirkung, erklärt Michael Frein vom EED: "Die Haltung der EU hat sich verändert. Vor ein paar Jahren hat die Kommission noch die Ansicht vertreten, dass der Schutz traditionellen Wissens oder Rechte für Bauern nichts mit TRIPS zu tun haben. Inzwischen erkennen sie immerhin an, dass hier ein Problem vorliegt. Man muss in Bezug auf die Ergebnisse der Advocacy-Arbeit bescheiden sein."
Die Resolution der NGO-Konferenz in Indien ist auf der Webseite des EED unter www.eed.de/de.home/de.aktuell.short.11/ zu finden.
aus: der überblick 03/2003, Seite 124
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".