Vorreiter der Demokratie
Die Kirche in Kenia besteht aus einer Reihe von unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften. Sie ist im Gegensatz zu vielen anderen Ländern im täglichen Leben der Gesellschaft deutlich sichtbar und hat einen starken Einfluss. Sie untergliedert sich in die Hauptzweige Katholische Kirche, Protestantische Kirchen, Pfingstkirchen und verfasste Afrikanische Kirchen, die sich unter verschiedenen Dachorganisationen vereinigt haben und Kirchen sowohl der ländlichen Regionen wie der Städte repräsentieren. Dazu zählen nationale Christenräte wie Kenya Episcopal Conference (KEC), Organization of African Instituted Churches (OAIC), Fellowship of the Evangelicals und National Council of Churches of Kenya (NCCK).
von Agnes Abuom
Diese Zusammenschlüsse sind zwar unabhängig voneinander, arbeiten aber je nach der Bedeutung aufkommender Fragen auf verschiedenen Ebenen zusammen.
In dem Prozess zur Demokratisierung Kenias haben diese Dachorganisationen mit den Dachverbänden der Hindus (Hindu Council of Kenya) und der Muslime (Supreme Council of Kenyan Muslims) kooperiert. Bei den jüngsten Wahlen waren sie für die Bevölkerung richtungsweisend, wenn es darum ging, die ungleiche politische Machtverteilung zur Sprache zu bringen. Der ökumenische Einfluss auf die Gesellschaft ist bemerkenswert; die Kirchen sind in Fragen der Moral die wichtigste Institution im Land. Sie gilt als neutrale Instanz ohne parteipolitische Interessen.
Die Kirche stand in der ersten Reihe beim Kampf für eine umfassende Demokratisierung. Auf drei Ebenen hat die ökumenische Bewegung in Kenia den Demokratisierungsprozess beeinflusst. Auf der einen hat sie sich politisch engagiert und sich an der Formulierung politischer Ziele und Reformen beteiligt. Zum Zweiten hat sie sich um staatsbürgerliche Bildung gekümmert, um die Menschen in die Lage zu versetzen, ihre Interessen als Bürger wahrzunehmen. Drittens hat sie an dem Prozess teilgenommen, eine demokratische Verfassung zu schaffen.
Weil die Kirchen der Auffassung sind, dass sich die Gemeinschaft in Städten und Dörfern ganzheitlich entwickeln muss, engagiert sie sich darin, soziale Politik zu formulieren und zur Diskussion zu stellen, welche die Werte, Moral und Ethik definiert, die für Prozesse der Demokratisierung und Entwicklung erforderlich sind. Als Stimme der Stimmlosen sorgt sie dafür, dass eine Politik verwirklicht wird, welche die grundlegenden Rechte und Freiheiten schützt.
Der verfassungsgebende Prozess in Kenia begann mit dem Übergang von der Einheitspartei zum Mehr-Parteien-System, eine Leistung, die durch den Einfluss der Kirche auf die frühere Regierung Moi möglich geworden ist. Verschiedene Interessengruppen verlangten politische Reformen, um zentrale politische Rechte und Freiheiten zu sichern. Dieser Vorbereitungsprozess für eine neue Verfassung kam 1998 zum Stillstand, weil sich die politischen Parteien, die zuvor das Bündnis der "Überparteilichen Parlamentariergruppe" gebildet hatten, zerstritten hatten. Da ergriff eine Gruppe religiöser Führer von Christen, Hindus und Muslimen die Initiative und lud die Interessengruppen ins Ufungamano-Haus nach Nairobi ein, um den verfassungsgebenden Prozess wieder zu beleben. Ein Leitungsgremium - Ufungamano-Initiative genannt - wurde gebildet und parallel dazu als verfassungsgebendes Organ die "Volkskommission von Kenia", um dem Prozess neuen Schwung zu geben. Die Ufungamano-Initiative bildete die Plattform für Veränderungen. Es begann mit Debatten über die künftige Verfassung, bei denen Sprecher dafür eintraten, dass der Erneuerungsprozess umfassend sein und durch das Volk selbst vorangetrieben werden müsse. Die Medien berichteten darüber ausführlich. So waren auch Leute an der Basis in der Lage, sich an dem Prozess für eine neue Verfassungsordnung zu beteiligen.
Der Weg zur Demokratie war nicht frei von Fallstricken. Trotz des Erfolges der Ufungamano-Initiative hatten sich die African Inland Church, die African Instituted Churches, die Evangelikalen und die Pfingstkirchen anfangs gegen eine Beteiligung ausgesprochen, weil sie ein derartiges Engagement als Kurs der Konfrontation betrachteten. Später haben Führer der Evangelikalen und der Pfingstkirchen als separate Gruppe zu dem Verfassungsentwurf Stellung genommen und Unterschriften gesammelt zu Punkten wie Abtreibung, Homosexualität und zur Souveränität Gottes als das höchste Wesen. Sie verlangten eine Verfassung, die Staat und Kirche nicht trennt.
Offensichtlich wurden Konflikte zwischen kirchlichen Gemeinschaften gezielt politisch angeheizt, um die Konsultationen zwischen den Konfessionen herunterzuspielen und die Ufungamano-Initiative kaputt zu machen. Sicherheitskräfte in Zivil provozierten Gewalt, die im Anzünden von Kirchen und Moscheen gipfelte. Aber die Führer von Christen und Muslimen glätteten die Wogen, indem sie wieder das Ziel ins Blickfeld rückten, wie man Demokratie erreichen könne.
Rechtzeitig vor den Wahlen begannen die Kirchen mit Schulung von Wählern, um eine möglichst hohe Wahlbeteiligung und freie und faire Wahlen zu gewährleisten. Außerdem wurden während der drei letzten Wahlen vom Kenianischen Nationalen Kirchenrat und der Katholischen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden in Zusammenarbeit mit dem Institut für Erziehung zur Demokratie gemeinsame Wahlbeobachterkommissionen gebildet.
Jetzt, nach der Wahl, hat die Kirche vor allem die Rolle, einen Prozess für Wahrheit, Gerechtigkeit und Versöhnung im Interesse der Opfer von politischer Propaganda und Menschenrechtsverletzungen in Gang zu bringen. Und, in ihrem Bemühen, die Entwicklung einer demokratischen Kultur zu stärken, wird die Kirche auch die neue Regierung im Auge behalten, um sicher zu gehen, dass diese ihre vor der Wahl gegebenen Versprechen auch einhält.
aus: der überblick 03/2003, Seite 22
AUTOR(EN):
Agnes Abuom:
Agnes Abuom ist Präsidentin des ökumenischen Rates der Kirchen in Kenia.