Arme Länder und Schutzrechte
Früher schützten Patente die Schwachen vor den Starken: Sie verhinderten, dass kapitalstarke Firmen die Einfälle von Tüftlern verwerteten. Heute dagegen, so schreibt der SPD-Parlamentarier Ernst Ulrich von Weizsäcker, schützen sie meist die Starken vor den Schwachen - gerade vor denen im Süden.
von Bernd Ludermann
Das mag übertrieben scheinen. Sind Patente nicht eine Voraussetzung für Innovationen? Schließlich wird die technische Entwicklung nicht mehr im Bastelkeller vorangetrieben, sondern in teuren Labors. Um die immensen Kosten wieder einzubringen, muss der Investor einen gewissen Schutz davor erhalten, dass seine Neuerung einfach kopiert wird.
Aber eben: einen gewissen. Mit den entscheidenden Details hat sich die "Kommission zu geistigen Eigentumsrechten" (CIPR) befasst, die das britische Entwicklungsministerium 2001 eingesetzt hatte. Sechs Sachverständige, darunter je einer aus Argentinien und Indien sowie vom Pharma-Unternehmen Pfizer, untersuchen in ihrem bemerkenswerten Bericht, welche Folgen der Schutz geistigen Eigentums in seiner gegenwärtigen Form auf Entwicklungsländer hat und wie er entwicklungsverträglicher gestaltet werden kann. Die Kernthese bestätigt von Weizsäckers Urteil: Strenge Schutzrechte, die für Industrieländer angemessen sind, können in armen Ländern mehr Kosten als Nutzen stiften.
Dennoch wollen die Länder des Nordens mit Hilfe der Welthandelsorganisation überall Rechte am geistigen Eigentum erzwingen wie zu Hause. Mindeststandards dafür haben sie bereits durchgesetzt. Umstritten und besonders problematisch sind ein strenger Schutz von Saatgutsorten sowie Patente auf Lebewesen. Beide nutzen laut der CIPR vor allem der Agrarindustrie, beschleunigen die Konzentration in diesem Sektor und können das Recht von Bauern gefährden, Saatgut aus der Ernte auszusäen und weiter zu züchten. Forschung, die Landwirten in armen Ländern nutzt, fördern die Schutzrechte aber nicht, und es ist fraglich, ob sie traditionelles Wissen schützen können. Zudem werden laut der CIPR weitreichende Patente auf Lebewesen und Gene, wie sie etwa das Europäische Patentamt vergibt, sogar zum Hindernis für die Forschung im Norden.
Ethisch sind sie ohnehin stark umstritten. Kirchliche Entwicklungswerke wie "Brot für die Welt", der EED und Misereor, deren kleinbäuerliche Partner den Schaden haben könnten, haben daher doppelt Grund, sich zu Wort zu melden. Der EED hat das Thema anlässlich der neuen Verhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation zu einem Schwerpunkt seiner Advocacy-Arbeit gemacht. Zumal es, wie die CIPR betont, auch die wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte berührt. Denn Patente sind Vorrechte, die Gesellschaften gewähren, um wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu fördern. Wo sie statt dessen soziale Menschenrechte gefährden, müssen diese Vorrang haben.
Der Bericht der "Commission on Intellectual Property Rights" (CIPR) ist im Internet abrufbar unter www.iprcommission.org.
aus: der überblick 03/2003, Seite 123
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".