Weisheiten eines ehemaligen Warlords
1990 wurde Samuel K. Doe, damals Präsident Liberias, zu Tode gefoltert. Die Täter wurden von Prince Yormie Johnson angeführt, einem berüchtigten Bandenchef. Heute lebt Johnson als Prediger in Nigeria und verkündet, dass er seine Tat bedauere.
von Festus Eriye
Die tödliche Folterung des ehemaligen liberianischen Präsidenten Samuel K. Doe ist gut dokumentiert. Seine Mörder - eine Bande von Schlägern, angeführt von dem berüchtigten Warlord Prince Yormie Johnson - haben die schreckliche Tat auf Video aufgenommen, den Film mit Ton versehen und die Videos dann unter einander verteilt.
In dem Video sitzt Johnson hinter einem massiven Tisch mit einer Kette aus Handgranaten um den Hals. Er trinkt Dosenbier, eine junge Frau fächelt ihm mit einem Tuch Luft zu und betupft von Zeit zu Zeit seine Schläfe. Dem Tisch gegenüber, in einem Zimmer voller betrunkener und durcheinander schreiender Rebellen, sitzt Samuel Doe auf dem Boden - nackt bis auf die Unterhose. Seine Hände sind hinter seinem Rücken gefesselt. Zwei Rebellen halten ihn aufrecht. Fleischfetzen hängen von seinem Gesicht herunter, seine Beine bluten.
Es findet eine Art Verhör statt. Johnson droht Doe mit dem Tod, wenn er nicht redet. "Ich will Informationen, ich will Informationen", ruft er. Doe kann nichts tun, als um sein Leben zu betteln. Plötzlich schlägt Johnson auf den Tisch. "Der Mann redet nicht, bringt mir sein Ohr."
Die Kamera schwenkt um auf einen schreienden Doe, der niedergehalten wird, während ein Rebell sein linkes Ohr abschneidet. Johnson schlägt erneut auf den Tisch und schreit den Befehl: "Jetzt das andere Ohr, das rechte Ohr." Folter und Verhör gehen weiter, Johnson will wissen, wo Doe das Geld verwahrt, das er dem liberianischen Volk gestohlen hat. Dann endet das Video abrupt. Samuel Doe ist in der gleichen Nacht verblutet.
Fast 13 Jahre später sitze ich Johnson gegenüber, der jetzt als ordinierter Prediger in Nigeria lebt. Er hat sozusagen auch mein Ohr, als er sein tiefes Bedauern über die Rolle ausdrückt, die er bei Does Ermordung gespielt hat.
Johnson und viele seiner Landsleute hatten geglaubt, zum Wohle Liberias sei die Beseitigung Does notwendig. Heute denkt der ehemalige Warlord anders: "Ich muss ehrlich sagen, ich bedaure es. Ich dachte, der Tod Does würde Frieden bringen. Ich glaubte, nach Doe werde es eine demokratische Regierung geben, die das Land gut führen würde. Doch die Regierung, die wir heute in Liberia haben, ist die schlimmste in unserer Geschichte. Hätte ich gewusst, dass es so kommen würde, hätte ich es vorgezogen, dass Doe bleibt, statt ein Monstrum an seine Stelle zu setzen."
Johnson ist heute 44 Jahre alt und etwas fülliger geworden, doch ansonsten scheint er seit dem Putsch nicht gealtert zu sein. Der hatte Taylor an die Macht gebracht - ebenfalls ein ehemaliger Warlord, dessen Herrschaft das Land erneut in eine Orgie des Blutvergießens und der Gewalt gestürzt hat. Taylor wird jetzt wegen Kriegsverbrechen vom UN-unterstützten Tribunal in Sierra Leone gesucht und ist international zur Fahndung ausgeschrieben.
In einen weißen Kaftan gekleidet und mit einer roten traditionellen Mütze auf dem Kopf sitzt Johnson im karg möblierten Wohnzimmer seines eingeschössigen Hauses in Ikoyi, einem vornehmen Vorort von Lagos. In diesem cremefarbenen Haus mit abblätternder Farbe wohnt er seit elf Jahren. Es ist umgeben von ausgedehnten Rasenflächen und tropischen Obstbäumen. Dass es keine Sicherheitsvorkehrungen gibt, ist für dieses sicherheitsbewusste Viertel ungewöhnlich. Hinter den hohen Mauern sieht das Haus aus wie ein ärmerer Vetter der stattlichen Häuser in der Nachbarschaft.
Heute weiß Johnson über seinen ehemaligen Todfeind, viel Positives zu sagen: "Zu Does Zeiten gab es keine Embargos der internationalen Staatengemeinschaft gegen Liberia", sagt Johnson. "Es war nicht wie heute [da die Welt Taylors Rücktritt fordert]. Doe achtete auf gute internationale Beziehungen, gerade zu den Nachbarländern. Doch die jetzige Regierung ist scharfer Kritik von Sierra Leone, Guinea und Côte d'Ivoire ausgesetzt. Wie stehen wir nun da? Kein Land ist eine Insel. Man muss wechselseitige Beziehungen zu seinen Nachbarn haben. Wenn der Präsident beschuldigt wird, Unruhe in Nachbarländern zu schüren, leidet auch das Ansehen des Landes darunter."
Die ehemaligen Verbündeten gegen Doe, Johnson und Taylor, sind heute erbitterte Feinde. Unter dem Banner der Nationalen Patriotischen Front Liberias war Johnson einer von Taylors engsten Vertrauten. Doch Taylors unersättlicher Ehrgeiz führte im Februar 1990 zu einem irreparablen Bruch, und Johnson bildete die abtrünnige Unabhängige Nationale Patriotische Front Liberias, die eine Zeit lang Monrovia unter Kontrolle hatte. Er erklärte sich sogar selbst zum Präsidenten, was Taylor gar nicht gefiel: Er nannte seinen ehemaligen Verbündeten in Propagandasendungen des Rundfunks "den verstorbenen Prince Yormie Johnson". Nach Does Tod betrachtete die Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten Johnsons weitere Präsenz in Monrovia als Hindernis für den Friedensprozess. Deshalb wurde er ins Exil nach Nigeria befördert.
In der unlängst in Ghana ausgehandelten Friedensvereinbarung wird Taylor dazu aufgefordert, zurückzutreten und innerhalb von 30 Tagen Platz für eine Übergangsregierung zu machen. Taylor ließ sich davon nicht beeindrucken und sagt bis heute, er werde erst dann zurücktreten, wenn Friedenstruppen unter Führung der USA im Lande stationiert seien.
Johnson meint, hier wiederhole sich die Geschichte Liberias - mit möglicherweise tragischen Folgen: "Das ganze Szenario von Rücktrittsforderungen und ihrer Ablehnung ist das gleiche wie 1990. Taylor sagt den Rebellen, er sei gewählt worden, deshalb könne er nicht zum Rücktritt aufgefordert werden. Doe wurde auch gewählt, und weil Doe einen Rücktritt ablehnte, hat Taylor Krieg gegen ihn geführt. Wenn die Rebellen Taylor deshalb jetzt zum Rücktritt auffordern, was ist daran so Besonderes? Den Kelch, den er Doe zu trinken gab, muss er jetzt selbst trinken."
Noch schlimmer sei, dass Taylor als einziger afrikanischer Präsident wegen Kriegsverbrechen angeklagt worden sei, "und weil das so ist, kann kein Land mit Liberia Handel treiben, solange Taylor an der Spitze Liberias steht. Sollen wir Taylor behalten und die Bevölkerung leiden lassen?"
Johnson ist besonders empört darüber, wie Taylor die Ressourcen Liberias plündert. Taylor habe Liberia früher als seinen "Pfefferbusch" bezeichnet, was im örtlichen Sprachgebrauch einen Honigtopf bedeute. "Taylor ist ein sehr schlechter Mensch", fährt er fort. "In ganz Liberia gibt es keine Straßenbeleuchtung, kein Wasser, keine guten Straßen, keinen Strom, nichts. Die Menschen leiden. Sie sind Journalist - Sie haben vor einigen Tagen gehört, dass Taylor auf einem Schweizer Bankkonto 1,7 Milliarden US-Dollar hat, die inzwischen eingefroren worden sind. Wie kann man einen Mann bezeichnen, der 1,7 Milliarden US-Dollar auf einem Bankkonto hat, während sein Volk in krasser Armut lebt? Er ist ein sehr schlechter Mensch."
Johnson hat eine recht bizarre Theorie, dass die Namen von Doe und Taylor Hinweise auf ihren Charakter geben. "Dieser Mann heißt Charles Ghankay Taylor. Wissen Sie, was Ghankay bedeutet? Es bedeutet 'starrköpfig'. Als ob dieser Name nicht genug für ihn wäre, hat er sich, als er Präsident wurde, noch einen neuen Namen zugelegt: Dahkpannah. Was bedeutet das? 'Oberster Teufel!' Das ist keine Erfindung von mir. Das ist die Bedeutung von Dahkpannah in der Gola-Sprache. Es ist das gleiche wie bei Doe. Als Doe Präsident wurde, nahm er einen Namen an - Tanu - was 'der Leopard in der Stadt' bedeutet."
Johnson, der einst mit dem obersten Teufel zusammenging, ist heute ordinierter Pastor. Als ich ihn mit "Pastor Johnson" anrede, korrigiert er mich rasch: "Evangelist Johnson sollte es heißen. Ein Evangelist hat keine bestimmte Kirche." Nach einer Ausbildung zum Pastor wurde er in einer Pfingstkirche in Lagos zum Christ Deliverance Ministry ordiniert. Zuvor hatte er regelmäßig die beliebte Synagogue Church of All Nations besucht. Dort hatte er zwei Jahre zuvor eine dramatische Versöhnung mit Does Witwe, Nancy B. Doe, und ihrem Sohn Samuel K. Doe Junior vollzogen.
Der ehemalige Warlord ist sich gewiss: Gott hat ihn auf vielfache Weise verändert. Es wird berichtet, dass er früher ein sehr wildes Leben führte. Als er in Nigeria ankam, hatte er acht Frauen im Schlepptau. Die meisten wurden schwanger, verließen ihn später und nahmen ihre Kinder mit. Heute lebt er mit nur einer Frau: "Gott hat mich in ein anderes Wesen verwandelt. Die Tage, als ich trank und Frauen nachlief und so viele schöne Mädchen hatte, sind vorbei. Gott hat das geändert. Ich trinke nicht mehr und laufe keinen Frauen mehr nach. Das soll nicht heißen, dass ich vollkommen bin."
Auf die Frage, ob er nach Liberia zurückkehren möchte, sucht er eine Antwort in der Bibel. "Moses tötete den Ägypter und floh nach Medina, wo er 40 Jahre lebte. Als Gott die Zeit für gekommen hielt, sandte er Moses nach Ägypten zurück, um sein Volk zu erlösen. Elf Jahre sind nichts im Vergleich dazu. Es ist nicht einmal eine lange Zeit für mich. Es waren elf gute Jahre, in denen Gott mich als sein Werkzeug eingesetzt hat."
Allerdings hatte Johnson im Jahr 2001 einen Antrag gestellt, als Kandidat an den Präsidentschaftswahlen in Liberia teilnehmen zu dürfen: "Wenn das liberianische Volk mich als Präsidenten will, werde ich das annehmen. Ich kann Liberia viel bieten. Man braucht nicht zu warten, bis man gebeten wird, etwas zu tun."
aus: der überblick 03/2003, Seite 55
AUTOR(EN):
Festus Eriye:
Festus Eriye arbeitet als Westafrika-Korrespondent für die südafrikanische Zeitung "Sunday Times" und andere Medien in Südafrika und Namibia.