Standortvorteil für Drogenhändler
Manipur ist der am stärksten von AIDS betroffene Bundesstaat Indiens. Verantwortlich dafür war anfangs die starke Zunahme des Konsums von Heroin, das aus dem benachbarten Burma geschmuggelt wird. Begünstigt wird der Drogenhandel von ethnischen Konflikten. Der EED unterstützt Partner in Manipur, die das Problem angehen.
von Thomas Döhne
Entwicklungsarbeit im nordindischen Bundesstaat Manipur wird von Konflikten belastet, die wenig bekannt sind. Das wurde deutlich, als dort Ende März 2003 eine Gruppe namens Kuki Liberation Army einen Mitarbeiter des EED, Wolfgang Heinrich, verschleppte. Unter anderem wegen des Einsatzes von Partnerorganisationen des EED in Manipur kam Heinrich nach 18 Tagen frei. Im Juli waren nun mehrere der EED-Partner in Bonn zu Gast, um die Probleme ihres Gebietes zu erläutern und über Schwerpunkte ihrer Arbeit zu sprechen.
Einer von ihnen ist Nobokishore Singh, ein langjähriger Mitarbeiter des Centre for Social Development in Imphal, das sich mit Unterstützung des EED auf die Arbeit mit Drogenabhängigen und HIV-Infizierten konzentriert. Dass Drogenabhängigkeit in Manipur ein großes Problem ist, hängt sowohl mit den sozialen Umbrüchen in der abgelegenen Provinz zusammen als auch mit der Lage direkt an der Grenze zu Burma (Myanmar), berichtet Singh.
Manipur grenzt an drei weitere indische Bundesstaaten (Nagaland, Assam und Mizoram) und im Osten an Burma (Myanmar). Der Nordosten Indiens hebt sich geografisch, politisch und ethnisch von den anderen Landesteilen ab: Er liegt weiter entfernt von Delhi als von Rangoon oder Hanoi und wird durch Bangladesch vom übrigen Indien getrennt. Lokale bewaffnete Gruppen und eine schlechte Infrastruktur machen große Teile des Nordostens unzugänglich.
Manipur ist etwa so groß wie Hessen. Über 18 Millionen Menschen leben dort, davon etwa zwei Drittel in dem nach der Hauptstadt benannten Tal von Imphal. Die Bevölkerung im Tal besteht überwiegend aus Meiteis, einer autochthonen Volksgruppe, die schon vor vielen Jahrhunderten zum Hinduismus übergetreten und heute voll in das Kastensystem integriert ist. Die umliegende Bergregion, die kaum infrastrukturell erschlossen ist, wird dagegen von mehr als 20 verschiedenen Stammesgruppen besiedelt, von denen die Naga und Kuki die größten sind; ihre Angehörigen sind in der Mehrzahl Christen. Diese Menschen leben in großer Abgeschiedenheit und Armut.
Die Grenze mit Burma verläuft mitten durch das Siedlungsgebiet der Naga und ist von deren politischer Vertretung zu keiner Zeit anerkannt worden. Seit etwa 50 Jahren kämpft eine Untergrundbewegung der Naga grenzübergreifend für einen unabhängigen Naga-Staat. Fast ebenso lange versucht die indische Zentralregierung, die Separatistenbewegung mit militärischen Mitteln zu besiegen. Infolge des Konflikts leidet Manipur seit langem unter chronischer politischer Instabilität. Wiederholt wurde es unter Ausnahmezustand gestellt und auf der Grundlage von Sondergesetzen von der indischen Armee oder Sonderpolizei verwaltet. Schwere Menschenrechtsverletzungen waren und sind eine häufige Begleiterscheinung der Auseinandersetzungen.
Konflikte mit der burmesisch-stämmigen Volksgruppe der Kuki gehen bis in die britische Kolonialzeit zurück. Damals wurden Kuki am Rand von Siedlungsgebieten der Naga angesiedelt, um den regierungstreuen König von Manipur und seine Untertanen gegen Angriffe von Naga-Kriegern zu schützen. Nach der indischen Unabhängigkeit kam es wiederholt zu Konflikten zwischen den beiden Volksgruppen. In den 1990er Jahren eskalierten die Spannungen erneut. Naga-Rebellen aus dem benachbarten Bundesstaat forderten ein Groß-Nagaland, das weite Teile Nord-Manipurs und Burmas sowie Teile Assams umfassen sollte. Die Kuki sahen sich bedroht und verlangten ihrerseits ein unabhängiges Kuki-Land. Bei offenen Kämpfen zwischen den beiden Volksgruppen wurden seither mehr als Tausend Menschen getötet und zahlreiche Dörfer zerstört. Auch kleinere ethnische Gruppen haben sich inzwischen bewaffnet und propagieren eigene Unabhängigkeitsbestrebungen, deren die Motive nicht immer eindeutig sind.
Die politische Lage in Manipur wird erschwert durch eine hohe Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Unterentwicklung, Drogenschmuggel und Korruption. Trotz finanzieller Unterstützung von der Zentralregierung liegt das jährliche Pro-Kopf-Einkommen weit unter dem indischen Durchschnitt. Und als Folge der 1991 begonnenen Strukturanpassungsmaßnahmen fließt diese Unterstützung spärlicher - infolge der Abwertung der Rupie steht dem Staat weniger Geld zur Verfügung -, so dass sich die Armutsprobleme Manipurs weiter verschärft haben. Die Bevölkerung sieht sich in ihrem Eindruck bestärkt, dass es auch am politischen Willen fehlt, etwas für die Grenzregion zu tun, wo die Anwesenheit Tausender Flüchtlinge aus Burma eine zusätzliche und konfliktträchtige Bürde darstellt.
Die lokalen Kriege in Manipur werden hauptsächlich aus dem Drogenhandel finanziert. Obwohl es dort keine eigenständige Tradition des Anbaus von Schlafmohn gibt, ist das Land in den letzten beiden Jahrzehnten zu einem Hauptumschlagplatz für harte Drogen geworden. Dies liegt in erster Linie an der Nähe zu Burma. Die 358 Kilometer lange Grenze ist nur schwer zu kontrollieren. Durch das Bergland von Manipur und das Tal von Imphal verläuft eine der wichtigsten Schmuggelrouten für harte Drogen aus dem "Goldenen Dreieck", jener Grenzregion zwischen Thailand, Laos und Burma, wo Mohn angebaut wird.
Heroin aus Burma soll erstmals Anfang der 1980er Jahre in Manipur aufgetaucht sein. Nach 1984 verzeichnete der Bundesstaat einen raschen Anstieg des Heroinkonsums. Nach inoffiziellen Schätzungen gab es im Jahr 1991 bereits etwa 15.000 Fixer in Manipur. Heute wird ihre Zahl auf 20.000 geschätzt.
Anfangs wurde das Problem als reine Polizeiangelegenheit angesehen. Drogenkonsumenten (wie auch Alkoholabhängige) wurden wie Kriminelle behandelt; manchen wurde der Schädel rasiert, man hängte ihnen Flaschen um den Hals und paradierte sie durch die Straßen, berichtet Singh. Oder sie erhielten Warnungen von bewaffneten Gruppen und wurden im Wiederholungsfall ins Knie geschossen. Erst viel später setzte sich unter dem Eindruck der Verbreitung des Problems die Einsicht durch, dass die Drogensucht wie die Alkoholsucht eine Krankheit ist.
Die Drogensucht hat auch zur Verbreitung von HIV beigetragen. Noch vor kurzem war das gemeinsame Benutzen von Injektionsnadeln eine gängige Praxis unter den Heroinabhängigen von Manipur. 1989, als die Anzahl der HIV-Infizierten in Thailand und Burma bereits epidemische Ausmaße angenommen hatte, wurde die erste HIV-Infektion bei einem Drogenabhängigen in Manipur festgestellt. In den Folgejahren wuchs nicht nur die Rate der HIV-Infizierten unter den Konsumenten harter Drogen dramatisch an. Das Virus fand rasche Ausbreitung auch unter anderen Risikogruppen und von dort auf dem Weg ungeschützten Sexualverkehrs in Familien. 2001 war die Infektionsrate in Manipur sechsmal so hoch wie im am zweitstärksten betroffenen indischen Bundesstaat Maharashtra und zwanzigmal so hoch wie im am drittstärksten betroffenen Tamil Nadu, wobei in Manipurs Hauptstadt Imphal eine besondere Häufung von Infizierungen festgestellt wurde.
Seit den frühen 1990er Jahren hat sich Manipur außerdem zu einer wichtigen Transitroute für den internationalen Drogenhandel entwickelt. Auf geheimen Schmuggelpfaden wird Heroin aus Anbaugebieten im nordöstlichen Burma über die Grenzstadt Moreh eingeführt und von dort in andere Bundesstaaten und bis nach Nepal weitergeleitet, von wo es seinen Weg auch auf internationale Drogenmärkte findet. Da andere Handelsrouten, zum Beispiel über Thailand, inzwischen stärker kontrolliert werden, erweist sich die politische Instabilität in Manipur als Standortvorteil für kriminelle Machenschaften, die mit dem Auftreten der zahlreichen "Befreiungsbewegungen" zusammenhängen.
Aus diesen Gründen haben Organisationen wie das Centre for Social Development (CSD) sich der Arbeit mit Drogenabhängigen und HIV-Infizierten angenommen, erklärt Singh. Das CSD verfügt inzwischen über besonders viel Erfahrung in diesem Bereich. Mit Unterstützung des EED baute die in Imphal ansässige Organisation zunächst ein Rehabilitationszentrum in Einfachbauweise auf. Dort werden bis zu 50 Patientinnen und Patienten jeweils rund 6 Monate ärztlich, psychologisch und pädagogisch betreut. Jugendlichen werden im Rahmen der Rehabilitation Ausbildungsmöglichkeiten vermittelt. Wegen der starken Verbreitung des Drogenkonsums und der begrenzten Anzahl von Therapieplätzen hat das CSD nach und nach lokale Zentren für Drogenabhängige in zehn Stadtteilen Imphals eingerichtet. Dort finden regelmäßig Aufklärungsprogramme statt; auch ärztliche Sprechstunden werden abgehalten. Die Bereitstellung sauberer Nadeln soll die Gefahr der HIV-Infizierung eingrenzen helfen. Angebote der offenen Jugendarbeit zielen darauf, das Abgleiten oder den Rückfall gefährdeter Jugendlicher in die Drogenabhängigkeit zu verhindern.
Die sozial-therapeutische Arbeit von CSD wird ergänzt durch politische Lobbyarbeit. So war die Organisation an der Erarbeitung der HIV/AIDS-Strategie der Regierung von Manipur beteiligt. Heute versucht sie unter anderem, mit Hilfe von ehemals Drogenabhängigen die Aufmerksamkeit der Regierung wie auch der Gesellschaft darauf zu lenken, dass das Drogenproblem unter Jugendlichen die ganze Gesellschaft betrifft.
Im Laufe ihrer Arbeit sind die Mitarbeitenden von CSD zur Einsicht gelangt, dass die Drogenabhängigkeit das Symptom einer tiefen sozio-ökonomischen Krise ist, die sich allein mit Aufklärung und therapeutischen Maßnahmen nicht beseitigen lässt. Um die Ursachen anzugehen, hat das CSD in einer Region Manipurs begonnen, den Aufbau von Dorforganisationen zu unterstützen, zum Beispiel durch die Einführung von Saatgut- und Reisbanken. Dies geschieht mit dem Ziel, lokale Gemeinwesen zu stärken, örtliche Ressourcen zu nutzen und Jugendliche aus CSD-Programmen in Gemeinwesenarbeit einzubinden. "Auf diese Weise", so Nobokishore Singh, "versuchen wir, gefährdeten Jungendlichen den Weg zurück in die Gesellschaft zu zeigen und zugleich einen Beitrag für eine friedlichere Zukunft in unserem Land zu leisten."
aus: der überblick 03/2003, Seite 134
AUTOR(EN):
Thomas Döhne:
Thomas Döhne ist freier Journalist in Bonn mit dem Fachgebiet Entwicklungsfragen und Redaktionsmitglied von "Südasien", der Zeitschrift des Südasienbüros. Er hat lange in Nepal gelebt.