Ein Unternehmer aus Georgien
Wer es schafft, den Alkoholismus eines anderen Volkes in bare Münze umzusetzen, ohne selbst Alkohol zu produzieren, muss ein cleverer Geschäftsmann sein. Moralische Skrupel plagen Mamuka Khazaradze jedenfalls nicht.
Wer es schafft, den Alkoholismus eines anderen Volkes in bare Münze umzusetzen, ohne selbst Alkohol zu produzieren, muss ein cleverer Geschäftsmann sein. Moralische Skrupel plagen Mamuka Khazaradze jedenfalls nicht. Wieso auch - genau genommen hilft der 33-jährige Georgier doch den Menschen, die gelegentlich oder auch häufiger zu tief ins Glas gucken. Davon gibt es genug in Osteuropa, besonders in Russland, dem großen Nachbarn des kleinen Georgien.
Die Trinkfreudigkeit der Russen war das Argument, mit dem Khazaradze 1997 seine Geschäftspartner in Holland davon überzeugen konnte, in die traditionsreiche georgische Mineralwassermarke Borjomi zu investieren. "Wasser ist die beste Medizin gegen Kater", versicherte er ihnen. "Und so lange die Russen Wodka trinken, wird unser Geschäft florieren." Das Argument stach. Khazaradze sammelte insgesamt 25 Millionen US-Dollar Investitionen zusammen, mit denen er die am Boden liegende Wassermarke wiederbelebte. In den achtziger Jahren waren jährlich noch 400 Millionen Flaschen Borjomi produziert worden, doch mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion folgte der Absturz. In den neunziger Jahren sank die Produktion auf fünf Millionen Flaschen, Borjomi stand vor dem Ruin. Mittlerweile haben Khazaradze und seine Partner den Ausstoß wieder auf 50 Millionen Flaschen erhöhen können, bei einem Umsatz von 8 Millionen Dollar im Jahr. Für das Jahr 2001 peilen sie die 75-Millionen-Flaschen-Marke und einen Umsatz von 15,5 Millionen Dollar an.
Westliche Diplomaten in Georgiens Hauptstadt Tiflis nennen Khazaradze einen Geschäftsmann neuen Schlages, von dem das Land mehr brauche, wenn es aus seiner wirtschaftlichen Misere herausfinden wolle. Mit "neu" meinen sie seine Bereitschaft, selbst die Initiative zu ergreifen und nicht auf Befehle von oben zu warten. Schuld an dieser verbreiteten passiven Haltung, so die einhellige Meinung ausländischer Beobachter wie auch vieler Georgier, seien 70 Jahre sowjetischer Planwirtschaft, deren Erbe es jetzt zu überwinden gelte.
So gesehen ist Khazaradze in der Tat eine beeindruckende Erscheinung. Die Wiederbelebung von Borjomi ist nur Teil eines weitaus größeren Wirtschaftsprojektes, das er im Dezember 1992 mit einigen Familienangehörigen ins Leben gerufen hat. Damals, im jugendlichen Alter von 25 Jahren, gründete er mit einem Startkapital von 500 Dollar die TBC Bank, die erste private Bank Georgiens. Heute ist sie die drittgrößte Bank des Landes. Zu ihren wichtigsten Projekten gehört die Vergabe von Kleinkrediten, vor allem an kleinere Unternehmen im Hotelsektor; das durchschnittliche Volumen der Kredite beträgt 6000 Dollar. Unterstützt wird die TBC dabei von der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau.
Dass es die Bank überhaupt geschafft hat, die turbulenten neunziger Jahre schadlos zu überstehen und sich einen festen Platz in der georgischen Wirtschaft zu sichern, erklärt Khazaradze mit der vielschichtigen Strategie, die er und seine Kompagnons verfolgt haben. "Als wir anfingen, hat fast jeder auf der Straße eine Waffe mit sich herum getragen," sagt er. "Die Sicherheitslage war sehr prekär. Also gründeten wir unsere eigene Sicherheitsfirma, um uns vor Übergriffen zu schützen." Schutzgelder hätte die Bank jedenfalls nie zahlen müssen, und heute seien korrupte Beamte das eigentliche Problem und nicht die Mafia.
Auch zur Politik verfügt die TBC Bank über hervorragende Kontakte. Khazaradze gilt als Gefolgsmann von Präsident Eduard Schewardnadse. Dessen Reformpolitik, die bislang zur Privatisierung von 90 Prozent der Staatsbetriebe geführt hat, lobt er prinzipiell, allerdings fordert er eine härtere Gangart. "Die meisten Unternehmen funktionieren nicht. Sie sind von Angestellten übernommen worden, denen das nötige Know-how fehlt. Viele dieser Unternehmen müsste man eigentlich Bankrott gehen lassen." Außerdem sei das Arbeitsrecht zu starr, die Unternehmen würden gezwungen, mehr Arbeiter zu beschäftigen, als sie eigentlich bräuchten.
Einen derart radikalen Schnitt mit der Vergangenheit, der unweigerlich soziale Härten mit sich bringen würde, scheut die Regierung jedoch. Kein Wunder allerdings in einem Land, in dem laut Welthungerhilfe bereits heute 20 Prozent der Bevölkerung unterernährt sind (im Vergleich zu durchschnittlich fünf Prozent in der gesamten ehemaligen Sowjetunion).
Ungeachtet der vermeintlich strengen Arbeitsgesetze ist die Politik der georgischen Regierung für Unternehmer vom Schlage Khazaradzes in anderer Hinsicht äußerst attraktiv: Die Quote der Steuereintreibung in Georgien gehört mit rund acht Prozent nämlich zu den niedrigsten der Welt. "Alle Mercedes-Limousinen, die Sie hier auf den Straßen sehen", kommentiert ein hochrangiger UN-Diplomat in Tilflis diesen Umstand lakonisch, "verkörpern unbezahlte Steuergelder."
aus: der überblick 04/2000, Seite 76