Unsicherheit und Misstrauen bleiben
Muslimische Hilfswerke aus Deutschland zeigen sich interessiert, bei der Entwicklungshilfe mit christlichen Werken zusammenzuarbeiten. Das hat sich in der Praxis aber als schwierig erwiesen. Die Konzepte beider Seiten sind unterschiedlich. Und Auseinandersetzungen unter muslimischen Gruppen, etwa über den Dialog in Deutschland, spielen in das Verhältnis zu den christlichen Werken hinein.
von Michaela Ludwig
"Beide Seiten beäugen sich. Jeder betont seinen guten Willen, aber man wartet darauf, dass der andere abspringt, damit man selbst nicht der Erste ist." So beschreibt Mustafa Yoldas, Initiator der muslimischen Kurban & Dialog-Initiative, den gegenwärtigen Stand der Diskussion über christlich-muslimische Kooperation in der Entwicklungshilfe. Der Dialog hat sich als schwierig erwiesen.
Eröffnet worden war er im Juni 2002. Damals hatte das "Zentrum für entwicklungsbezogene Bildung Baden-Württemberg" nach Stuttgart zu einer Fachkonferenz eingeladen. Dort trafen sich erstmals Vertreter der christlichen Hilfswerke "Brot für die Welt", "Evangelischer Entwicklungsdienst" (EED) und Misereor mit Vertretern der muslimischen oder Muslimen nahestehenden Hilfsorganisationen Islamic Relief, "Muslime Helfen" und "Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V." (IHH) sowie der Gemeindeorganisation "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) zu einem Erfahrungsaustausch. Für die evangelischen Hilfswerke schien sich die Möglichkeit zu bieten, außerhalb der bundesdeutschen Grenzen etwas zu erproben, was in Deutschland noch unmöglich ist: Über das interreligiöse Gespräch hinaus gemeinsam zu handeln.
Bei dem Auswertungstreffen Anfang Juli 2003 in Stuttgart wurde jedoch eine enttäuschende Bilanz gezogen. Die muslimischen Organisationen waren lediglich durch Muslime Helfen und die IGMG bzw. das ihr nahe stehende "Bündnis Islamischer Gemeinden" (BIG) vertreten. "Die Voraussetzungen für eine Kooperation sind scheinbar noch nicht gegeben. Zunächst sollte der kritische Dialog zwischen den Kirchen und den islamischen Organisationen vorangetrieben werden", beschreibt Johannes Weitekämper, bei "Brot für die Welt" zuständig für die Länder am Horn von Afrika, die Situation.
Im Jahr 2002 fand man zunächst Gemeinsamkeiten in der Begründung von islamischer und christlicher Entwicklungshilfe aus demselben religiösen Motiv, nämlich Barmherzigkeit. So versuchte "Brot für die Welt", ein gemeinsames Projekt zu starten. Der IHH, die ihrerseits Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert hatte, wurden zwei Kooperationsangebote unterbreitet: ein Alphabetisierungs- und Basisgesundheitsprojekt für Nomaden in Äthiopien und ein Wasserversorgungsprojekt in Zentral-Somalia. Beide Projekte werden ohnehin von "Brot für die Welt" unterstützt. "Unser Angebot zielte nicht darauf ab, ein deutsches islamisches Hilfswerk zu unterstützen, sondern es ging lediglich um die Ko-Finanzierung eines unserer Partnerprojekte von Seiten der IHH", erklärt Weitekämper.
Die IHH hat das Angebot wegen fehlender Personalkapazitäten abgelehnt, so Helmut Hess, der Koordinator des Afrika-Referats bei "Brot für die Welt". Weitere Gründe wurden nicht genannt. Allerdings betont Hafizur Rahman, der Geschäftsführer der IHH, immer noch die Kooperationsbereitschaft seiner Organisation. Sie sandte aber keinen Vertreter zum Stuttgarter Auswertungsgespräch - aus Verärgerung darüber, dass die IHH als muslimische Organisation angekündigt wurde. "Die IHH ist eine rein humanitäre, keine islamische Hilfsorganisation", beschreibt Hafizur Rahman das Selbstverständnis der Organisation.
Aber auf der Internetseite der IGMG werden Muslime zu Spenden an die IHH aufgerufen. Mustafa Yoldas, der Mitglied der IGMG ist und im Vorstand des Bündnisses islamischer Gemeinden sitzt, kritisiert diese Selbstverleugnung der IHH: "Wenn eine Hilfsorganisation sich als islamisch definiert und dazu noch der IGMG nahe steht, werden ihrer Arbeit seit dem 11. September Steine in den Weg gelegt. Deshalb geben sich einige Hilfsorganisationen als nicht religionsgebunden." Und Helmut Hess fordert die IHH auf, die Grundlage ihrer Arbeit zu definieren. Yoldas, der den Reformflügel innerhalb der IGMG vertritt, sagt zu dieser vergebenen Chance zu kooperieren: "Ich hatte gehofft, meine Organisation hinterher ziehen zu können. Das Bewusstsein, wie wichtig der Dialog ist, muss sich scheinbar noch entwickeln."
Auch Ahmad von Denffer, der Vorsitzende von "Muslime Helfen", beschreibt einen fehlgeschlagenen Versuch, eine christlich-muslimische Zusammenarbeit ins Leben zu rufen. Er hat über Monate christliche Organisationen angeschrieben auf der Suche nach einem Kooperationspartner für die Unterstützung einer Blutbank in Gaza. Die Bemühungen waren vergeblich.
Für beide Seiten hat sich gezeigt, dass eine Kooperation nicht leicht zu verwirklichen ist. Zu groß ist das Misstrauen. Und neben den Organisationen müssen auch die Spender überzeugt werden, worin der Wert einer Kooperation liegt. "Die meisten Muslime haben das Gefühl, dass in ihrer eigenen Welt zu viele Katastrophen passieren. Sie fühlen sich überfordert, wenn sie versuchen, allem gerecht zu werden", erklärt von Denffer die Schwierigkeit, Kooperationsprojekte der eigenen Spenderklientel schmackhaft zu machen.
Große Unterschiede in der Arbeitsweise und den entwicklungspolitischen Konzepten nennen "Brot für die Welt", der EED und Misereor als Grund, die Anfrage von "Muslime Helfen" abzuweisen: Während die muslimischen Hilfsorganisationen sich hauptsächlich in der Katastrophen- und Nothilfe engagieren, die eher kurzfristig eingreift, arbeiten diese christlichen Hilfswerke über längere Zeiträume mit ihren Partnern im Süden zusammen. Gefördert werden in der Regel Projekte mit Entwicklungs- und Gesellschaftsbezug. Außerdem entstehen Projekte von "Brot für die Welt" und dem EED aus Anfragen von Partnern aus dem Süden. Es widerspricht dieser Antragsstruktur, einen Kooperationspartner in Deutschland zu suchen. Eine Kooperation könnte demnach entstehen, wenn unterschiedliche Organisationen ein und dasselbe Projekt unterstützen wollen.
Auch die finanziellen Voraussetzungen sind ungleich. Wegen der immensen Unterschiede im Budget der christlichen und der muslimischen Werke kann man "nicht auf Augenhöhe argumentieren", sagt Mustafa Yoldas. Während die muslimischen Organisationen über Spendengelder in einer Höhe von je rund einer bis drei Millionen Euro verfügen, plant der EED beispielsweise mit einem Haushaltsvolumen von rund 140 Millionen Euro pro Jahr.
So hätte eine christlich-muslimische Kooperation "in erster Linie symbolischen Charakter", sagt Johannes Weitekämper. Eine Kooperation von "Brot für die Welt" mit der IHH wäre im Süden sicher mit großem Interesse aufgenommen worden, vermutet er. Denn seit dem 11. September stellen sich evangelische Hilfswerke noch dringender die Frage, ob das Engagement in der islamischen Welt und in Ländern mit gemischt christlicher und muslimischer Bevölkerung auch zur Krisenprävention und Friedensentwicklung beitragen kann. Der EED-Beirat Internationale Programme verhandelt das Thema "Interreligiöse Beziehungen" derzeit als Schwerpunktthema. Dabei ist das Ziel laut dem Beiratsvorsitzendem Bernhard Dinkelaker nicht der interreligiöse Dialog als solcher, sondern die Konfliktlösung und Konfliktprävention in scheinbar religiös motivierten Konflikten. "Brot für die Welt" und der EED unterstützen in Kenia und Tansania Initiativen, die sich im interreligiösen Dialog engagieren (vgl. "überblick"-Forum 2/02).
"Brot für die Welt" fördert auch Partnerprojekte in Staaten wie Somalia, deren Bevölkerung zu fast 100 Prozent muslimisch ist. "Diese Partnerschaften haben nichts mit dem christlich-muslimischen Dialog zu tun, sondern es ist praktische, entwicklungsbezogene Arbeit", erklärt Weitekämper.
Doch es gibt Überschneidungen zwischen dem Engagement von "Brot für die Welt" und dem BIG bzw. der IGMG: Beide Seiten fördern die interreligiöse ugandische Initiative INTER PRO. Die Partnerschaft mit dem evangelischen Hilfswerk kam auf Betreiben der Kurban & Dialog-Initiative des dialogbereiten Flügels der IGMG zustande. Ziel der Initiative ist die Förderung des interreligiösen Dialogs in Uganda und Ostafrika und die Vermittlung von Kontakten zu deutschen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit. Laut Weitekämper hat "Brot für die Welt" die Absicht, die Arbeit von INTER PRO auch in den nächsten Jahren zu unterstützen. Die IGMG finanziert die Stelle eines hauptamtlichen Mitarbeiters.
Auch bei einer interreligiösen Konferenz in Nairobi im Februar gab es Überschneidungen. Die Konferenz war Teil einer Reise, mit der Vertreter von Kurban & Dialog zum Religionsdialog in Ostafrika beitragen wollten. "Brot für die Welt" hat die Konferenz finanziert. Entscheidend dafür war laut Weitekämper der Bezug zur Friedens- und Entwicklungsarbeit: Es handelte sich um ein Treffen christlicher und muslimischer religiöser Führer, von Initiativen und Kirchen - darunter von TUWWAMUTA, der Church of Uganda und der Evangelisch-lutherischen Kirche Tansanias -, die ohnehin von "Brot für die Welt" oder dem EED unterstützt werden. Die Konferenz wurde im Rahmen der Kurban & Dialog-Reise geplant, Partner der kirchlichen Hilfswerke übernahmen die Organisation vor Ort.
Von einer Kooperation mit der BIG bzw. der IGMG möchte "Brot für die Welt" aber nicht sprechen. Helmut Hess stellt zwar fest, dass sein Werk keine Berührungsängste gegenüber der IGMG habe. Das Dialogmodell Kurban & Dialog wird von "Brot für die Welt" begrüßt; unterstützt wird es über den gemeinsamen Partner INTER PRO. Der interreligiöse Dialog im Süden soll grundsätzlich von den Partnern dort geführt werden. Den christlich-muslimischen Dialog von Deutschland nach Ostafrika zu transportieren, hat laut Weitkämper keinen Sinn. So vorbildlich scheint er auch nicht zu sein.
Zweifel bestehen auch an einem muslimischen Gesprächspartner, der IGMG. Sie wird im Gegensatz zum BIG, das in Hamburg eine tragende Rolle im Dialog zwischen den Religionen spielt, vom Interkulturellen Rat Darmstadt, der mit fast allen großen islamischen Dachverbänden kooperiert, nicht als Gesprächspartner akzeptiert. Der Ratsvorsitzende Jürgen Micksch beschreibt die IGMG als eine Organisation, in der vieles nicht transparent ist. Micksch ist entgegen den Beteuerungen von IGMG der Ansicht, dass sie mit politischen und nicht mit religiösen Zielen gegründet worden sei. Der progressive Flügel der IGMG treibt die Dialoginitiative voran, aber es ist nicht deutlich, in welchem Maße die ganze Organisation hinter dem Dialoggedanken steht. Ahmad von Denffer warnt in diesem Zusammenhang vor einer Instrumentalisierung der Hilfe. Mustafa Yoldas selbst spricht die Bedenken der kirchlichen Dialogpartner offen aus: "Man fragt sich, was will die IGMG? Versucht sie sich auf diesem Wege salonfähig zu machen?"
Weitekämper zieht aus der misslungenen Kooperation mit der IHH und der Unsicherheit im Umgang mit der IGMG folgende Schlüsse: "Es ist ratsam, mögliche Partner genau zu prüfen. Der Versuch war zu dem Zeitpunkt noch zu früh angesichts der Auseinandersetzungen, die noch um die IGMG geführt werden müssen." Und für den EED stellt sich laut Bernhard Dinkelaker die Frage nach einer Kooperation mit einer muslimischen Hilfsorganisation derzeit nicht, da er keinen potenziellen Partner erkennen kann, der professionelle entwicklungspolitische Zusammenarbeit betreibt: "Moscheegemeinden sind für uns kein Kooperationspartner im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit."
Wie im interreligiösen Dialog in Deutschland ist es auch in der Entwicklungszusammenarbeit schwierig, zu einer christlich-muslimischen Kooperation zu kommen. Wenn die Hilfswerke sich allerdings an der Dialoggeschwindigkeit in Deutschland orientieren, könnten sie wertvolle Zeit für entwicklungspolitisches Engagement im interreligiösen Kontext verlieren.
Wie helfen deutsche Muslime?Organisationen und InitiativenIslamic Relief ist eine internationale Hilfsorganisation. Sie wurde 1984 in England gegründet, ist seit 1994 in der Entwicklungshilfe tätig und hat Beraterstatus bei den Vereinten Nationen. Die Regionalbüros in Köln und Berlin arbeiten in enger Absprache mit dem Hauptsitz in Birmingham. Das Spendenvolumen lag im Jahr 2002 bei rund einer Millionen Euro. Islamic Relief finanziert hauptsächlich Katastrophen- und Nothilfe sowie Waisenprojekte, in einigen Ländern auch Entwicklungsprojekte (aber nicht von den deutschen Büros aus). Die Schwerpunktgebiete sind Albanien, Aserbaidschan, Bosnien-Herzegowina, Bangladesch, Tschetschenien, Mali, Indien, Pakistan, der Sudan sowie der Gaza-Streifen. Die Hilfsorganisation Muslime helfen haben deutschsprachige Muslime 1985 in München gegründet. Die Schwerpunktländer sind derzeit Irak, Afghanistan und Kenia. Die 1,1 Millionen Mark Spendengelder (Stand 2001) werden für Not- und Katastrophenhilfe, für Waisenunterstützung, aber auch für Brunnenbauprojekte aufgewendet. Die Internationale Humanitäre Hilfsorganisation (IHH) aus Frankfurt wurde 1998 gegründet und steht der umstrittenen Organisation Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) nahe, die auf ihrer Webseite an die IHH verweist; die IGMG wird im Verfassungsschutzbericht als islamistische Vereinigung aufgeführt. Die IHH stellt sich als rein humanitären Gesichtspunkten folgende Organisation dar, deren Spenden nicht religiös gebunden sind. Das Spendenaufkommen lag 2002 bei knapp einer Millionen Euro, mit denen Katastrophen- und Nothilfeprojekte etwa in Algerien, im Irak und in der Türkei finanziert werden. Kurban & Dialog ist eine Initiative des Bündnisses Islamischer Gemeinden (BIG) und wird von der IGMG unterstützt. Im BIG sind 18 muslimische Gemeinden in Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen zusammengeschlossen; viele ihrer Anhänger gehören zugleich der IGMG an, die in den drei Bundesländern nicht vertreten ist. Offiziell arbeiten beide in speziellen Bereichen wie Kurban & Dialog zusammen. Kurban & Dialog geht darauf zurück, dass die IGMG zur Zeit des muslimischen Schlachtfestes (Kurban) Delegationen mit Spenden deutscher Muslime (2001 rund drei Millionen Euro) in die Türkei und verschiedene Länder Osteuropas, Asiens und Afrikas schickt. Dort kaufen sie Rinder, Schafe und Ziegen und verteilen sie als Schlachtvieh an Bedürftige. Im ostafrikanischen Uganda hat sich daraus vor vier Jahren - vorangetrieben von Mustafa Yoldas und gestützt vom Reform-Flügel der IGMG - die Initiative Kurban & Dialog entwickelt: Zur Delegation, die dorthin reist, gehören auch Christen; sie verteilt das Opferfleisch nicht mehr ausschließlich an Muslime, sondern auch an christliche Institutionen. Die IGMG unterstützt die Initiative INTER PRO in Kampala, mit der Christen und Muslimen gleichberechtigt eine Zeitschrift für interreligiösen Dialog herausgeben. Während der diesjährigen Kurban & Dialog-Reise fand in Nairobi ein Symposium über christlich-muslimischen Dialog in Ostafrika statt, an dem auch Dialoginitiativen aus Uganda, Kenia und Tansania teilnahmen. Michaela Ludwig |
aus: der überblick 03/2003, Seite 130
AUTOR(EN):
Michaela Ludwig:
Michaela Ludwig hat Germanistik und Soziologie studiert und arbeitet als freie Journalistin in Hamburg mit dem Schwerpunkt Entwicklungszusammenarbeit und Ostafrika.