Wenn die Amtskirche schweigt
Verfolgung und Unterdrückung in Simbabwe haben die Amtskirchen weitgehend mundtot gemacht. Einige Kirchenführer befleißigen sich sogar der Speichelleckerei gegenüber dem Willkürherrscher Robert Mugabe. Aber ein Teil der Kirchenbasis lässt sich nicht einschüchtern und nutzt Gebete als Mittel des Widerstands.
von Reinhard Veller
Spätestens seit seiner Niederlage beim Verfassungsreferendum im Februar 2000 ist der totalitäre Charakter des Regimes von Präsident Mugabe für jedermann erkennbar. Seither sind willkürliche Verhaftungen, Prügelorgien an vermuteten Regimegegnern, Folter, Vergewaltigungen und Vertreibungen von Haus und Hof an der Tagesordnung. Das Ziel ist die Einschüchterung der Bevölkerung, insbesondere der Opposition; der Zweck ist der Machterhalt.
Zwei Beispiele sollen Willkür und Brutalität solcher Übergriffe deutlich machen: Das erste betrifft den Oberbürgermeister der Stadt Harare. Dieser wurde an einem Samstag im Januar 2003 verhaftet, als er eine Bürgerversammlung in einem Vorort besuchte. Mit ihm wurden alle Personen am Vorstandstisch festgenommen. Unter empörenden hygienischen Bedingungen und erniedrigender Behandlung setzte man sie im Polizeigefängnis fest. Erst nach einer Gerichtsverhandlung, welche die Ungesetzlichkeit der Maßnahme festgestellt hatte, wurde die Gruppe am folgenden Montag freigelassen. Unter den Verhafteten war auch ein afrikanisches Mitglied unserer Martin Luther Gemeinde. Durch sie wird das Geschehen deutlich: Sie berichtete vom Dreck in den Massenzellen, und dass es keine Möglichkeit gab, für die persönliche Hygiene zu sorgen. Sie war zusammen mit Prostituierten eingekerkert, und die Gruppe wurde mit einer schwer bewaffneten Eskorte zum Gerichtssaal gebracht. Die Verhaftete konnte von Glück sagen, nicht geschlagen oder gefoltert worden zu sein.
Das zweite Beispiel sind die wenigen noch nicht vertriebenen weißen Farmer, die ein gutes Verhältnis zu ihren schwarzen Arbeitern haben. Sie vor allem sind ein Dorn im Auge des Regimes. Am 26. und 27. März 2003 bekamen das die Arbeitskräfte des Farmers und Abgeordneten Roy Bennet zu spüren. Zusammen mit ihren Familienangehörigen - etwa 1000 an der Zahl - wurden sie von Polizeieinheiten aus ihren Häuschen geholt, verprügelt, mit ihren Habseligkeiten auf Lastwagen geladen und elf Kilometer weiter im Nirgendwo abgesetzt. Wer zurückkehrte, wurde erneut verprügelt und verjagt. Die große Kaffeefarm musste die Produktion einstellen.
Dass diese keine Einzelfälle sind, ergibt sich aus unabhängigen Berichte der Medien oder von Menschenrechtsorganisationen. Am 24. März berichtet die BBC, dass nach dem gerade beendeten zweitägigen Generalstreik Hunderte von Teilnehmern verhaftet und krankenhausreif geschlagen worden seien. Der Arzt eines größeren Krankenhauses in Harare habe bestätigt, dass dort über 250 Menschen behandelt würden. Alle waren von den Sicherheitskräften zusammengeschlagen worden. Viele hatten gebrochene Finger, Zehen, einige gebrochene Beine. Bereits am 20. Februar hatte die BBC den Leidensweg der Oppositionspartei Movement for Democratic Change (MDC) dokumentiert. Nach deren Angaben waren im Jahre 2002 zwischen Januar und November 1060 MDC-Aktivisten gefoltert worden. 227 hatte man entführt und verprügelt, 58 umgebracht, 170 verhaftet und gefoltert und dann ohne Anklageerhebung freigelassen.
Dabei schließen diese Zahlen die zahlreichen Frauen nicht ein, die wegen ihrer politischen Überzeugung vergewaltigt wurden.
Auch Amnesty International (ai) veröffentlicht regelmäßig Zahlen und Fakten zu Menschenrechtsverletzungen in Simbabwe. Nach einer ai-Veröffentlichung vom 24. Januar richten sich diese vermehrt gegen führende Parlamentsabgeordnete der Opposition sowie Menschenrechtsaktivisten und deren Organisationen. Es bleibt nicht bei Drohungen. Allein im Januar 2003 erfolgten mehrere willkürliche Verhaftungen verbunden mit brutaler Folter.
Es verwundert von daher nicht, dass sich in der Öffentlichkeit - insbesondere in der noch unabhängigen Presse - die Stimmen mehren, die angesichts all der Willkür nach den Kirchen fragen, nachdem sich Hoffnungen auf ein Einschreiten der Staatengemeinschaft zerschlagen haben. Die Fragen lauten immer ähnlich: "Warum hört man nichts von ihnen? Wovor fürchten sich Bischöfe und Kirchenführer? Stecken sie mit dem Regime unter einer Decke?"
Die so signalisierten Erwartungen sind umso berechtigter, als die Öffentlichkeit die Erfahrung gemacht hat, dass die Kirchen in der Vergangenheit willens waren, sich öffentlich zu Unrecht zu äußern. Dabei war die Katholische Kirche mit ihrer Kommission für Gerechtigkeit und Frieden schon in der Kolonialzeit vorangegangen und hatte Übergriffe der Sicherheitskräfte publik gemacht. Aber auch nach der Unabhängigkeit hat die Kommission weiter gearbeitet. Nicht zuletzt ihr ist es zu verdanken, dass die Tötung von Tausenden von Dissidenten in den achtziger Jahren im Matabeleland dokumentiert wurde. Aber auch die im Christenrat Zimbabwe Christian Council (ZCC) zusammengeschlossenen Kirchen hatten in den letzten Jahren unter Beweis gestellt, dass sie bereit waren, sich öffentlich regimekritisch zu äußern oder im direkten Dialog mit Regierungsvertretern gegen Gewalt und Propagandalügen aufzutreten. Zuletzt war das im August 2001 mit der Denkschrift The Truth shall make you free ...! geschehen. Zu deren Publikation war eigens der Generalsekretär des Weltkirchenrates angereist.
Seit der Präsidentenwahl 2002 und der danach unaufhörlich weitergeführten Einschüchterungskampagne ist es damit offenbar vorbei. Die Kirchen sind seither in ihrem Verhältnis zum Regime Mugabe tief gespalten und paralysiert. Das gilt für die Katholische Kirche, die Anglikaner, aber auch für alle anderen - einschließlich des Christenrates. Von ihnen allen ist in der gegenwärtigen Krisensituation nichts Substantielles zu hören und zu sehen. Gäbe es nicht mutige Einzelpersonen und kleine Gruppen aus den Kirchen, dann stünde es um das Zeugnis der Kirchen in Simbabwe schlecht.
Diese "bekennende Kirche" gibt es aber. Ihre Aktionen und Verlautbarungen sind für eine verwundete und irritierte Öffentlichkeit enorm wichtig. So wenige es sein mögen - diese Aufrechten und Unbestechlichen sind zur Stimme der Kirche in der Verfolgung geworden.
Allen voran geht Erzbischof Pius Ncube aus Bulawayo. Während seine Kollegen im Bischofsamt vor allem schweigen, ist Pius Ncube durch seine Aktionen und sein offenes Wort zu einer moralischen Autorität geworden - weit über die Katholische Kirche hinaus. Jeder simbabwische Kirchenführer beklagt heute ein um sich greifendes Klima der Gewalt und ruft zu Frieden und Versöhnung auf. Aber Ncube schreitet immer wieder zur Tat. Er lässt in seinen Friedensgebeten Opfer staatlicher Folter zu Wort kommen und bringt sich damit in unmittelbare Gefahr. Zweimal sollte er nach solchen Gottesdiensten bereits verhaftet werden. Nur durch die Geistesgegenwart seiner Gemeinde und ökumenischer Gäste konnte das verhindert werden.
Den Hunger und die Verarmung der Bevölkerung zu beklagen, ist auch unter Kirchenführern wohlfeil. Aber nur Ncube hat es gewagt, den Zusammenhang von Enteignungen und Hungersnot zu thematisieren und damit den Präsidenten und seine Gefolgsleute direkt für die humanitäre Katastrophe verantwortlich zu machen: "Alle, einschließlich der Kirche, befürworten die Landreform, aber wo hat man schon mal gehört, dass frisch bestelltes Land über Nacht enteignet wurde?" Es kann gut sein, dass sein Beispiel Schule macht und die Katholische Kirche zu der Unerschrockenheit zurückfindet, die sie früher so oft demonstriert hat. So forderten im vergangenen Januar 260 Priester und Ordensleute die Katholische Bischofskonferenz zu einer klaren Stellungnahme auf. Sie solle öffentlich klar und ehrlich ihre Stimme für diejenigen erheben, die nicht sprechen können. Es war nicht von ungefähr, dass die 260 alle zur Diözese von Bischof Ncube gehörten.
Inzwischen scheinen solche Appelle Wirkung zu zeigen. Jedenfalls veröffentlichte die Bischofskonferenz im März einen Fastenbrief, der auf die öffentliche Kritik am Schweigen der Bischöfe antwortet. Darin werden - in vielen erbaulichen Ausführungen verpackt - auch Regierungskorruption, Rechtlosigkeit und Machtmissbrauch der Herrschenden verurteilt und beispielsweise die Praxis angeprangert, dass Hungerhilfe oft nur an Parteimitglieder geht. Außerdem wagten die Bischöfe, das für ihren verstorbenen Primus vorgesehene Staatsbegräbnis abzulehnen. Manche Beobachter meinen, damit deute sich ein Umdenken in der Katholischen Kirche an. Das könnte sein. Aber noch steht der kleine Erzbischof aus Bulawayo allein.
Ist schon die Katholische Kirche hin- und hergerissen zwischen Loyalität und Widerstand, so gilt das erst recht für das nicht-katholische Spektrum. Hier gibt es alles: Auf der einen Seite Eulogen (kirchliche Segenssprüche) auf den Genossen Mugabe und seine Liebe zu Frieden und Demokratie, Reinwaschen der Regierungspartei vom Vorwurf des Wahlbetrugs und die bedingungslose Unterstützung eines totalitären Regimes. Letzteres hat den Leitenden Anglikanischen Bischof auf die Liste derer gebracht, die weder in die EU noch in die USA reisen dürfen und deren dortige Vermögen eingefroren sind (smart sanctions). Aber auf der anderen Seite gibt es auch im protestantischen Bereich Widerstand. Wie in Zeiten der Bekennenden Kirche entstand er über der Frage nach Freiheit und Unabhängigkeit von Gottesdienst und Verkündigung. Die jetzige Phase begann am 13. Februar 2003. In der Northside Community Church in Harare sollte es um die Rolle der Kirche in der simbabwischen Krise gehen. Dazu kam es nicht. Ein starkes Polizeiaufgebot verhinderte die Veranstaltung. Wer protestierte, wurde verhaftet oder an Ort und Stelle verprügelt. Am 28. Februar erfolgte die kirchliche Antwort. Eine Gruppe von 23 Pastoren und kirchlichen Mitarbeitern marschierte - mit Kreuzen bewaffnet - zum Polizeipräsidium, um gegen den Polizeieinsatz zu protestieren und eine Petition zu überreichen. Alle Teilnehmer wurden festgenommen und erst nach stundenlangen Verhören wieder auf freien Fuß gesetzt.
Es war wie ein Fanal, das weithin beachtet wurde. Seither werden die unerschrockenen Pastoren der Zimbabwe National Pastors' Conference in einem Atemzug mit Bischof Ncube genannt. Für die Öffentlichkeit stehen diese und andere kirchlichen Gruppen wie Evangelical Support Services, Evangelical Fellowship of Zimbabwe, Churches in Manicaland unter Leitung von Bischof Bakare für die Kirche schlechthin, deren langes Schweigen so viel Irritation ausgelöst hatte. Selbst der südafrikanische Kirchenrat (SACC) reagierte auf die Verhaftung der 23 und sandte eine Solidaritätsbotschaft. Sie ging - bezeichnender Weise - nicht an den Christenrat ZCC, sondern an die bis dahin kaum bekannte ökumenische Pastorengruppe - ein Verfahren, das den ZCC regelrecht vorführte. So klein der nicht-katholische Widerstand bisher war, er blieb nicht ohne Wirkung. Das mag auch mit seiner Medienwirksamkeit zusammen hängen. Jedenfalls fiel der staatlich organisierte nationale Gebetstag (National Day of Prayer) nach lautstarken kirchlichen Protesten aus. Das Ministerium für Jugend und Arbeit hatte dazu bisher jährlich eingeladen und Politikern der Regierungspartei damit zu unverdächtiger Selbstdarstellung verholfen.
Widerstand kommt nicht nur aus den Kirchen. Frauen nutzten sowohl den Valentinstag am 14. Februar wie den Internationalen Tag der Frau am 8. März, um zu protestieren und sich Gehör zu verschaffen. 73 von ihnen wurden zeitweise verhaftet. Sie waren nicht die einzigen in diesen Wochen. Während der Cricket-Weltmeisterschaft im Südlichen Afrika wurden 41 Cricket-Fans sogar vier Tage lang festgehalten, weil sie während des Turniers gegen das Regime protestiert hatten. Sie waren damit dem Beispiel zweier simbabwischer Nationalspieler gefolgt. Die hatten bei ihren Auftritten schwarze Binden getragen, um auf den "Tod der Demokratie in Simbabwe" hinzuweisen. Beide riskierten ihre Karriere und verließen nach massiven Drohungen das Land.
Wer die Entwicklung in Simbabwe über längere Zeit beobachtet, fragt sich immer häufiger, was eigentlich noch passieren muss, bis das Volk aufsteht und ein Regime wegfegt, dessen Politik das Leben immer unerträglicher macht. Im Gegensatz zu Serbien geht das Volk nicht auf die Straße. Und anders als in Kenia konnte das Regime einen Machtwechsel mit Hilfe massiver Wahlfälschung (Commonwealth-Report) verhindern. Es wäre allerdings falsch anzunehmen, dass gar nichts geschieht und sich die Menschen mit ihrer Lage abgefunden hätten. Davon kann - wie bereits gezeigt - keine Rede sein. Widerstand hat in Afrika allerdings noch andere Formen als in westlichen Demokratien.
In Gesprächen um die politische Zukunft von Simbabwe betonen die Menschen immer wieder die Bedeutung des Gebets: "Nur Gebet kann noch helfen!" Ich habe gelernt, dies nicht als Rückzug aus der Welt zu verstehen, sondern als Teil des Kampfes um politische Befreiung. Wenn es dafür noch eines Beweises bedurft hätte, so erbrachte ihn die Women's Coalition of Zimbabwe zum Internationalen Tag der Frau am 8. März 2003 in einer großen Zeitungsanzeige in der Daily News: Das "prophetische Wort für die Frauen in Simbabwe" wendet sich an "listige" (cunning) Beterinnen (nach Jeremia 9, 17). Wie Deborah sollen sie Gott keine Ruhe lassen, "bis die Verheißungen für Simbabwe erfüllt sind, Simbabwe, die Kornkammer Afrikas". Die Befreiung stehe unmittelbar vor der Tür. Ähnlich formulierte ein bekannter Kolumnist der Financial Gazette: "Es ist an der Zeit, dass echte geistliche Führer um göttliche Vergeltung beten - gegen all die, welche Simbabwe zum Armenhaus gemacht haben!" Man geht also zwar nicht gegen seine Führer auf die Straße, aber man darf Gottes Eingreifen massiv und "listig" erflehen. Afrika ist sich auch darin einig, dass man in solchen Gebeten Gott ganz unbekümmert um die Abberufung eines Tyrannen bitten kann.
Aus Tansania weiß man, dass in den achtziger Jahren plötzlich keine Visa mehr für Missionare und kirchliche Mitarbeiter aus dem Ausland erteilt wurden. Der Grund: Der neue für Visa zuständige Beamte war Muslim. Daraufhin - so erzählt man sich - wurde in vielen Kreisen um eine Lösung gebetet. Als der Beamte bald darauf starb, wurde diese "Abberufung" als göttliche Antwort verstanden.
Über ein ähnliches Beispiel aus Nigeria wurde unlängst in unserer Internationalen Gemeinde in Harare berichtet. Als die Diktatur Abacha unerträglich wurde, beteten viele Menschen um ein göttliches Eingreifen. Abacha starb plötzlich, von einem Tag auf den anderen. Die Schilderung dieser Abfolge wurde von den schwarzen Gemeindemitgliedern mit großem Verständnis quittiert, ja fast mit Beifall aufgenommen. Der Bericht hatte für sie bestätigt, welche Rolle dem Gebet in einer Situation politischer Unterdrückung zukommt.
Einig ist sich die Christenheit in Simbabwe auch darin, dass Gott über kurz oder lang einschreiten und seinem Volk zu Hilfe kommen wird. Zu groß ist die Unterdrückung, zu laut das Flehen der Bedrängten, zu eindeutig Gottes Leidenschaft für Befreiung und Gerechtigkeit. Es ist hier für niemanden eine Frage, dass man sich mit der Befreiungsgeschichte Israels identifizieren darf, ja soll. Dies geschieht nun nicht nur in Predigten, sondern praktisch täglich in den Leserbriefspalten der Zeitungen oder in den Kolumnen politischer Kommentatoren. Dabei wird vor allem das Alte Testament ausgiebig zitiert und auf Simbabwe hin interpretiert.
Natürlich spielt 2. Mose 3, 7 eine Rolle: "Ich habe das Elend meines Volkes gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört ..." Debora und ihr Siegeslied werden herangezogen: "So sollen umkommen, Herr, alle deine Feinde! Die ihn aber liebhaben, sollen sein, wie die Sonne aufgeht in ihrer Pracht!" (Richter 6, 31). Die ägyptischen Plagen (2. Mose 7-11) werden aktualisiert: Trockenheit, Hunger, Währungsverfall hat Gott schon gesandt - weil "unser Pharao uns Freiheit, Menschenrechte und Rechtssicherheit verweigert ..." Bald drohe die Plage der Finsternis, dann nämlich, wenn die Nachbarländer dem zahlungsunfähigen Simbabwe keinen Strom mehr liefern sollten. Und damit sich die Pharaos in der Staatsführung auch nichts vormachen, wird daran erinnert, wie es denen ergeht, die die Zeichen der Zeit übersehen: Saddam vor allem, aber auch Mobutu und Ceaucescu - Afrikanische Bibelauslegung als Widerstand!
Zum Arsenal afrikanischen Widerstandes gehören schließlich Warnungen - oft recht drastische. Mit zweierlei wird den Machthabern gedroht: mit den Folgen der bösen Tat und mit Gottes Strafgericht, das schon jetzt beginnt. Dabei bedient sich Gott auch der allseits gefürchteten Rachegeister, vor denen es kein Entrinnen gibt.
Strafe erfolgt auch ohne ausdrückliches Strafgericht. Denn die böse Tat gebiert fortwirkendes Übel. Daran kann man erinnern - den Unterdrückern zu Warnung, den Opfern zur Genugtuung: "Das Böse, das sie (Partei und Regierung) der Gesellschaft von Simbabwe zugefügt haben, wird noch ihre Kinder und Enkel nicht zur Ruhe kommen lassen..." Davon sind die Menschen genauso überzeugt wie von der kommenden Abrechnung, für die ein gerechter Gott sorgen wird. Hat er nicht seine Maßstäbe unmissverständlich dargelegt? Es wird an die Propheten erinnert, an Jeremia (22, 3): Schaffet Recht und Gerechtigkeit ... und vergießt nicht unschuldiges Blut, an Habakuk (2,12): "Weh dem, der die Stadt mit Blut baut und richtet die Burg auf mit Unrecht!" - Auf die "Schrift an der Wand" (Daniel 5) und die "Zeichen der Zeit" (Matthäus 16, 3) wird hingewiesen und eingeschärft: "Wer Ohren hat zu hören, der höre!" (Matthäus 11, 15). Den Kirchen wird Nathans Strafrede an David (2. Samuel 12) vorgehalten und die Tapferkeit des Propheten Micha ben Jimla (1. Könige 22), der für seinen Gehorsam leiden muss. Die (falschen) Hofpropheten, welche die Verbrechen des Präsidenten abgesegnet hätten, werden namentlich genannt - darunter der anglikanische Primas. Ein Kommentator vergleicht die Lage in den Kirchen mit der Elia-Zeit: "Einige Kirchleute haben ihre Seele an Baal verkauft." Von wo es nicht weit ist bis zur Warnung: "Irret euch nicht. Gott lässt sich nicht spotten. Was der Mensch sät, das wird er ernten." (Aufruf der Zimbabwe National Pastor's Conference).
Simbabwe wäre kein Teil Afrikas, wenn nicht Ahnen und Geister ihre Rolle spielen würden. Nach der Überzeugung der Menschen tun sie das aber. Und man darf den politischen Gegner durchaus damit schrecken. Das Kommunikationsmittel dafür sind wieder Leserbriefe. Gerade erschien in der Daily News ein solcher mit dem Titel: "Gott straft die Leute von Muzarabani." Der Autor erläutert darin den von furchtbaren Fluten heimgesuchten Leuten im Sambesi-Tal, dass die Rachegeister (ngozi) hinter diesem Unglück steckten. Eigentlich sagt er, wollen die Rachegeister den Präsidenten treffen, um die vielen Unschuldigen zu rächen, die er auf dem Gewissen hat. Das aber tun sie nicht direkt. Nein, sie bringen zuerst Unglück über die, die ihm nahestehen, seine Familie oder seine Parteigänger. Deswegen traf es zunächst Mugabes Neffen, den Präsidenten des Fußballverbandes. Auf Druck des Internationalen Fußballverbandes FIFA wurde er - wegen Korruption - mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt. Nun sind die Leute von Muzarabani dran, die immer die Treuesten hinter Mugabe waren. Hatten sie nicht ihre Gegend zur no-go-zone für die Opposition gemacht, Lehrer vertrieben und Häuser von Verdächtigen zerstört? Nun schickt Gott Flut und Rachegeister - als Strafe für Muzarabani und als Warnung an alle. Man muss davon ausgehen, dass solche Botschaften ernstgenommen werden.
Man kann gut verstehen, dass dem westlichen Beobachter beim Betrachten des Arsenals des afrikanischen Widerstehens unbehaglich wird. Das ist auch gar nicht anders zu erwarten. Denn die hier gewählten Formen des Widerstandes kommen aus einer uns fremden Welt - und fremdem Wirklichkeitsverständnis. Die Christenheit in Afrika denkt - mit Ausnahmen - in voraufklärerischen Kategorien. Es gibt keine historische Distanz zum Alten Testament, weshalb man sich direkt mit Gottes unterdrücktem Volk identifizieren und die verheißene Rettung auf sich beziehen kann. Alles kann ganz wörtlich genommen werden, prophetische Gerichtsansagen genauso wie die Ankündigungen von Heil und Rettung.
Auch mit Gebeten gegen die Feinde (Gottes) hat man wenig Probleme, weil Strafe und Rache ja nicht selbst vollzogen - das wäre Zauberei oder Magie - sondern Gott anheim gestellt werden. Es ist Gottes Entscheidung, ob die Zeit gekommen ist, jemanden abzuberufen.
Und dann gibt es noch die Geisterwelt, Mächte und Kräfte, die ganz massiv und für jedermann sichtbar Gericht und Strafe auf ihre Weise vollziehen - sei es in Gottes Auftrag, der christlichen Variante, sei es selbständig (im Rahmen des alten Ahnenglaubens). Besonders gefürchtet sind die Rachegeister, die unweigerlich Unglück über diejenigen bringen, die für den Tod Unschuldiger verantwortlich sind. Aus Gesprächen mit Theologiestudenten weiß ich, dass es nur wenige gibt, die keine panische Angst vor dem Wirken dieser ngozi haben.
Dieses für uns so bizarre Arsenal wird nun auch eingesetzt, und zwar mit bestem theologischen Gewissen. Im afrikanischen Kontext kann man sich der Stringenz dieser Entscheidung gar nicht entziehen. Was hier kommuniziert wird, ist ja nichts anderes, als die kulturell passende Antwort auf eine lebensbedrohliche Situation. Man muss sich klar machen, in welcher Lage sich die Menschen befinden, nachdem sowohl die Wahlen zum Parlament (2001) wie zum Präsidentenamt (2002) massiv gefälscht worden sind, und damit ein demokratischer Machtwechsel verhindert wurde. Hinzu kommt, dass Oppositionsarbeit von den Staatsorganen kriminalisiert wird und eine neue Gesetzgebung sowohl die Versammlungs- wie die Meinungsfreiheit praktisch abgeschafft hat. Als wenn das noch nicht genug wäre, müssen viele in ständiger Angst vor Verhaftung, Folter und Willkür aller Art leben. Auf diese Bedrohung antworten sie auf ihre Weise - im Bund mit Gott und den Geistern. Sie setzen Himmel und Hölle in Bewegung, um sich gegen ihre Bedrücker zu wehren. Sie setzen Warnung gegen Warnung, Drohung gegen Drohung und Angst gegen Angst. Dabei sind sie zuversichtlich (we shall overcome ...), dass es zu einer Wende kommen wird. Haben sie nicht Gott (und die Geister) auf ihrer Seite?
Vergleicht man die gegenwärtige Lage Simbabwes mit der vor zwei Jahren, so muss man feststellen, dass die offiziellen Kirchen sich heute kaum noch zu Wort melden. Unter den Gründen für diese Entwicklung ist die Einschüchterungskampagne des Geheimdienstes wohl der Wichtigste. Umso erfreulicher ist, dass die Stimme der Kirche dennoch nicht verstummt ist, sondern in Wort und Tat von Einzelnen und kleinen Gruppen als "bekennende Kirche" wirksam bleibt.
Am erstaunlichsten aber ist, mit welchem Selbstbewusstsein eine christliche Öffentlichkeit - von den verfassten Kirchen weitgehend im Stich gelassen - dem totalitären Staat zäh widersteht. Es ist der Widerstand einer mündig gewordenen afrikanischen Christenheit. Dass er für den westlichen Beobachter befremdliche Züge und Inhalte hat, hängt am zugrunde liegenden afrikanischem Weltverständis.
Die darauf beruhende Spiritualität kann man theologisch durchaus hinterfragen. Man muss aber anerkennen, dass sie von westlichen Vorbildern ganz unabhängig ist, in die vorgegebene Kultur passt und durch staatliche Repression in keiner Weise erschüttert werden konnte.
aus: der überblick 03/2003, Seite 15
AUTOR(EN):
Reinhard Veller:
Dr. Reinhard Veller ist seit 1998 Pastor der internationalen evangelischen Martin-Luther-Gemeinde in Harare, Simbabwe, und Dozent am "United Theological College" von Simbabwe. Zuvor hat er 14 Jahre lang als Referent für das anglophone Afrika in der Vereinigten Evangelischen Mission (VEM) in Wuppertal gearbeitet.