Zeitzeugen-Aussagen über die Geburtswehen von Indien und Pakistan
Bis heute verdrängen die meisten Beteiligten die Welle der Gewalt, von der die Teilung der indischen Kolonie in die unabhängigen Staaten Indien und Pakistan begleitet war. Urvashi Butalia hat in zehnjähriger Forschungsarbeit Menschen aufgesucht, die die Teilung miterlebt haben, und sie dazu gebracht, über ihre Erlebnisse zu sprechen.
von Mischa Ehrhardt
Der Weg in die Unabhängigkeit war für Indien mit einer Teilung verbunden, die das Leben von Millionen Menschen sozusagen über Nacht einschneidend verändert hat. Denn aus der indischen Kolonie wurden zwei Staaten: Indien und Pakistan. Am Tag der Unabhängigkeit und der Teilung, dem 15. August 1947, herrschte in vielen Regionen zunächst Verwirrung über den Verlauf der neuen Grenze.
"Es war Abend. Mein Vater sagte, Schwester, lass mich Dir eines sagen, mache Dich fertig, mache Dich fertig, fortzugehen. Sie fragte, warum? Er sagte, Pakistan ist geschaffen worden. Und sie schrie, Ram, Ram, Ram, Ram, was ist das, was ist nur geschehen, was nur? Bald versammelten sich alle Leute aus dem Viertel, und überall war Verwirrung, als die Leute fragten, >Was ist geschehen, was ist das?< Nahe dran war ein Muslim-Haushalt, und die Frau von dort sagte die ganze Zeit, >keine Angst, beunruhigt Euch nicht, wir werden so weiterleben, wie wir es jetzt tun.<"
Das Zitat stammt von einer noch lebenden Zeitzeugin. Maya Rani, eine Harijan (Kastenlose), die die Teilung als junge Frau miterlebt hat, schildert, wie konfus die Situation war, als der neue Staat Pakistan ausgerufen wurde.
Das Ausmaß an Gewalt, die vor allem in den neuen Grenzregionen ausbrach, konnte kaum jemand voraussehen. Hindus wurden vertrieben oder flüchteten aus dem neuen Staatsgebiet Pakistan, und indische Muslime flohen entgegengesetzt in Richtung des neuen Muslimstaats. Innerhalb von zwei Monaten mussten zwischen 10 und 12 Millionen Menschen aus ihrer angestammten Heimat fliehen oder wurden vertrieben; eine Million fielen Gewalt, Hunger oder Krankheit zum Opfer, und an die 75.000 Frauen wurden verschleppt und vergewaltigt. Familien wurden auseinander gerissen, Kinder verloren ihre Eltern. Millionen von Menschen wurden ihres Heims und ihrer Wurzeln beraubt. Gemessen an dem kurzen Zeitraum war dies eine der blutigsten Massenbewegungen des letzten Jahrhunderts.
Bis heute fällt es den Betroffenen schwer, über ihre Erfahrungen zu berichten. Es herrschte eine Art stillschweigende Übereinkunft zwischen den Opfern der Teilung, Historikern und dem Staat, das Schweigen, das sich über diesen Teil der Geschichte gelegt hat, nicht anzurühren. Erst in den vergangenen Jahren begannen Wissenschaftler, Historiker und Journalisten, mit noch lebenden Zeitzeugen zu sprechen.
"Aber wir gingen raus und gingen weiter", fährt Maya Rani mit ihrem Bericht fort, "ein bisschen weiter lagen zwei Körper, und noch weiter stand eine Gruppe von Jungs, es waren Muslime, und sie waren dabei, eine Frau mitzuschleppen, und so vergingen fast zweieinhalb Stunden. Dann hörten wir Leute jubeln: 'Hindustan, Hindustan', und die Hindus begannen sich wieder hoffnungsvoller zu fühlen, und jetzt begannen sie zu sagen, beunruhigt Euch nicht, da ist nichts in der Hindu-Muslim Beziehung, wir werden zusammenleben, wie wir es immer getan haben." Doch zu diesem Zeitpunkt stand die Teilung bereits fest, und an ein friedliches Zusammenleben war zumindest in den Grenzregionen kaum zu denken.
Die Teilung war das Ergebnis eines zähen Ringens zwischen den politischen Vertretern der muslimischen Minderheit und dem Indischen Nationalkongress (INC), der 1885 gegründet worden war und sich seither für die Unabhängigkeit eingesetzt hatte. Die muslimische Minderheit befürchtete hingegen, angesichts des aufkommenden Nationalismus in dem von Hindus dominierten Subkontinent zu kurz zu kommen, und sah ihre Rechte gefährdet. 1906 war die Muslim-Liga gegründet worden, die ab 1916 von Mohammed Ali Jinnah geführt wurde. Jinnah forderte ab 1940 einen eigenen Staat. Er bestand umso mehr darauf, je mehr sich das Ende der britischen Herrschaft abzeichnete.
Der Nationalkongress und Gandhi, der bereits 1934 aus dem INC ausgetreten war, hielten allerdings gegenüber der Muslim-Liga an der Einheit der indischen Nation fest bis zum offiziellen Beschluss über die Teilung Anfang Juni 1947. Im Jahre 1946 war offenkundig, dass die britische Herrschaft bald zu Ende sein würde. Der politische Kampf zwischen dem Nationalkongress und der Muslim-Liga nahm an Schärfe zu. Ein Kompromissvorschlag einer britischen Vermittlungsmission wurde zunächst von beiden Parteien angenommen.
Als Nehru, der frisch gewählte Präsident des INC, jedoch öffentlich erklärte, der INC fühle sich nicht an alle Einzelheiten des Planes gebunden, rief Jinnah den 16. August zum Tag der direkten Aktion aus. Der sollte dem Willen der Muslime zu einem eigenständigen Staat Pakistan Nachdruck verleihen. An diesem Tag wurden Massaker an Hindus verübt, die mit Massakern an Muslims beantwortet wurden. Gewaltakte begleiteten die diplomatischen Bemühungen um eine Lösung der Indienfrage von diesem Tag an. Aber erst mit der Unabhängigkeit der beiden Staaten und in den Monaten danach brach die Gewalt völlig unkontrolliert aus.
Viele der Täter und Opfer beider Seiten sehen dieses Verhalten im Nachhinein als unerklärbar an. Der Sikh Harjit, der nahe der Grenze in der Stadt Attari wohnt, erinnert sich: "Ich kann es nicht erklären, aber eines Tages zog unser ganzes Dorf los zu einem nahe gelegenen Muslim-Dorf, um zu töten. Wir wurden einfach wahnsinnig. Und es hat mich 50 Jahre der Reue und schlafloser Nächte gekostet - ich kann die Gesichter derjenigen nicht vergessen, die wir getötet haben."
Auf der pakistanischen Seite der Grenze berichtet Nasir Hussain ganz Ähnliches: "Noch immer kann ich nicht verstehen, was in jener Zeit mit mir und den anderen Jungen aus dem Dorf geschehen ist. Es war eine Sache von zwei Tagen; wir wurden fortgetragen von dieser ungezügelten Welle des Hasses... Ich kann mich noch nicht einmal daran erinnern, wie viele Menschen ich wirklich getötet habe. Es war eine Phase, ein Bewusstseinszustand, über den wir keine Kontrolle hatten. Wir wussten noch nicht einmal, was wir gerade taten." Niemand kann mit Sicherheit sagen, was die Gründe für den Hass und die Gewalt gewesen sind. Einer ist aber die Art der Grenzziehung gewesen.
Unter großem Zeitdruck musste die Grenzlinie noch vor dem 15. August 1947 gezeichnet werden. Nachdem zwei Kommissionen an dieser Aufgabe gescheitert waren, wurde Cyril Radcliffe damit beauftragt, der nie zuvor Indien gesehen hatte. Am Ende schrieb er seinem Neffen: "Niemand in Indien wird mich mögen für den Schiedsspruch über den Punjab und Bengalen, und da werden grob 80 Millionen Menschen mit einer Klage anfangen, nach mir Ausschau zu halten. Ich möchte nicht, dass sie mich finden." Hätte er es mit mehr Zeit anders gemacht, wurde er später gefragt: "Ja. Bei meiner Ankunft sagte ich allen politischen Führern, dass die Zeit zu meiner Verfügung sehr kurz sei. Aber alle Führer wie Jinnah, Nehru und Patel sagten mir, dass sie eine Linie vor dem 15. August wollten. Also zeichnete ich ihnen eine Linie." Das Ergebnis war ein Pakistan auf zwei Territorien, die tausend Kilometer voneinander entfernt lagen (aus einem wurde später Bangladesch). Territorien, in denen aber nicht nur Muslime, sondern auch Hindus wohnten. Und es ergaben sich Grenzgebiete auf indischer Seite, in denen auch Muslime wohnten. Es war unmöglich, die Grenze so zu zeichnen, dass gemischt besiedelte Gebiete vermieden wurden.
Im Punjab, das von der Gewalt am meisten betroffen war, begegneten muslimische kafilas (Flüchtlingstrecks) auf dem Weg ins westliche Pakistan hinduistischen kafilas auf ihrem Weg nach Indien. Der Sikh Rajinder Singh erinnert sich: "Jeder war mit Kummer geschlagen. Des einen Mutter war gestorben, des anderen Vater war gegangen, jemandes Tochter war verschleppt worden... Wir sahen eine Zugladung von Hindus; sie wurden getötet; und in Dera Baba Nanak eine Zugladung von Muselmanen, die aus der Richtung von Ludhiana kamen; sie wurden getötet... Sie töteten gegenseitig ihre Leute... Als wir in Dera Baba Nanak ankamen, sagten sie uns, ihr seid nach Hause gekommen. Aber wir dachten, unser Zuhause war da drüben. Wir haben es hinter uns gelassen. Wie kann das hier zu Hause sein?"
Mittlerweile liegen diese Ereignisse über fünfzig Jahre zurück. Aber die meisten Betroffenen sehen sich noch immer außerstande, über ihre Erlebnisse zu berichten. Erst in den letzten Jahren haben Autoren nachgeforscht, Gespräche mit Betroffenen geführt und diese dokumentiert. Urvashi Butalia hat mit ihrem Buch "The Other Side of Silence" einen großen Beitrag geleistet, das Leiden - gerade auch von gesellschaftlich unterdrückten Gruppen wie Frauen, Kindern oder Harijans - zu dokumentieren. Sie möchte damit auch das Schweigen zu beiden Seiten der Grenze brechen, das sich über die Vergangenheit gelegt hat. "Ich denke, alles, was wir im Moment hoffen können, ist, dass es ein wenig Öffnung geben wird, irgendwann. Bis das nicht passiert und wir es schaffen, über die Teilung zu sprechen, befürchte ich, dass wir nicht fähig sind, sie hinter uns zu lassen."
Literatur
Urvashi Bhutalia: The other side of Silence - Voices from the Partition of India. Duke University Press, Durham 2000, 310 S.aus: der überblick 04/2000, Seite 69
AUTOR(EN):
Mischa Ehrhardt :
Mischa Ehrhardt studiert Philosophie und Soziologie an der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt/Main.