Garane Ahmed Korfa sitzt im Parlament Äthiopiens, macht Geschäfte in Somalia und regiert ein nach Somalia orientiertes Gebiet Äthiopiens
Es gibt wohl nur wenige Menschen hier, die so viele Funktionen haben wie Korfa. Der hochgewachsene, schlaksige 51-jährige ist nicht nur Sultan eines somalischen Clans im Ogaden, er ist gleichzeitig auch noch Parlamentsabgeordneter in Addis Abeba, Geschäftsmann, Chef einer Hilfsorganisation und absolutistischer Herrscher über die Bewohner von Kelafo. Zugleich verkörpert er auch die Absurdität afrikanischer Grenzen, ja sogar des afrikanischen Nationalstaates. Und um das zu verstehen, muss man nur ein paar Tage mit ihm unterwegs sein.
von Michael Bitala
Der Sultan kommt, und jeder erkennt ihn schon von weitem. Er rast mit seinem weißen Toyota-Allrad über die steinige Piste, hinten und vorne von weiteren Autos eskortiert. Aus dem Strohhüttendorf rennen Kinder auf ihn zu, Männer winken, Frauen lachen und viele rufen: "Sultan! Sultan!" Dieser lacht, winkt auch und gibt noch mehr Gas, sodass die mit Kalaschnikows bewaffneten Leibwächter fast von der Ladefläche des Autos fallen. Garane Ahmed Korfa ist wieder da - daheim in Kelafo, seinem Geburtsort im Südosten Äthiopiens nahe der Grenze zu Somalia. Und diesmal trägt Korfa nicht wie in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba einen Anzug aus feinem Stoff, er kommt in Jeans und blauem Hemd.
Es gibt wohl nur wenige Menschen hier, die so viele Funktionen haben wie Korfa. Der hochgewachsene, schlaksige 51-jährige ist nicht nur Sultan eines somalischen Clans im Ogaden, er ist gleichzeitig auch noch Parlamentsabgeordneter in Addis Abeba, Geschäftsmann, Chef einer Hilfsorganisation und absolutistischer Herrscher über die Bewohner von Kelafo. Zugleich verkörpert er auch die Absurdität afrikanischer Grenzen, ja sogar des afrikanischen Nationalstaates. Und um das zu verstehen, muss man nur ein paar Tage mit ihm unterwegs sein.
Schon bei der Ankunft in Kelafo passiert etwas, das ein souveräner Staat eigentlich nicht zulassen dürfte: Lebensmittel, Benzin, Getränke und Tiere werden nicht in äthiopischen Birr, sondern in Somali-Schilling bezahlt. Seit im Nachbarland Anarchie herrscht, seit es dort keine Zentralregierung und keine Zentralbank mehr gibt, existiert die Währung Somalias eigentlich nicht mehr. Zwar sind vor ein paar Wochen zum ersten Mal seit Jahren wieder ein zentrales Parlament und ein Präsident gewählt worden, doch ob sich diese gegen die schwerbewaffneten Kriegsherren im Süden Somalias durchsetzen können, ist derzeit alles andere als klar. Doch der Somali-Schilling ist auch ohne funktionierende Zentralregierung in Somalia im äthiopischen Ogaden seit Jahren die herrschende Währung. Sollte das Geld mal ausgehen, erzählt ein Polizist, werden in Somalias Hauptstadt Mogadischu eben neue Noten gedruckt. Was doppelt bemerkenswert ist: Erstens erhält Geld ohne Wert durch die allgemeine Anerkennung der Somali neuen Wert; und zweitens ist der Polizist, der das sagt, eigentlich dafür da, die äthiopische Souveränität zu schützen.
Doch vom äthiopischen Staat oder Nationalgedanken will man im Ogaden nichts wissen. Die überwiegende Mehrheit der vier Millionen hier lebenden Menschen sind Somali. Entweder sind sie hier geboren oder während der Kämpfe im Nachbarland in den Ogaden vertrieben worden. Und diese Region ist das am schlechtesten. versorgte Gebiet im sowieso schon bettelarmen Äthiopien. Es gibt keine asphaltierten Straßen, keinen Strom, keine Telefone, kein sauberes Trinkwasser und fast keine Krankenhäuser. Deshalb sterben hier auch ohne Hungersnot und Dürre in der Regel bis zu 20 von 100 Kindern, bevor sie fünf Jahre alt werden.
Als im Frühjahr dieses Jahres die Welt aufgerufen wurde zu spenden, weil im Ogaden durch die lang anhaltende Dürre erst die Rinder und Schafe, dann Kamele und zuletzt auch noch Kinder und Alte starben, da war Korfa der Erste in Kelafo, der den Bewohnern geholfen hat. Er kaufte Getreide, Obst, Gemüse und Arzneien, erweiterte die Klinik, die auf seine Initiative hin von einer italienischen Hilfsorganisation gebaut worden war, und nahm noch mehr Hungerflüchtlinge auf. Waren im vergangenen Jahr noch 2000 Somali nach Kelafo gekommen, so hatte Korfa im März und April dieses Jahres bis zu 8000 Menschen zusätzlich zu betreuen. Und da die äthiopische Regierung sich nicht um dieses Gebiet gekümmert hatte, waren auch internationale Hilfsorganisationen wie zum Beispiel die Deutsche Welthungerhilfe, das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen oder auch Karlheinz Böhms "Menschen für Menschen" auf Korfa angewiesen, wenn sie helfen wollten. War er doch die einzige Institution, über die man die Somali in Kelafo überhaupt versorgen konnte.
"Bis vor kurzem gab es hier überhaupt nichts", sagt der Sultan, dessen von ihm gegründete Hilfsorganisation inzwischen von der Europäischen Union, Italien, Österreich und der Schweiz finanziell unterstützt wird. Er lässt von den Hilfsgeld nicht nur Krankenhäuser, Schulen und Bewässerungsanlagen bauen, sondern kauft auch Lebensmittel und Medikamente ein. Und wo er dies tut, ist auch klar: "Mogadischu ist 300 Kilometer entfernt", sagt der Sultan, "Addis Abeba 1400 Kilometer. Nicht nur ihre Volksgruppe, auch die Transportkosten für Lebensmittel oder Material zwingen die Somali, sich nach Mogadischu zu orientieren." Außerdem interessiere es niemanden, auch die wenigen Grenzposten zwischen beiden Ländern nicht, wenn die Menschen zwischen Äthiopien und Somalia hin- und herziehen. Das Einzige, was für die Meisten zähle, sagt Korfa, sei das Bewusstsein, einem der vielen somalischen Clans anzugehören, sein Land und sein Vieh zu verteidigen und die Gesetze der Gruppe anzuerkennen, die sich sehr stark am islamischen Recht orientieren.
Korfa ist der unumschränkte Herrscher in Kelafo. Seine Familie besitzt, so wird kolportiert, die größte Bananenplantage südlich von Mogadischu. Das Wichtigste aber ist, dass er Sultan ist, der Chef eines Clans. Den Titel hat er von seinem Vater geerbt, und was Korfa sagt, das gilt - auch wenn es noch so viele Polizisten, Ortsvorsteher oder Bezirksabgeordnete gibt. "Die haben ihre Titel und sind glücklich damit. Geld, um den Menschen zu helfen, haben sie keines", sagt der Mann und lacht.
Vor dem Haus des Sultans, dem einzigen gemauerten in Kelafo, drängen sich die Menschen. Jeder will nun mit ihm sprechen, weil er oft nicht da ist, sondern in Addis Abeba residiert. Doch bevor es zum abendlichen Treffen mit den Dorfältesten geht, will er dem Besucher noch zeigen, wie ein somalischer Sultan Spaghetti isst. Mit den Händen natürlich, und die Nudeln werden so lange geschickt mit den Fingern eingewickelt, bis sie in einem kleinen Häufchen zusammengedreht in der Handfläche liegen. "Das habe ich nicht in Italien gelernt. Dort habe ich zwar studiert, aber wie man Spagetti richtig isst, das wissen die wirklich nicht." Und dann erzählt er, dass die meisten Menschen vor seiner Tür Geld haben wollen. "Ich gebe es ihnen auch oft, das ist meine Aufgabe." Außerdem werde er immer dann gerufen, wenn es gilt, Streitigkeiten zu schlichten, oder wenn es darum geht, dass jemand seinen Sohn im Krankenhaus beschäftigt wissen will. "Da gibt es nur drei Stellen", sagt der italienische Arzt Renzo Bozzo, der auf dem Anwesen des Sultans wohnt und die Klinik leitet. "Ich kann doch nicht 2000 Pfleger haben. Aber Korfa wird das schon richten."
An diesem Abend ist Korfa bis lange nach Mitternacht verschwunden, in Besprechungen, wie er am nächsten Tag erzählt. Um was ging es denn? "Um nichts Wichtiges", sagt er nur und ist wieder verschwunden, in der nächsten Besprechung. Der italienische Arzt kennt das Thema: Korfa muss zwischen zwei somalischen Familien vermitteln. Über 20 Tote habe es bei den Kämpfen zwischen ihnen schon gegeben. Nein, nichts Politisches, "es geht um Wasserrechte. Durch die Dürre suchen alle verzweifelt nach Stellen, wo sie ihr Vieh tränken können." Von denen, die Menschen getötet haben, komme aber keiner ins Gefängnis. "Da muss jetzt der Preis ausgehandelt werden, den eine Familie der anderen pro Getötetem zahlen muss."
Vor nicht allzu langer Zeit wurde hier noch viel heftiger gekämpft, aus politischen Gründen. Doch die Auseinandersetzungen haben sich 40 bis 50 Kilometer nach Westen verlagert. Dennoch reist Korfa nur mit bewaffnetem Begleitschutz, und auch den Mitarbeitern der Vereinten Nationen ist es nach wie vor nicht gestattet, in diesem Gebiet zu übernachten. Zu häufig sind hier Transporte oder Dörfer überfallen worden.
In diesem Krieg kämpft die Nationale Befreiungsbewegung des Ogaden (Ogaden National Liberation Front) gegen die äthiopischen Truppen. Sie fühlen sich von Addis Abeba unterjocht - von einer Regierung, der nachgesagt wird, sie werde von der Volksgruppe der Tigray im Norden Äthiopiens dominiert. Noch weiter im Westen will auch die Befreiungsbewegung der Oromo (Oromo Liberation Front) einen eigenen Staat für ihre Volksgruppe. Dieser Krieg ist noch viel brutaler als der im äthiopischen Somali-Gebiet, weil die Oromo die größte Gruppe der mehr als 80 Völker in Äthiopien darstellen und ihre Rebellen von sehr vielen Oromos unterstützt werden. Somali- und Oromo-Rebellen haben im vergangenen Jahr eine strategische Allianz gegen Äthiopien gebildet. Bislang hat ihnen das nicht viel geholfen, weil sich auch die Kämpfer der beiden Volksgruppen hassen und bekriegen. 10.000 Rebellen seien inzwischen in äthiopischer Haft, schätzt das Rote Kreuz in Genf. Ein Mitarbeiter vor Ort, der die Gefangenen betreut, weigert sich zwar, die exakte Zahl zu nennen, meint aber: "Es sind sehr, sehr viele."
Trotz der Kämpfe, trotz der Orientierung nach Somalia und auch trotz des langen Grenzkrieges zwischen Eritrea und Äthiopien - der Sultan würde niemals öffentlich ein schlechtes Wort gegen das Land oder auch nur gegen die Regierung in Addis Abeba sagen. Zu sehr ist er Abgeordneter im äthiopischen Parlament. Nein, Korfa sagt, dass sich - seit 1991 der äthiopische Diktator Mengistu gestürzt wurde, seit die Regierung unter Meles Zenawi im Amt sei - "sehr vieles in meiner Heimat verbessert hat". Was nicht sonderlich schwer war, immerhin war der Ogaden 1977-78 Kriegsgebiet; Somalia wollte damals das Gebiet besetzen. Danach blieb es von den Truppen Mengistus kontrolliertes und unterdrücktes Land.
Auch Korfa ist 1977 nach Somalia geflohen und erst zurückgekommen, als Mengistu gestürzt war. Seitdem ist er der Sultan von Kelafo; seitdem versucht er, zumindest die Menschen in seinem Ort zu unterstützen. Aber warum macht er das? Warum gibt er den Bewohnern so viel Geld? Warum investiert er nicht mehr Geld in seine Bananenplantage südlich von Mogadischu, wo er viel mehr Gewinn machen könnte? "Kelafo ist meine Heimat", sagt Korfa, "wir Somali im Ogaden brauchen endlich ein besseres Leben." Und auch wenn das alles übertrieben selbstlos klingt, zumindest in einer Einschätzung zeigt sich Korfa realistisch: "Ich habe seit Jahren dafür gebetet, dass Somalia wieder eine Zentralregierung bekommt, dass das Land endlich wieder in Frieden leben kann. Jetzt haben wir seit kurzem eine. Es wäre ein Wunder, wenn das klappt."
aus: der überblick 04/2000, Seite 62
AUTOR(EN):
Michael Bitala :
Michael Bitala ist Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in Nairobi.