"Mit oder ohne?"
Diese Frage müssen sich die Organisationen für Entwicklungszusammenarbeit stellen. Wie wäre das Ergebnis, wenn man gar nichts gemacht hätte? Doris Köhn weiß aus ihren Erfahrungen bei der Weltbank wie auch bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), dass Entwicklungszusammenarbeit etwas bewirken kann - aber nicht alles auf einmal. Denn wo es Erfolge gibt, gibt es auch Rückschritte.
von Christoph Wilkens und Jürgen Duenbostel
Was hat Sie dazu gebracht, Entwicklungspolitik als Berufsfeld zu wählen?
Mein entwicklungspolitisches Interesse begann schon als Schülerin, als im Unterricht Indien behandelt wurde. Damals habe ich mit meinen Klassenkameradinnen über terre des hommes eine Patenschaft für ein Kind in Indien übernommen. Mein Interesse an Entwicklungspolitik hielt auch nach dem Studium noch an. Ich entwickelte den Anspruch, nicht nur in kleinen Projekten für einige Leute vor Ort etwas zu tun, sondern Strukturen zu verändern und dadurch die Lebensbedingungen von Menschen in einem größeren Ausmaß zu verbessern.
Sehen Sie nach ihren nun jahrelangen Erfahrungen immer noch die Chance, durch Entwicklungspolitik und -projekte Strukturen zu verändern?
Letztlich schon, sonst könnte ich meine Arbeit aufgeben. Ich bin sicherlich nicht mehr so naiv, wie ich es als Studentin war, als ich glaubte, man muss nur die richtige Idee haben, man muss nur gut planen und die richtigen Dinge wollen, dann geht das schon. Ganz so einfach ist das nicht. Viele Vertreter von Regierungen oder gesellschaftlichen Gruppen in Entwicklungsländern, die ich treffe, sind ja sehr intelligent und engagiert. Es sind auch nicht alle korrupt. Aber es gibt Gründe und Strukturen, die es nicht einfach machen, Dinge grundsätzlich zu verändern. Das ist in Deutschland ja auch nicht anders. Außerdem gibt es in vielen Entwicklungsländern keine demokratische Auseinandersetzung; der Entscheidungsprozess ist häufig nicht sehr transparent. Trotzdem glaube ich - und das gilt für meine Erfahrung bei der Weltbank wie auch hier bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) B, dass wir mit unserer Entwicklungszusammenarbeit etwas bewirken. Ich glaube allerdings nicht, dass wir voluntaristisch all das verwirklichen können, was wir für richtig halten.
Sind Sie nicht zu bescheiden? Sind nicht im Zuge der Globalisierung Strukturen in Entwicklungsländern erheblich verändert worden?
Dieser Auseinandersetzung war ich bei der Weltbank stärker ausgesetzt, vor allem in der Diskussion mit Globalisierungsgegnern. Da wurden häufig die internationalen Entwicklungsinstitutionen sehr überschätzt, besonders darin, was sie an Bösem anrichten können. Da herrschte die Vorstellung: Da zieht so einer an den Strippen, und dann werden die Interessen der USA oder des internationalen Kapitals umgesetzt. Das ist überhaupt nicht meine Erfahrung. Man hat ja Partner in den Ländern und in der internationalen Diskussion. Das ist häufig ein Geben und Nehmen. Man kann nicht alles auf einmal haben. Entwicklung verläuft immer schrittweise; es gibt auch mal Rückschritte. Meine Aufgabe sehe ich darin, im Dialog mit den Partnern schrittweise Entwicklung in die richtige Richtung zu bewegen, und damit leben zu müssen, dass es mal Rückschritte gibt, dass man nicht innerhalb eines Zeitraums von drei bis fünf Jahren, in dem man ein Projekt oder ein Programm realisiert, alles fundamental ändert. Aber ich erwarte schon, dass hinterher mehr Menschen ein besseres Leben führen können als vorher.
Um auf die konkrete Zusammenarbeit mit den Partnern zu kommen. Kann man eigentlich von echter Partnerschaft sprechen? Bestimmt nicht der ausländische Partner, der das Geld hat, auch die Richtung?
Nach meiner Erfahrung nur sehr bedingt. Das mag auf das Land ankommen. Ich greife jetzt noch mal auf Beispiele aus meiner Zeit bei der Weltbank zurück: Wenn Sie mit Ägypten oder mit Marokko oder selbst einem kleineren Land wie Tunesien zu tun haben, glauben Sie bloß nicht, dass das, was sie da an Finanzierungen mitbringen, für die Länder so wichtig ist, dass die alles machen, was so eine internationale Entwicklungsorganisation diktiert. Für die KfW oder die finanzielle Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland gilt das ja noch mehr, weil die Summen kleiner sind. Dass man den Leuten vorschreibt, was sie machen sollen, wird nicht funktionieren. Letztlich haben wir nicht nur ein Interesse, einmalig etwas zu machen, sondern langfristig tragfähige Strukturen zu schaffen. Das kann nur funktionieren, wenn die auch von den Leuten vor Ort selbst gewollt und nachhaltig betrieben werden.
Aus meiner Sicht sind die objektiven Widersprüche stärker, als dass wir etwas völlig anderes wollen als die Partner, mit denen wir es zu tun haben. Wenn es beispielsweise um ein Trinkwasserversorgungsprojekt im ländlichen Raum geht, dann sind wir ebenso wie die Partner daran interessiert, dass das nachhaltig betrieben wird. Dafür muss es aber letztlich kostendeckende Tarife nehmen. Wenn die Gesellschaft nicht genug Geld einnimmt, um die Anlagen unterhalten zu können, dann bricht das System früher oder später wieder zusammen. Andererseits sind die Menschen, die dort leben, häufig sehr arm. Man muss sehen, wie hoch die Zahlungsfähigkeit und die Zahlungswilligkeit der Bevölkerung ist, und dann muss man beides in ein vernünftiges Verhältnis zueinander bringen. Es hat keinen Sinn, Ingenieure ein supertolles Projekt entwerfen zu lassen, das sich die Menschen, die dort leben, nicht leisten können. Da hilft nur, einfachere Lösungen schrittweise auszubauen im Einklang mit der Zahlungsfähigkeit der Bevölkerung. Man muss sozial verträgliche Lösungen finden, etwa durch angepasste Tarifsysteme, bei denen die Armen, das was sie unbedingt zum Trinken, Kochen und Waschen brauchen, billig bekommen, und dann progressive Tarife einführen, so dass die Reichen mit den Schwimmbädern und hohem Verbrauch auch pro Liter mehr bezahlen.
Damit die Reichen relativ höhere Tarife zahlen müssen als die Armen, müssten sich mancherorts die Machtverhältnisse ändern. Können Sie ein Beispiel nennen, wo Machtstrukturen durch Entwicklungspolitik revolutionär verändert wurden?
Ja, beispielsweise Marokko, wo wir - in einem allerdings jahrzehntelangen Dialog - dazu gekommen sind, dass wir ein weitgehend nachhaltig betriebenes Wasserversorgungssystem in den Städten geschaffen haben, das armen Bevölkerungsschichten erst einmal Zugang verschafft und wo die Grundbedürfnisquote billig ist. Reiche Leute, die pro Kopf deutlich mehr verbrauchen, zahlen auch pro Liter deutlich mehr.
Allerdings kann ich aus meiner Weltbankzeit auch von einem weniger erfolgreichen Projekt berichten, dem sogenannten Disi Amman Water Conveyor an der Grenze von Jordanien zu Saudi Arabien. Damit soll die Stadt Amman aus einem Grundwasserspeicher versorgt werden, der nach einiger Zeit erschöpft sein wird. Aber vier große Familienunternehmen hatten Konzessionen, aus diesem knappen Gut Grundwasser in der Wüste Weizenfelder zu bewässern. Wir haben deshalb gesagt, dieses Projekt können wir nur unterstützen, wenn diese Konzessionen widerrufen werden. Aber das ist während meiner Zeit nicht geschehen, weil es in dem Land Gruppen gibt, die ihre Privilegien aufrecht erhalten wollen. Da bleibt einem als Entwicklungsinstitution dann nur, ein Projekt nicht zu unterstützen. Die Gesetzgebung liegt eben bei der Regierung des Landes, konkret die Vergabe von Konzessionen, die Bestimmung der Tarife. Und das ist letztlich auch richtig so.
In einer KfW Broschüre steht etwa, dass die EU zwei Euro an Subventionen pro Rind im Jahr zahlt - mehr als viele Menschen in der dritten Welt verdienen. Der jahrzehntelange Aufbau von Rinderzucht in Afrika ist schon ruiniert worden, weil die EU auf dem Weltmarkt Rindfleisch zu Schleuderpreisen verkauft hat. Ist die Entwicklungspolitik nicht ein verzweifelter Versuch, Wunden zu lindern, während die Agrarpolitik, die Wirtschafts- und Handelspolitik und vielleicht auch die Außenpolitik verarmende Strukturen schaffen?
Den Zusammenhang gibt es schon. Meiner Meinung nach ist die EU-Agrarpolitik ein großes Entwicklungshemmnis für viele Entwicklungsländer. Mit Projekten in diesen Ländern kann man das nur sehr partiell kompensieren. Ich würde einen ganzheitlichen Ansatz in der Entwicklungspolitik bevorzugen. Aber sehr viele Interessen, auch bei uns hier in Europa stehen dagegen. Ich persönlich bedaure das. Aber welche Konsequenz ziehe ich daraus? Sage ich: "Es ist sowieso alles sinnlos und die machen, was sie wollen, also mache ich gar nichts." Das finde ich falsch. Deshalb engagiere ich mich hier in meinem eigenen Land als Bürger, versuche, der Politik, die ich für richtig halte, Gehör zu verschaffen. Und in meinem Beruf bemühe ich mich als Funktionsträger in dem Rahmen, wo ich etwas beeinflussen kann, das auch zu tun.
Um auf die Partner zurückzukommen; sind das immer Regierungsstellen?
Das ist unterschiedlich. In der Regel ist der Projektträger eine staatliche Stelle, nicht unbedingt ein Ministerium ...
... aber keine nichtstaatliche Organisation, keine NGO?
Direkt geht das nicht. Weil es sich um Regierungsvereinbarungen und Regierungsverantwortung handelt, geht das Geld zunächst einmal an den Staat, kann dann aber in Durchführungsvereinbarungen weiter geleitet werden, durchaus auch an eine NGO. Zum Beispiel bei der ländlichen Trinkwasserversorgung werden in der Ausführung der Programme in einzelnen Dörfern häufiger auch mal NGOs beteiligt.
Ein anderer Bereich, wo wir viel auch mit NGOs zusammenarbeiten, ist die Mikrofinanzierung. Da gibt es etwa Mikrofinanz-Banken, die wir selbst als private Gesellschaften gründen, oder Finanzierungsrahmen, die wir NGOs zur Verfügung stellen, die dann ihren Kunden entsprechend Kleinkredite weitergeben.
Sind Kleinkredite wirklich ein wirksames Mittel zur Armutsbekämpfung?
Ich denke schon. Wie immer kein Allheilmittel. Mit Mikrokrediten kann man nicht alle Entwicklungsprobleme lösen. Aber ich habe in sehr vielen Ländern - auch in unterschiedlichen Kulturbereichen - gesehen, dass man mit Finanzdienstleistungen wirklich die wirtschaftliche Aktivität von kleinen Leuten voranbringen kann.
Haben Sie da persönliche konkrete Erfahrungen?
Ich war unlängst mit dem Evangelischen Entwicklungsdienst und der Gesellschaft zur Förderung des Nord-Süd-Dialogs in der Dominikanischen Republik. Dort haben wir unter anderem die Dominikanische Vereinigung für die Entwicklung der Frau (ADOPEM) besucht, die als NGO angefangen und sich gerade bemüht hat, eine Banklizenz als Frauenbank zu bekommen. Diese Frauen haben uns ihre Arbeit sehr überzeugend dargestellt. Ich habe dort bei Frau Milagros gewohnt, die einen Kleinstkredit für ihre Teigtaschenproduktion bekommen hatte. Das waren sehr beeindruckende Leute.
Sie kennen dadurch beide Seiten: die westlichen Banken und die Kriterien, in denen diese denken und prüfen. Und Sie haben kennen gelernt, wie die Kreditnehmer denken, die das Geld investiert haben. Ist die Arbeitsweise mit Bilanzen und Rechnungshofkontrolle nicht eine ganz andere Welt? Gibt es da Konflikte in der Denkweise?
Das sehe ich so nicht. Auch ADOPEM braucht eine vernünftige Rechnungslegung. Sonst könnte diese NGO die Vergabe mehrerer tausend Kredite nicht bewältigen. Die haben ja auch Hunderte von Mitarbeitern. Die Endkreditnehmer, wie Milagros, bei der ich gewohnt habe, brauchen sicher keine Bilanz für ihr Kleinstunternehmen. Aber auf ihre informelle Art hatte Milagros die Informationen, die für sie relevant sind, um ihr Geschäft zu betreiben. Wie sie den Preis für eine Teigtasche festlegt, darüber hat sie sich schon Gedanken gemacht, und zwar sowohl über die Kosten als auch über ihren Markt. Vielleicht drückt sie das in anderen Worten aus, aber die Grunddaten sind die gleichen. Mit einer Ausnahme vielleicht: Den Wert der eigenen Arbeit setzt sie in ihrer Kostenrechnung praktisch nicht an. Sie steht morgens um fünf auf und geht abends um elf ins Bett. Da ist also viel Selbstausbeutung dabei. Das taucht als Kostenbegriff nicht auf. Kosten sind für sie die Dinge, die sie kauft, nicht ihre eigene Arbeit. Sie ist aber eine total erfolgreiche Unternehmerin. Ihr Mann ist Lehrer, aber das Geld in der Familie verdient sie.
Und etwas ist mir in dem Haus sofort aufgefallen: Es gab einen Computer. Der wurde vom Mann und den Kindern auch genutzt. Es gab aber keine Knetmaschine, um das Mehl für die Teigtaschen zu verarbeiten. Diese riesigen Teigmengen - das habe ich während meiner kurzen Mitarbeit gelernt - sind wahnsinnig schwer zu bewegen. Das ist aber kein finanzielles Problem. Wer einen Computer kaufen kann, kann sich auch so eine halbindustrielle Knetmaschine leisten. Aber ihre Wahrnehmung war nicht so, dass sie sich Hilfsmittel kaufen sollte, um ihre Arbeit zu erleichtern. Aber ansonsten sind diese Grundüberlegungen, was mache ich für ein kleines Geschäft, was kostet mich das und wie kann ich meine Sachen verkaufen, auch bei den kleinen Leuten vorhanden.
Aus Ihrer Schilderung ist deutlich geworden, dass dieses Kleinstunternehmen nicht zuletzt durch den Kleinkredit wachsen konnte und die Leute wohlhabender geworden sind. Aber hat sich dadurch strukturell etwas geändert, gibt es insgesamt eine Wohlstandsmehrung? Oder findet nur eine Umverteilung statt, weil die Frau, die zwei Straßen weiter Teigtaschen verkauft, jetzt weniger Umsatz hat?
Das kann ich empirisch natürlich nicht beantworten. Wir haben da keine breite Markterhebung für Teigtaschen durchgeführt. Ich kann nur etwas über den kleinen Bereich aussagen. Die Frau Milagros hatte schon nach kurzer Zeit eine Angestellte beschäftigt, die vorher kein Einkommen gehabt hat. Ihre Teigtaschen gelten in der Nachbarschaft als sehr lecker, so dass auch Leute aus der weiteren Umgebung zu ihr kommen. Ich weiß aber nicht, ob die deshalb insgesamt mehr davon kaufen oder die eine oder andere sagt, bevor ich selbst zu Hause Teigtaschen backe, kaufe ich die lieber. Wenn aber hundert Leute je zehn Teigtaschen backen, ist das volkswirtschaftlich bestimmt aufwändiger als wenn einer tausend backt, das gut kann und schnell macht und sie für rund fünf Cents pro Stück verkauft. So etwas mehrt den allgemeinen Wohlstand und nicht nur den der Person, die dieses Geschäft entdeckt hat.
Wenn ich jetzt als Entwicklungsorganisation entscheiden sollte, ob Projekte im Mikrofinanzbereich unterstützt werden sollen, bräuchte ich vielleicht doch noch überzeugendere Argumente, dass es einen Zusammenhang zwischen Bekämpfung der Armut insgesamt und den Mikrokrediten gibt?
Nun, die schaffen zunächst einmal Einkommen und Arbeit. Ihr Haupteinwand ist ja, dass so ein Programm vielleicht woanders Arbeit und Einkommen wegnimmt. Die Frage kann ich aber auch umdrehen: Weisen Sie mir das doch mal nach. Das ist genauso schwierig. Erstmal halte ich die Wohlstandsmehrung für plausibel. Und Mikrokredite können auch solche Bevölkerungsgruppen erhalten, die sonst keinen Zugang zu Finanzdienstleistungen haben. Bei ADOPEM war das so, und auch aus meiner sonstigen Erfahrung im Mikrofinanzbereich habe ich immer wieder festgestellt: Das Problem sind nicht die Zinsen - die Zinssätze sind ja relativ hoch, weil die Bereitstellung von Kleinkrediten für eine Institution relativ teuer ist. Aber diese Kleinstunternehmen kriegen sonst überhaupt nichts. Von daher bin ich von der entwicklungspolitischen Bedeutung von Mikrofinanzierung überzeugt.
In der Dominikanischen Republik werden aus den gesammelten Kleinstersparnissen Pensionssysteme gebildet, die großenteils von internationalen Kapitalorganisationen getragen werden. Ist das nicht unmoralisch, wenn solche Kapitalorganisationen mit dem wenigen Geld von armen Menschen ihre Geschäfte machen?
Das Problem sehe ich auf einer anderen Ebene. Die erste Frage ist, wer kann überhaupt einbezogen werden in solch ein soziales Sicherungssystem. Was ist etwa mit der Angestellten von Milagros? Wenn Milagros für die zusätzlich Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung bezahlen müsste, würde sie ihren informellen Kleinstbetrieb wohl wieder dicht machen, weil sie sich dann formalisieren müsste mit Rechnungslegung und dergleichen. Die wichtigste Frage ist also, wie man ein soziales Sicherungssystem auf eine breite Basis stellen kann, ohne die wirtschaftliche Initiative von Kleinstunternehmern zu ersticken.
Zu Ihrer anderen Frage, wer das Geld verwalten soll, das von Pensionskassen eingesammelt wird: Da würde ich sagen: Arme Leute haben das gleiche Recht wie reiche Leute, dass ihre Kassen vernünftig verwaltet werden. Natürlich muss staatlicherseits eine Regulierungsbehörde darauf achten, dass diese Fonds nicht betrügerisch sind und mit dem Geld verschwinden. Aber wenn ich Pensionsfonds zusammenführe und auf internationalen Kapitalmärkten anlege - nicht anders funktionieren die Pensionsfonds von Großunternehmen - kann ich bessere Renditen erwirtschaften. Warum sollen solche bessere Renditen nicht auch armen Leuten zu Gute kommen. Damit habe ich kein Problem.
Lassen Sie uns zuletzt noch einen ganz anderen Bereich ansprechen, der in vielen entwicklungspolitischen Institutionen tabu ist, nämlich gescheiterte Projekte.
Gescheiterte Projekte gibt es. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Wenn wir nur Erfolge vorzuweisen hätten, würden wir etwas falsch machen. Denn es ist auch Aufgabe von Entwicklungspolitik und Entwicklungsinstitutionen, Dinge zu machen, die ein normaler Investor nicht anpacken würde, weil ihm das Risiko zu hoch ist. Und so etwas kann auch einmal schief gehen, wenn man das Risiko falsch eingeschätzt hat. Ich denke, dass wir auch dort hingehen sollen, wo es schwierig ist, und damit das Risiko des Scheiterns in Kauf nehmen müssen. Die Frage, die aus meiner Sicht gestellt werden muss, ist nicht "vorher - hinterher" sondern "mit oder ohne". Wie wäre das Ergebnis, wenn man gar nichts gemacht hätte? Gewiss, manchmal verschätzt man sich. Man hat analysiert und gemeint, das klappt, und am Ende stellt sich heraus, das Projekt ist gescheitert. Dann muss man sich das auch eingestehen und nach den Gründen suchen, warum es nicht geklappt hat. Nur dann kann man es beim nächsten Mal besser machen.
Können Sie ein konkretes Beispiel schildern?
Das macht man ja immer so ungern. Natürlich kenne ich Projekte, die gescheitert sind. Was häufig überschätzt wird, ist die Leistungsfähigkeit der Partner. Wir verlangen ja immer auch Eigenbeiträge. Wo selten etwas schief geht, ist im Bau. Das größere Risiko ist, dass etwas zwar fertig gebaut wird, aber der Projektträger vor Ort keinen nachhaltigen Betrieb gewährleisten kann, weil bei dem Versuch, dessen Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit zu bestimmen, Fehler gemacht worden sind. Früher gab es auch häufiger mal ein falsches Design. Ich kann mich an ein Wasserversorgungsprojekt erinnern, wo der Ingenieur alle 500 Meter eine Zapfstelle geplant hatte. Aber die waren nicht dort, wo die Leute gerne ihre Zapfstellen haben wollten. Inzwischen haben wir dazugelernt. Heute gehen wir mehr von den Menschen aus: Was brauchen die, was wollen die, was können die sich leisten?
Und dann gibt es auch immer wieder mal politische Einflüsse, wenn Interessen in der Regierung sich ändern und dann die Rahmenbedingungen, die man braucht, nicht eingehalten werden. Im Stromsektor kommt das häufiger vor, dass aus politischem Opportunismus Stromtarife wieder gesenkt werden. Dann können die Systeme nicht ausreichend unterhalten und gewartet werden und sind von daher nicht erfolgreich. Auch die Budgetzuweisung in sozialen Sektoren, also Gesundheit und Erziehung, ist häufig ein großes Risiko. Man kann schöne Schulen bauen und gute Schulbücher entwickeln, aber wenn die Lehrer dann nicht bezahlt werden, dann hat man Probleme.
Vereinzelt gibt es auch überdimensionierte Projekte, die deshalb scheitern. Zum Beispiel, wenn eine Allianz von Politikern vor Ort etwas Repräsentatives haben will, etwa eine große Brücke bauen, aber vorne und hinten gibt es nur eine kleine Zufahrt. So etwas ist aber eher die Ausnahme. Das ist leichter schon in der Konzeptionsphase zu stoppen, als wenn sich die Probleme erst beim späteren Betrieb zeigen. Der Vergangenheit, den siebziger, achtziger Jahren, gehören inzwischen produktive Projekte wie eine Zementfabrik, eine Düngemittelfabrik oder ein Stahlwerk an. Das finanzieren wir heute gar nicht mehr. Solche Investitionen überlassen wir dem Privatsektor. Produktive Betriebe über den Staat zu finanzieren und zu betreiben, gehört eher der Vergangenheit an. Und das ist auch gut so.
Doris Köhn hat Volkswirtschaft und Politische Wissenschaft studiert. Nach dem Studium hat sie für das "Deutsche Institut für Entwicklungspolitik" (DIE), die "Kreditanstalt für Wiederaufbau" (KfW) und die "Friedrich Ebert Stiftung" (FES) und als "Sector Executive Director" für ländliche Entwicklung, Wasser und Umwelt bei der Weltbank gearbeitet. Seit November 2001 leitet sie bei der KfW die Abteilung Osteuropa und Kaukasus.
Finanzielle ZusammenarbeitGeldfluss und KontrolleDie Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) nimmt im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) Dienstleistungen der finanziellen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern wahr. Die Gelder, die der KfW dafür zur Verfügung stehen, stammen aus dem Haushalt des BMZ. Welches Land wie viel Geld bekommt, entscheidet die Bundesregierung. Damit hat die KfW nichts zu tun. Das BMZ hat sich für Schwerpunktpartnerländer und Partnerländer entschieden, je nach Intensität der Zusammenarbeit. Die Bundesregierung setzt unterschiedliche Konditionen für finanzielle Hilfen. Die am wenigsten entwickelten Länder (LLDC) bekommen Zuschüsse. Die ärmeren, aber nicht ärmsten Entwicklungsländer bekommen entsprechend der Klassifizierung der Weltbank so genannte IDA-Konditionen, das sind Kredite mit 40 Jahren Laufzeit bei zehn tilgungsfreien Jahren und 0,75 Prozent Zinsen, was faktisch einem Schenkungsanteil von 80 Prozent entspricht. Für die weiter fortgeschrittenen Entwicklungsländer gelten die so genannten Standard-Konditionen, das sind Kredite mit 30 Jahren Laufzeit, zehn tilgungsfreien Jahren und zwei Prozent Zinsen, was immer noch einen großen Schenkungsanteil bedeutet. Für bestimmte Projekte, die entweder direkt armutsmindernd wirken oder die regionalem Umwelt- und Ressourcenschutz dienen, können nach von der Bundesregierung festgelegten Kriterien auch Zuschüsse in Ländern gegeben werden, die eigentlich nur Darlehensländer sind. Bei Schwerpunktpartnerländern gibt es jährliche, bei den meisten Partnerländern jedes zweite Jahr, Regierungsverhandlungen, die von der Bundesregierung - federführend vom BMZ - geführt werden. An denen nimmt die KfW - ebenso wie die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) - teil. Die beiden Regierungen vereinbaren dabei Schwerpunktbereiche, in denen sie zusammenarbeiten wollen, und Projekte, die im Prinzip gefördert werden sollen. Die zu vereinbarenden Projekte müssen sich in diese Schwerpunktbereiche eingliedern. Anschließend stellt das Partnerland dann konkrete Anträge, etwa für eine Wasserversorgung in der Stadt X oder ein Programm für Gesundheitsstationen im ländlichen Raum. Gefördert wird immer nur unter dem Prüfungsvorbehalt "sofern nach Prüfung die technische Machbarkeit und entwicklungspolitische Wirkung und Wirtschaftlichkeit des Vorhabens festgestellt wurde". Diese Prüfung macht die KfW im Auftrag der Bundesregierung. Je nachdem, wie viele Informationen vorliegen, erstellt sie zunächst eine Studie; dann fährt jemand ins Land und diskutiert mit dem Projektträger das Projektkonzept. Auf dieser Basis schreibt die KfW einen Prüfungsbericht für die Bundesregierung und macht einen Finanzierungsvorschlag, wenn die Projektprüfung ergibt, dass das Projekt förderungswürdig ist. Schließlich vergibt das BMZ einen Verhandlungsauftrag an die KfW. Die entwirft daraufhin Verträge, schickt sie an die zuständigen Partner in dem Entwicklungsland, diskutiert sie mit ihnen und schließt einen Finanzierungs- oder Darlehensvertrag ab. Danach geht das Projekt in die Umsetzung - und zwar in der Verantwortung des Partners, nicht der KfW. Diese ist nur für die Finanzierung zuständig. Ein Wasserversorgungsprojekt etwa wird von der nationalen Wasserbehörde umgesetzt. Wenn es dort nicht genügend Fachleute gibt, kann die KfW ihnen Consultants an die Seite stellen. Regelmäßig besuchen Fachleute der KfW das betreffende Land und diskutieren den Projektfortschritt mit den Partnern. Wenn diese Auszahlungsabrufe schicken, werden von der KfW-Abwicklungsabteilung die Belege kontrolliert. Vor Ort überzeugen sich Prüfer davon, dass das, was vereinbart worden ist, auch tatsächlich gemacht wird. Dabei geht es nicht nur um technische Dinge wie Rohre zu verlegen und Pumpen zu installieren, sondern auch um die institutionelle Weiterentwicklung. du |
aus: der überblick 03/2003, Seite 97
AUTOR(EN):
Christoph Wilkens und Jürgen Duenbostel:
Christoph Wilkens ist Referent für Ökumenische Begegnung beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) in Bonn.
Jürgen Duenbostel ist Redakteur beim "überblick".