Brot für die Welt fördert Aufbau- und Versöhnungsprogramme
In Anbetracht der Zerstörungen ist der Bedarf an externer finanzieller Hilfe für Sierra Leone immens und in allen Lebensbereichen dringend. Daneben steht an, die soziale Desintegration der gesamten Gesellschaft und die kollektive und individuelle Traumatisierung durch die Grausamkeit des Krieges zu überwinden. Die Förderung durch Brot für die Welt wird sich auf diesen zweiten Bereich konzentrieren, also auf Investitionen in Menschen und ihre sozialen Beziehungen.
von Eva Sodeik
"Die Menschen in Sierra Leone wollen, dass alle Konfliktparteien die volle Verantwortung dafür übernehmen, dass die Kämpfe beendet werden und wirklich Frieden herrscht. Sie wollen, dass am Ende des Friedensprozesses eine wirklich repräsentative Regierung steht, die sich dem Allgemeinwohl verpflichtet weiß, und dass sich alle Konfliktparteien konstruktiv an diesem Prozess beteiligen."
Der Interreligiöse Rat von Sierra Leone, in dem alle Religionsgemeinschaften des Landes zusammenarbeiten, hofft darauf, dass nach einem Jahrzehnt Bürgerkrieg endlich die Waffen schweigen und die Friedensverhandlungen zu mehr führen als zu einem vorübergehenden Waffenstillstand. Der Rat hat deshalb mehrfach Friedensdemonstrationen durchgeführt. Dieses Engagement zeugt von dem großen Mut der Bevölkerung, aber auch von der Verzweiflung über das erneute Wanken des Friedensprozesses. Was kann ein Hilfswerk wie Brot für die Welt in einer solchen Situation tun?
Brot für die Welt fördert seit 1971 Entwicklungsprogramme in Sierra Leone. Ursprünglich wurden vorwiegend die protestantischen Kirchen und ihre Entwicklungsorganisationen unterstützt, vor allem im Bildungsbereich, in der Landwirtschaft und im Arbeitsfeld Basisgesundheitsdienste. Seit 1983 sind zunehmend säkulare Nichtregierungsorganisationen in die Förderung einbezogen worden, vor allem kleine selbsthilfeorientierte Vereinigungen im landwirtschaftlichen oder handwerklichen Bereich. Maßnahmen zur Frauenförderung sowie Spar- und Kreditprogramme sind ebenfalls vermehrt finanziert worden. Die Förderpraxis veränderte sich von großen Infrastruktur- und Investitionsprogrammen hin zu kleineren, eher programmorientierten Maßnahmen.
In den Kriegsjahren hielt Brot für die Welt die Unterstützung von laufenden Programmen so weit wie möglich aufrecht, obwohl die Projektdurchführung seit 1992 und besonders zwischen 1997 und 1999 durch die Rebellenaktivitäten stark behindert war oder ganz ausgesetzt werden musste. In vielen Fällen wurden die in ruhigen Phasen aufgebauten Projekte durch erneute Rebellenüberfälle zerstört. Häufig waren die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Partnerorganisationen gezwungen, den Projektort zu verlassen; kleinere Nichtregierungsorganisationen wurden dadurch zum Teil völlig desintegriert. Trotzdem hat die Unterstützung von außen in vielen Fällen das Überleben von Organisationen und ihren Zielgruppen gesichert. Außerdem wurde durch den ständigen Kontakt und Rückhalt ein wichtiges Vertrauensverhältnis geschaffen, das eine solide Grundlage für die weitere Zusammenarbeit mit diesen Partnerorganisationen bildet.
In Anbetracht der Zerstörungen ist der Bedarf an externer finanzieller Hilfe für Sierra Leone immens und in allen Lebensbereichen dringend. Allein der Wiederaufbau der Infrastruktur verlangt extreme Anstrengungen. Daneben stehen noch nicht abschätzbare Bemühungen an, die soziale Desintegration der gesamten Gesellschaft und die kollektive und individuelle Traumatisierung durch die Grausamkeit des Krieges zu überwinden. Die Förderung durch Brot für die Wetl wird sich auf diesen zweiten Bereich konzentrieren. Die zurzeit zehn Partnerorganisationen haben ihre besondere Stärke im Bereich sozialer Interventionen und können daher wesentlich bessere Ergebnisse erbringen als große internationale Geberorganisationen ohne lokale Einbettung in die Gesellschaft.
Der Schwerpunkt der Förderungen in den nächsten Jahren wird also auf Investitionen in Menschen und ihre sozialen Beziehungen gelegt. Dazu gehören:
Maßnahmen zur Grundbedürfnisbefriedigung sollen in einen größeren Rahmen integriert sein, zum Beispiel in Reintegrationsprogramme für zurückkehrende Flüchtlinge oder ehemalige Kämpfer. Die Unterstützung gefährdeter und durch den Bürgerkrieg besonders betroffener Personengruppen wie Kriegswaisen und Flüchtlingen soll in enger Zusammenarbeit mit der Diakonie Katastrophenhilfe fortgeführt werden. Das bisherige Fördervolumen von bis zu 1,2 Millionen DM pro Jahr wird beibehalten, eine Aufstockung ist jedoch angezeigt, wenn sich der Frieden in Sierra Leone konsolidiert hat.
In Übereinstimmung mit dem Positionspapier "Den Armen Gerechtigkeit 2000" soll der Advocacyarbeit im Norden eine größere Bedeutung zukommen. Dazu gehört, der Öffentlichkeit und den Entscheidungsträgern der deutschen Regierung und Kirchen die besondere Problematik Sierra Leones zu vermitteln. Für 2001 ist die Thematik des illegalen Diamantenabbaus und -handels durch die Rebellen als Schwerpunkt dieser Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit gewählt worden. Diese Themenwahl geht zurück auf Diskussionen mit einer Delegation des Interreligiösen Rates von Sierra Leone im Juni 1999 und Absprachen mit anderen Partnerorganisationen. Mit diesem Maßnahmenpaket möchte Brot für die Welt seiner politischen Verantwortung für Gerechtigkeit und Frieden entsprechen und den Menschen in Sierra Leone nach Jahren des Leidens wieder ein friedliches und menschenwürdiges Leben ermöglichen.
aus: der überblick 04/2000, Seite 129
AUTOR(EN):
Eva Sodeik :
Eva Sodeik ist Referentin bei Brot für die Welt.