Wer übernimmt tatsächlich die Verantwortung in der Entwicklungszusammenarbeit?
Für Regierungen des Südens sollte die Entwicklung ihrer Länder die ureigene Aufgabe sein. Warum wird dann aber seit rund zwei Jahren in der entwicklungspolitischen Diskussion so sehr betont, dass ein hoher Grad an Eigenverantwortung des Partnerlandes - an "ownership" - in der Entwicklungszusammenarbeit unverzichtbar ist? Tatsächlich ist hier eine schwierige Gratwanderung zwischen Einmischung von außen und Eigenverantwortung der Partner zu bewältigen.
von Bernd Eisenblätter
Das Schlagwort ownership, also die Frage nach Eigenverantwortung eines Partnerlandes in der Entwicklungszusammenarbeit, hat in der entwicklungspolitischen Debatte derzeit Konjunktur. Häufig wird der Begriff ownership aber nur als politische Parole benutzt. Dabei ist das Konzept, welches dahinter steckt, von solcher Bedeutung, dass es eine detaillierte Erläuterung verdient.
Diskutiert wird das Verhältnis zwischen ownership des Partnerlandes und partnership - also der Partnerschaft zwischen "Gebern" und "Nehmern", vor allem seit die Weltbank im Jahr 1998 (mit Wirkung ab 1999) eine umfassende Strategieentwicklung auf nationaler Ebene (Comprehensive Development Framework, CDF) vorgeschlagen hat.
Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) verstehen unter ownership, dass sich die Verantwortlichen in den Partnerländern die Entwicklungspolitiken, -projekte und -programme zu Eigen machen und die Politiker dafür auch die Verantwortung übernehmen. Aber nicht nur diese. Auch die unterschiedlichsten Interessengruppen in der Gesellschaft sollen - ganz im Sinne einer Demokratisierung der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) - solche auf lange Sicht angelegten nationalen Entwicklungsstrategien und -politiken mittragen und aktiv unterstützen.
Dass Weltbank und IWF jetzt ownership so stark betonen, zeigt indirekt, dass sie aus früheren Fehlern gelernt haben. Diese Bretton Woods-Institutionen haben nämlich dem Thema ownership erst besondere Aufmerksamkeit gewidmet, als die Kritik an den Strukturanpassungsprogrammen der Weltbank und der Auflagenpolitik des IWF unüberhörbar wurde. Sie haben als Konsequenz einen ganzheitlichen Ansatz von Entwicklungspolitik geschaffen, konzentrieren sich darauf, das Ausmaß der Armut und die Zahl der Armen zu verringern, und akzeptieren, dass nicht der Markt alles regelt, sondern auch der Staat eine wichtige Rolle spielt.
"Gute Regierungsführung" (good governance) gilt dabei als Voraussetzung dafür, dass Entwicklungshilfe dauerhaft wirken kann und das betreffende Land auch für private Investitionen attraktiver wird. Wo aber Korruption vorherrscht und es an Transparenz dafür fehlt, wie die Mittel verwendet werden, hat eine dauerhafte Entwicklung kaum eine Chance. Die Weltbank erkennt in diesem Zusammenhang an, dass Reformen in Richtung gute Regierungsführung nicht im Hau-Ruck-Verfahren durchgezogen werden können, sondern dass es sich dabei um längerfristige Prozesse handeln muss. Deshalb sollten die Finanzinvestitionen zu Beginn des Prozesses normalerweise nicht sehr hoch sein - wie hoch, muss im Einzelfall entschieden werden. Vordringlich sind vielmehr Beratung zur Reform von Institutionen und die Förderung von Fähigkeiten (capacity building), damit sich die Rahmenbedingungen verändern. Solche Veränderungen der Rahmenbedingungen sind häufig unumgänglich, wenn mit Unterstützung von Krediten und Zuschüssen nachhaltige Entwicklung erreicht werden soll. Das bedeutet andererseits aber auch, dass entwicklungspolitische Ansätze von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, wenn die Regierungen der Entwicklungsländer sie nicht akzeptieren, nicht aus eigenem Interesse mitziehen.
Die Internationalen Finanzinstitutionen nennen weitere Faktoren, die die Wirksamkeit von Entwicklungszusammenarbeit mindern: die Vielfalt von Verfahrensvorschriften und die schlechte Koordination der Geber. Nur mit großem Aufwand sind die unterschiedlichen Verfahrensvorschriften einzuhalten, was die Institutionen der Partnerländer häufig überfordert. Reibungs- und Effizienzverluste bei Gebern und Nehmern sind die Folge. Andererseits müssen Verfahrensvorschriften dort besonders streng ausgelegt und angewendet werden, wo der Verdacht auf Korruption und Verschwendung von Mitteln besteht. So stehen möglicherweise zwei berechtigte Bestrebungen in Konflikt miteinander.
Die Regie bei der Koordinierung verschiedener Geber muss nach dem Prinzip ownership bei der Empfängerregierung liegen. Als partnership (Partnerschaft) wird in diesem Zusammenhang eine gute Kooperation der Beteiligten in einem Land verstanden, seien es staatliche Organisationen, nichtstaatliche Organisationen (NGOs), die Privatwirtschaft oder Geberorganisationen. Die Weltbank formuliert ownership zusammenfassend wie folgt: "Das (Empfänger-) Land muss den Fahrersitz einnehmen. Es muss die Agenda für die Entwicklung in eigener Hand haben und leiten - und zwar mit Unterstützung aller anderen Beteiligten."
Damit greift die Weltbank geschickt die Hauptpunkte der Kritik an der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit auf - an einer Zusammenarbeit, bei der die Geber solche Strukturanpassungsprogramme durchgesetzt haben, die sich einseitig an volkswirtschaftlichen Wachstumstheorien orientierten. Diese Vorgaben von außen standen bislang an erster Stelle und nicht die Eigenverantwortung der Partner. Allerdings hält sich die Weltbank - wie bisher - aus der Verantwortung heraus, wie das Ganze umgesetzt werden kann. Sie beschränkt sich aber in der Begründung nicht mehr nur auf ihre Statuten (die ausschließen, dass die Weltbank Programme selbst umsetzt), sondern sie hat sich in ihrer konzeptionellen Studie Assessing Aid selbst bescheinigt, dass sie als Bank für die konkrete Umsetzung nicht die notwendigen Instrumente und die Kompetenz besitzt.
Im Entwicklungshilfeausschuss (Development Assistance Commitee, DAC) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) - der Geberländer von bilateraler Hilfe - wurde unter Einfluss der nordischen Länder, Hollands und Großbritanniens das Thema ownership besonders unter dem Blickwinkel der moralischen Verpflichtung zur Entwicklungshilfe und der nur gemeinsam zu lösenden Probleme in der "Einen Welt" diskutiert. Letztlich gehe es bei Prinzipien wie Zielgruppenorientierung, Hilfe zur Selbsthilfe und Achtung der Souveränität der Entwicklungsländer darum, zu gewährleisten und zu unterstützen, dass diese Länder endlich eigenständig ihren Entwicklungsweg wählen dürfen, was ihnen von den Industrieländern bisher nicht ermöglicht worden sei.
Es gibt aber noch einen anderen Zusammenhang, in dem geklärt werden muss, wie man zur ownership steht: Das öffentliche Interesse an Entwicklungspolitik und - im Zusammenhang damit - die Mittel, die für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stehen, sind in den letzten Jahren zurückgegangen, auch weil diese Zusammenarbeit angeblich kaum Wirkung zeigt. Die Diskussion des Themas Globalisierung eröffnet jetzt aber Chancen, wieder mehr Aufmerksamkeit für Entwicklungszusammenarbeit zu gewinnen. Es hat sich nämlich herumgesprochen, dass es Gewinner und Verlierer bei Globalisierungsprozessen gibt und die Entwicklungsländer sowie die ehemals kommunistischen Transformationsländer meist auf der Verliererseite stehen. Die Entwicklungspolitik nimmt sich dieser Verlierer an, damit sie Chancen der Globalisierung nutzen und schließlich auf die Gewinnerseite wechseln können. Das aber erfordert umfassende Strukturreformen. Wenn solche Strukturreformen jedoch von außen durchgedrückt werden, bedeutet das einen gravierenden Eingriff in die Souveränität des jeweiligen Empfängerlandes. Wenn man das Prinzip ownership ernst nimmt, muss also der Anstoß zu und das Interesse an solchen Strukturreformen aus dem Empfängerland selbst kommen.
Inzwischen sind auch die Zusammenhänge zwischen der globalen Ebene und den nationalen und lokalen Ebenen von Entwicklung deutlicher erkannt worden. Gesetzt wird jetzt auf komplexere Strategien zur Verfolgung der gemeinsam von Gebern und Nehmern formulierten Ziele, insbesondere des Ziels der Armutsbekämpfung. Konzentrierte man sich früher auf Projekte - vor allem auf lokaler Ebene -, so steht heute die Politikreform im nationalen wie internationalen Rahmen im Vordergrund. Einzelprojekte als Kooperationsform sind bei etlichen Gebern sogar in Verruf geraten. An ihre Stelle sollen komplexe Programme und Politikdialoge treten. In der Tat waren viele Einzelprojekte nicht ausreichend auf strukturelle Reformen ausgerichtet. Sie waren oft Projektinseln ohne Zusammenhang mit Projekten anderer Geber im gleichen Sektor. Ohne die Umsetzung in lokalen Projekten bleiben aber komplexe Strategien Luftschlösser. Deshalb kommt es darauf an, dass dezentrale lokale Projekte oder Programmkomponenten sich an einem Gesamtziel orientieren. Ebenso müssen sich die nationalen Strategien im Rahmen des Comprehensive Development Framework - unter breiter Beteiligung von NGOs und der wichtigen gesellschaftlichen Kräfte - an diesem gemeinsamen Ziel orientieren.
Weltbank und IWF haben mit ihrer Entschuldungsinitiative - die maßgeblich von der deutschen Entwicklungspolitik angestoßen worden ist - Strategien gegen die Armut eingeleitet (Poverty Reduction Strategies). Der Begriff Armut wird dabei umfassend verstanden: Es geht darum, dass Leute, die nicht genug Geld zur Verfügung haben, um menschenwürdig leben zu können, auch sozial diskriminiert werden und kaum Einfluss auf die Politik haben. Kredite und Zuschüsse der Geber werden deshalb unter der Bedingung vergeben, dass die Empfänger eine weit reichende Reform ihrer Politik einleiten, damit diese dem Ziel der Armutsbekämpfung entspricht. Solche Auflagen für einzelne Länder lassen sich im Sinne von ownership nur dann rechtfertigen, wenn auch die Regierung des Empfängerlandes die Armutsbekämpfung als eigenes Ziel betrachtet.
Genau da liegt aber das Problem: Was ist wirklich das eigene Interesse einer Regierung im Empfängerland, wo macht sie sich von außen vorgegebene Auflagen nur zu Eigen, um an die verheißenen Mittel zu kommen, und was tun Geber, wenn auf Seiten der Regierung eines Nehmerlandes gar kein eigenes Interesse am Gemeinwohl oder der Beseitigung von Armut vorhanden ist, sondern nur das Streben, Vorteile bestimmter Eliten zu sichern? Wo haben Regierung und große Teile der Gesellschaft ganz unterschiedliche eigene Ziele? Man kann sich also nicht vor der Frage drücken, bei wem wann und wobei ownership wirklich angemessen ist.
Das soll nicht die Idee von ownership infrage stellen - ganz im Gegenteil. Lange Erfahrungen deutscher Entwicklungszusammenarbeit zeigen eindeutig, dass allein von außen kommende Konzepte und Lösungsvorschläge keine nachhaltige Entwicklung zur Folge haben, keinen dauerhaften Erfolg zeigen. Vielmehr muss die Zusammenarbeit auf Bestehendem im Partnerland aufbauen und historische und kulturelle Besonderheiten berücksichtigen. Falls bei Zielgruppen - insbesondere bei unterprivilegierten Gruppen - noch keine eigene Konzeption zur Lösung ihrer Probleme vorhanden ist, muss im partnerschaftlichen Dialog Rat und Hilfe gegeben werden, damit sie solche eigenen Konzepte entwickeln können.
Man darf aber auch nicht die Augen davor verschließen, dass Regierungen von Entwicklungsländern oft nicht auf das Allgemeinwohl ausgerichtete Institutionen sind, sondern funktionale Eliten zur Sicherung von Macht und Privilegien. Man kann ebenfalls nicht davon ausgehen, dass allgemein anerkannte Probleme - in nationalem Rahmen oder weltweit - immer im Sinne eines allgemein akzeptierten Gemeinwohls interessenneutral gelöst werden können. Das gilt nicht minder für die Industrieländer. Werden Probleme von der Ebene der abstrakten Beschreibung in die Niederungen der konkreten Lösungsversuche geführt, stößt man unweigerlich auf ein Geflecht von Interessengegensätzen. In den Industrieländern ist die Austragung solcher Gegensätze in der Regel an demokratische Spielregeln gebunden und dadurch transparenter als in vielen Entwicklungsländern. Damit ist aber noch nicht eine gemeinsame Richtung gegeben. Umwelt-NGOs und Ölmultis etwa sprechen sich gleichermaßen für verantwortungsbewussten Energieverbrauch aus; aber sie haben konträre Vorstellungen, wie dies zu erreichen ist.
Deshalb bedeutet konkrete Entwicklungszusammenarbeit - und dies gilt umso mehr, wenn sie Strukturen verändern will -, Partei für bestimmte Interessen zu ergreifen; das aber ist nichts anderes als Einmischung. Das wird besonders deutlich bei den politischen Stiftungen, die sehr genau auswählen, für welche Interessen sie eintreten, und damit anerkanntermaßen große Wirkung erzielen. Die Wahlmöglichkeiten bei staatlicher Entwicklungszusammenarbeit ist dagegen viel begrenzter; und wenn Interessengegensätze auftreten, ist diplomatisches Geschick gefordert. In solch einer Situation kann die GTZ als Moderator wirken, angefangen von der Klärung, wo genau die Interessenunterschiede liegen, bis hin zur Konfliktmediation.
In der aktuellen Diskussion wird gelegentlich ownership ganz radikal definiert als reine Überlassung finanzieller Mittel, wobei die konkrete Verwendung dann eine Angelegenheit der Empfänger allein ist. Eine ganze Reihe von Geberorganisationen möchte solcher reinen Budgethilfe oder programme aid den Vorzug geben vor Zuwendungen mit konkreten Auflagen. Das aber wirft eine Reihe von Fragen auf: Stopft man durch Budgethilfe Löcher im Haushalt und gibt damit möglicherweise der Regierung mehr Luft, beispielweise die Militärausgaben aufrecht zu erhalten oder gar zu steigern? Sollen Zuwendungen sich auf Regierungen konzentrieren, während man gleichzeitig eine stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaft am Entwicklungsprozess erwartet? Wie ist ohne Auflagen und Kontrolle Korruption zu verhindern? Und - vor allem - wie ist gewährleistet, dass Reformen auch in Regionen und auf lokaler Ebene umgesetzt werden?
Die Erfahrungen der deutschen technischen Zusammenarbeit zeigen, dass in den meisten Ländern eine intensive partnerschaftliche Zusammenarbeit nötig ist: Veränderungen sind nur gemeinsam zu realisieren. Abhängig davon, wie die Bedingungen im Partnerland aussehen - ob beispielsweise Konzepte mit den bereits vorhandenen Institutionen und Strukturen in der Praxis umgesetzt werden können-, erfordern institutionelle Reformen oft zunächst Personalqualifizierung und gemeinsames Lernen (Capacity Development).
Man kann deshalb bei staatlicher Zusammenarbeit nicht immer ownership des Partnerlandes voraussetzen. ownership ist häufig erst das Ergebnis eines längeren Prozesses von Verhandlungen und Zusammenarbeit, bei der das Ziel der Zusammenarbeit, die Beiträge beider Seiten und die jeweils eigenen Interessen eindeutig definiert sein müssen. Es muss klare Vereinbarungen geben, wie das angestrebte Ziel im Einzelnen in partnerschaftlicher Beziehung konkret umgesetzt werden soll, also wer die Verantwortung für die jeweils zu leistenden Einzelbeiträge trägt und was gemeinsame Gesamtverantwortung in der praktischen Umsetzung bedeutet. Partnerschaftlich bedeutet, dass sich beide Seiten bei der Realisierung der Ziele wechselseitig stützen und kontrollieren sowie sich gemeinsam bemühen, den Einfluss sachfremder Interessen abzuwehren. Je mehr die Empfängerseite zum Konzept, an Personal und an Finanzmitteln beiträgt, desto stärker gewinnt sie ownership in der Umsetzung von Zielen. Und von Anfang an muss klar sein, dass die Geberseite nur insoweit und solange Beiträge in Mitverantwortung leistet, wie diese von der Empfängerseite nicht geleistet werden können.
Selbstverständlich kann die Empfängerseite ihre ownership auch so definieren, dass sie auf die partnerschaftliche Zusammenarbeit, damit aber auch auf die Beiträge verzichtet, die normalerweise als nicht zurückzuzahlende Zuschüsse oder mit sehr hohen Zuschusselementen versehen gewährt werden.
Die Diskussion des Themas ownership ist also keineswegs überflüssig und kocht nicht alte Debatten wieder auf. Sie wertet vielmehr langjährige Erfahrungen in der Zusammenarbeit aus und nutzt diese Erkenntnisse so, dass die konkrete Umsetzung von Zielen und die Lösung von Problemen in echter Partnerschaft mit dem Empfängerland und den Zielgruppen erfolgt und dadurch die Empfänger mehr und mehr ownership im Entwicklungsprozess übernehmen.
aus: der überblick 04/2000, Seite 80
AUTOR(EN):
Bernd Eisenblätter :
Dr. Bernd Eisenblätter ist Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ).