Auf Weltmeeren soll das Seerechtsübereinkommen für Normen jenseits von Staatsgrenzen sorgen
Wer bestimmt über die Weltmeere? Diese Frage hat neue Brisanz erlangt, seit es technisch möglich ist, Erdöl und andere Bodenschätze auf dem Meeresgrund auszubeuten. Denn nur die Küstengewässer unterstehen der Hoheit von Staaten. Auf der offenen See, außerhalb der Rechtshoheit einzelner Staaten, sind Fragen wie die Freiheit der Schifffahrt seit langem von Vereinbarungen und Gepflogenheiten geregelt. Sie sagen aber nichts über das Eigentum an Bodenschätzen. Unter anderem diese Lücke soll das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen schließen. Es krankt aber daran, dass die USA es nicht ratifizieren wollen.
von International Institute for Strategic Studies
Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (United Nations Convention on the Law of the Sea, UNCLOS) wurde bereits 1982 zur Unterzeichnung aufgelegt. Doch erst im November 1994 hatte die erforderliche Mindestzahl von 60 Staaten unterschrieben, so dass das Abkommen in Kraft treten konnte. Bis heute ist die Zahl der Unterzeichner auf 132 gestiegen, und die Bestimmungen des Abkommens werden im Großen und Ganzen eingehalten. Diese fallen in vier grobe Kategorien: Die Rechtsprechungsbefugnis und Verantwortung von Küstenstaaten in ihren Küstengewässern; die Freiheit der Schifffahrt und Überflugrechte für alle Staaten; die gemeinsame Nutzung der Ressourcen des Meeresbodens und die Einrichtung der Internationalen Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority, ISA); sowie der Schutz der maritimen Umwelt und die Förderung der Meeresforschung.
Dennoch ist es bisher nicht gelungen, eine stabiles internationales Regime zu schaffen. Dafür gibt es drei Hauptgründe: Erstens haben die Vereinigten Staaten als weltweit führende Handelsnation, stärkste Ökonomie und größte Seemacht die Konvention bisher nicht ratifiziert und werden das wahrscheinlich auch in naher Zukunft nicht tun. Zweitens erstreckt sich das bindende System der Konfliktschlichtung nach dem UNCLOS nicht auf territoriale Streitigkeiten wie zum Beispiel die sich widersprechenden Ansprüche unterschiedlicher Staaten auf die Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer. Und schließlich enthält das Abkommen keine Bestimmungen über die Austragung bewaffneter Konflikte auf See.
Die Notwendigkeit einer allgemein anerkannten Seerechtskonvention ergab sich aus den veränderten internationalen Bedingungen des späten 20. Jahrhunderts. Bis 1914 orientierte sich das Verhalten auf See an einer Mischung aus überkommenen Praktiken und dem Diktat der jeweils führenden Seemacht - ob dies nun das Römische oder das Britische Weltreich war. Im Westen entwickelte sich über die Jahrhunderte ein System detaillierter und allgemein befolgter Regeln für die Seefahrt. Die Souveränität über die Küstengewässer wurde kaum zum Streitpunkt, denn es war allgemein akzeptiert, dass diese nur so weit vom Ufer reichten wie ein Kanonenschuss und später drei Seemeilen (eine Seemeile entspricht 1,852 Kilometern).
Der keinem Regelwerk unterworfene U-Boot-Krieg während des Ersten und Zweiten Weltkriegs machte jedoch traditionelle Vorschriften über die Eroberung von Schiffen und die Beschlagnahme von Waren irrelevant, da diese nun ohne Vorwarnung versenkt werden konnten. Und die britische Blockade gegen Deutschland zwischen 1914 und 1918 war umfassender wirksam als alle vorher.
Wichtiger noch: Zwei Entwicklungen haben seit 1945 die traditionelle Grenze der Gewässer unter staatlicher Hoheit nach und nach aufgelöst. Die erste war die immer stärkere Bedrohung der Weltfischbestände infolge starker Überfischung. Heute werden 9 der 17 wichtigsten Fischfanggebiete der Welt übermäßig ausgebeutet, und 4 sind bereits komplett leergefischt - darunter das einst ergiebigste von allen, die Große Neufundlandbank. Daraufhin begannen viele Staaten - zuerst Island im Jahr 1979 -, exklusive Fischfangzonen vor ihren Küsten einzurichten, um die Fischbestände vor Ort und den Lebensunterhalt ihrer Fischer zu schützen. Das Ergebnis waren zahlreiche Zusammenstöße zwischen nationalem Küstenschutz und "illegal" fischenden Trawlern (diese fischen mit Grundschleppnetzen). In einigen Fällen gerieten sogar die Marinestreitkräfte der Gegner aneinander wie in den "Kabeljaukriegen" der siebziger Jahre zwischen Großbritannien und Island.
Der zweite Faktor war, dass technologische Entwicklungen es zum ersten Mal möglich gemacht haben, Bodenschätze auf oder unter dem Meeresboden zu erschließen. Die Förderung unterseeischen Erdöls ist seit Ende der sechziger Jahre zu einem bedeutsamen Wirtschaftsbereich und zur Ursache vieler internationaler Spannungen geworden. Für die nahe Zukunft wird erwartet, dass auch die Ausbeutung unterseeischer Mineralien in großem Maßstab möglich wird. Diese neuen Möglichkeiten haben Länder bewogen, sich die Kontrolle über solche Ressourcen zu sichern, indem sie ausschließliche Wirtschaftszonen (exclusive economic zones) geschaffen haben, die sich von der Küste aus bis zu 200 Seemeilen auf das Meer erstrecken. Natürlich sind diese Zonen eine Quelle für zahlreiche Streitigkeiten und tatsächliche oder potenzielle Konflikte.
Unbewohnte kleine Inseln und unzugängliche Riffe wie die Spratlys, die vorher keinerlei strategische oder ökonomische Bedeutung besaßen, sind wegen der mineralischen Reichtümer, die man unter den umgebenden Meeresgebieten vermutet, Auslöser ernsthafter Spannungen geworden. Waren früher die Kontrolle und die Besteuerung des Seehandels ein Gegenstand von Kriegen auf See (wie im Englisch-Niederländischen Krieg Mitte des 17. Jahrhunderts), so sind in den vergangenen Jahrzehnten die Ressourcen des Meeres und des Meeresbodens selbst eine Quelle möglicher Konflikte geworden. Eine zusätzliche Gefahr liegt darin, dass aufgrund des Fehlens jeder übergeordneten Regulierungsbehörde die Unternehmen, die den Meeresboden ausbeuten, die Meeresumwelt ungehemmt verschmutzen und damit stark schädigen könnten.
Diese neuen Gegebenheiten erklären, warum die Notwendigkeit einer internationalen Seerechtsordnung allgemein unstrittig ist. Sie helfen andererseits aber auch zu verstehen, weshalb eine Mehrheit des US-Kongresses die Ratifizierung der UNCLOS weiterhin ablehnt. Zunächst sind die USA als größte Volkswirtschaft und vorherrschende Seemacht der Welt mehr oder weniger in der Lage, sich - sprichwörtlich gesagt - den Pelz waschen zu lassen, ohne nass zu werden: Sie können von den Regeln der UNCLOS über die Bewegungsfreiheit auf den Meeren profitieren, ohne irgendeine ihrer Einschränkungen bezüglich der wirtschaftlichen Ausbeutung der Ozeane zu akzeptieren. Zudem würden angesichts der überwältigenden militärischen Stärke der USA nur wenige Staaten riskieren, deren Schiffen in einem Notfall die Durchfahrt zu verweigern, selbst wenn sie juristisch das Recht dazu hätten. Am wichtigsten ist aber hier das Problems des Abbaus von Mineralien auf dem Meeresgrund. Als größte und technologisch fortgeschrittenste Nation der Welt dominieren die USA hier zwangsläufig. Viele US-Amerikaner sehen deshalb keinen Anlass zuzustimmen, dass die wirtschaftlichen Möglichkeiten der USA eingeschränkt und von internationalen Körperschaften besteuert werden sollen.
In der ursprünglichen Fassung der UNCLOS wurde der Meeresboden außerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszonen als "gemeinsame(s) Erbe der Menschheit" definiert. Die Meeresbodenbehörde sollte das exklusive Recht erhalten, Lizenzen für den Abbau der dortigen unterseeischen Mineralien zu vergeben, und sie sollte befugt sein, sowohl Profite daraus als auch die nötige Technologie an ärmere Länder umzuverteilen. Diese Bestimmungen riefen in Industrieländern erhebliches Unbehagen hervor. Sie fürchteten, dass ihre Unternehmen die Investitionen tätigen und die Arbeit machen würden, nur damit ihre Einnahmen und Sachkenntnisse von der Behörde konfisziert würden. Zwischen 1990 und 1994 wurde dann ein Kompromiss ausgearbeitet, der die meisten Entscheidungsbefugnisse der Behörde von ihrer Generalversammlung auf ihren Rat übertrug. Darin wurde den USA ein permanenter Sitz garantiert, und weitere 8 von insgesamt 36 Sitzen wurden für Industrieländer reserviert. Die Vorschriften zum Technologietransfer wurden fallen gelassen. Diese Konzessionen führten schließlich dazu, dass die USA und andere skeptische Staaten 1994 die UNCLOS unterzeichneten. Der US-Senat allerdings verweigert immer noch die Ratifizierung.
Wie das Nein des Senats zum Atomteststopp-Vertrag im Oktober 1999 demonstriert hat, ist die republikanische Mehrheit im Kongress entschlossen, ihr Veto gegen jegliche internationalen Verträge einzulegen, die von der Regierung Clinton befürwortet werden. Wichtiger noch ist vielleicht, dass in den USA eine Haltung Raum gewinnt, die der früheren Haltung Großbritanniens ähnelt: Danach können die USA als einzige Welt-Seemacht einseitig Regeln setzen und müssen sich nicht an internationales Recht halten.
Mittlerweile befürworten allerdings die Regierung Clinton und ihr Verteidigungs- und Marineministerium die Ratifizierung der UNCLOS - zum Teil aus militärischen Gründen. Als Weltmacht sind die USA da-rauf angewiesen, uneingeschränkt militärische Verbände rund um den Globus mobilisieren zu können. Und trotz ihrer militärischen Stärke können sie sich ohne allgemein gültige Rechtsregeln nicht auf die Kooperation auf der hohen See verlassen. US-Marineoffiziere haben zum Beispiel darauf hingewiesen, dass Schwierigkeiten auftreten könnten, falls Malaysia oder Indonesien in einem Krisenfall die Straße von Malakka für US-Truppen schließen sollten, die sich zwischen dem Fernen Osten und dem Persischen Golf bewegen wollen. Die Kriegsschiffe wären dann gezwungen, den Weg um Australien herum zu nehmen, was sie annähernd zwei Wochen kosten würde.
Auch Seefahrtsexperten und Juristen erklären, dass die USA mit ihrer Weigerung, die UNCLOS zu ratifizieren, ihrem eigenen vitalen Interesse an internationaler Stabilität und Konfliktvermeidung entgegenarbeiten. Dass die Weltmacht der UNCLOS nicht beigetreten ist, hat deren Bestimmungen über Küstengewässer, ausschließliche Wirtschaftszonen und die Freiheit der Schifffahrt bereits beschädigt und die Möglichkeiten der USA vermindert, ihr Interesse an der Erhaltung des Regelwerks zur Geltung zu bringen. Trotzdem ist die Ratifizierung durch den Kongress unwahrscheinlich - zumindest bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen und möglicherweise auf noch längere Sicht.
Dessen ungeachtet werden die UNCLOS-Bestimmungen über hoheitliche und ökonomische Grenzen und die freie Schifffahrt faktisch sogar von den USA anerkannt. Die Mitgliedsstaaten haben begonnen, den Internationalen Seegerichtshof zur Schlichtung von Streitigkeiten zu nutzen. Im Juli 1999 zum Beispiel klagten Neuseeland und Australien erfolgreich gegen Japan, das entgegen den Artenschutzbestimmungen den "experimentellen" Fang von Blauflossentunfisch unternommen hatte.
Die Macht des Tribunals ist allerdings begrenzt. Insbesondere bestehende Grenzstreitigkeiten über Teile des Meeres oder über Inseln fallen nicht unter seine Rechtsprechungsbefugnis. Der wichtigste und gefährlichste derartige Konflikt ist vermutlich der Streit um die Spratly-Inseln (vgl. "der überblick" 3/96). Dies ist bisher auch der einzige, der im vermuteten unterseeischen Reichtum begründet ist und nicht in lange schwelenden Territorialstreitigkeiten. Weitere Konfliktfälle sind zum Beispiel der zwischen Jemen und Eritrea über die Hanish-Inseln im Roten Meer sowie der zwischen Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten um die Inseln von Abu Musa und Tunbs im Persischen Golf.
Auf einem regionalen Sicherheitstreffen der Organisation Südostasiatischer Staaten (ASEAN) im Juli 1999 in Singapur schlugen die Philippinen einen Verhaltenskodex für die Südchinesische See vor, der auch die Spratly-Inseln einbeziehen sollte. Das für Sicherheit zuständige Gremium von ASEAN, das Regionale Forum, hat die Philippinen und Vietnam beauftragt, einen solchen Kodex zu entwerfen, der sich mit den UNCLOS-Bestimmungen decken soll. Jedoch hat China, ein Mitgliedsstaat der UNCLOS, formell erklärt, dass es eine solche Regelung ablehnt. Die USA haben den Vorschlag bisher ignoriert, und Malaysia zeigt sich reserviert. Wo wichtige nationale Interessen auf dem Spiel stehen, scheint die UNCLOS sehr schnell an ihre Grenzen zu stoßen.
Einzelne Staaten haben zudem sehr unterschiedliche Fähigkeiten, die Bestimmungen des Abkommens durchzusetzen, selbst wenn es in ihrem Interesse liegt. Einige mächtigere Länder bestehen eifrig auf ihren neu erworbenen Rechten unter UNCLOS. So hat Japan allein in den ersten neun Monaten des Jahres 1999 zwölf koreanische Fischtrawler beschlagnahmt. Viele ärmere Länder besitzen allerdings keine Küstenwache oder Marine, die ihre Küstengewässer und ihre ausschließliche Wirtschaftszone kontrollieren könnten. Die Schwäche vieler Flotten hat auch zur Folge, dass die Bestimmungen gegen Piraterie in Gewässern wie zum Beispiel vor Westafrika vermutlich leere Worte bleiben werden. Wirkungsvolle internationale Maßnahmen gegen das Piratentum dort würden eine Übereinkunft zwischen den Staaten der Region sowie wirksame Unterstützung von Staaten mit starken Flotten erfordern. Weder das eine noch das andere ist gegenwärtig zu erwarten.
Im Falle von Hoheitsstreitigkeiten wie um die Spratly-Inseln könnten die Bestimmungen der UNCLOS über Rechte und Pflichten von Kriegs-und Handelsschiffen in Friedenszeiten die Gefahr verringern, dass Zusammenstöße im Krieg enden. Wenn es aber erst einmal zum Krieg gekommen ist, bietet UNCLOS wenig Hilfe. Der letzte internationale Vertrag über die Kriegsführung auf See stammt von 1909 und ist heute in wesentlichen Punkten irrelevant. Mangels international anerkannter Vorschriften müssen sich Regierungen und Flotten auf ihre nationalen Verhaltensregeln verlassen, die auf nebulösen "Kriegsregeln" basieren. Die UN-Charta liefert in Artikel 41 und 42 einige Anhaltspunkte dafür, unter welchen Bedingungen und auf welche Weise Kriegshandlungen auf See unterhalb der Schwelle eines direkten Angriffs unternommen werden dürfen. Zum Beispiel billigte der UN-Sicherheitsrat während des Bosnien-Konflikts von 1992-95 eine beschränkte Blockade in der Adria. Die UN-Charta regelt aber nicht, wie militärische Operationen auf See durchgeführt werden dürfen.
Trotzdem kann die UNCLOS als mit Einschränkungen erfolgreich beurteilt werden. Die Konvention hat weithin akzeptierte Regeln zu den Bereichen Territorialgewässer, Wirtschaftszonen, freie Schifffahrt, Fischfang, Meeresforschung, Umweltschutz und Schlichtung von wirtschaftlichen Konflikten aufgestellt. Dass die USA sich weiterhin weigern, Mitglied zu werden, ist allerdings ein ernsthafter Makel - ebenso wie die Tatsache, dass bestehende Hoheitsstreitigkeiten nicht unter die UNCLOS fallen. Das Seerechtsabkommen ist ein Schritt vorwärts, wird aber wohl nicht verhindern können, dass solche Streitigkeiten auch in Zukunft zu Konflikten führen.
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Die wichtigsten Bestimmungen
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aus: der überblick 04/2000, Seite 22
AUTOR(EN):
International Institute for Strategic Studies :
Den Artikel entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung des International Institute for Strategic Studies (IISS) in London dessen Informationsdienst "Strategic Comments" vom November 1999.