Mit begrenztem Erfolg zensieren autoritäre Regime das Internet
Dass Druckerzeugnisse über die Grenze in ein Land gebracht werden, kann eine Regierung verhindern. Weit schwieriger ist es dagegen, den freien Fluss von Informationen über das Internet zu kontrollieren. In Ländern wie China, Malaysia oder Kuba unternimmt der Staat erhebliche Anstrengungen, die Bürger von unerwünschten Informationen fernzuhalten. Dabei zensiert er auch das Internet und gerät damit in Konflikt mit Interessen der Wirtschaft.
von Klaus Boldt
Selten hat ein neues Medium so viele Erwartungen geweckt und so viele Befürchtungen ausgelöst wie das Internet. Zwar haben Kurzwellen-Sender auch bisher schon über die Grenzen hinweg freie Informationen verbreiten können und waren nur mit Mühe zu stören. Doch das Internet lässt auch die weltweite Verbreitung von Informationen und die gezielte Suche danach durch den Einzelnen zu. Seit dem Beginn des Internet-Booms Mitte der neunziger Jahre haben deshalb viele mit dem heraufziehenden Informationszeitalter die Hoffnung auf weltweite Meinungsfreiheit, Demokratisierung und globale Gerechtigkeit verbunden: "Die Intern@tionale erkämpft das Menschenrecht", lautete einer ihrer Slogans. Autoritäre Regierungen, die bisher an den Staatsgrenzen missliebige Druckprodukte von ihren Bürgern fern halten konnten, machten in der digitalen Revolution sogleich Gefahren aus und riefen nach Kontrolle, Regulierung und Zensur. Um die Gesellschaft vor Schaden zu bewahren, müssten politischer Extremismus, religiöse Militanz, Pornografie oder "westliche Dekadenz" aus dem Netz der Netze verbannt werden, lautet ihre Überzeugung.
Die dezentrale Struktur des Internet bietet die Möglichkeit, bei vergleichsweise geringen Kosten weltweit zu kommunizieren und zu publizieren. Die Verknüpfung von Computernetzen ohne zentrale technische und administrative Infrastruktur lässt sich nur schwer kontrollieren. Nationalstaatliche Regulierungsversuche sind zum Scheitern verurteilt, solange verbotene Inhalte ohne größeren Aufwand auf Computern im Ausland, die ans Internet angeschlossen sind, gespeichert und von dort abgerufen werden können. Regulierungs- und Kontrollbestrebungen geraten sehr schnell auch in Konflikt mit dem Interesse der Wirtschaft, sich im Rahmen der Globalisierung über Grenzen hinweg ohne nationalstaatliche Gängelung am internationalen Wettbewerb um künftige Märkte beteiligen zu können.
Insbesondere autoritäre Regierungen stehen vor einem Dilemma. Einerseits möchten sie ihre Wirtschaft für den internationalen Wettbewerb fit machen und ihr Land nach Möglichkeit direkt ins Informationszeitalter katapultieren. Andererseits glauben sie, auf die staatliche Kontrolle der Medien nicht verzichten zu können, und wollen auch das Internet der direkten oder indirekten Zensur unterwerfen.
Rund 45 Staaten, so die Journalisten-Hilfsorganisation Reporter ohne Grenzen in ihrem Bericht "Feinde des Internet", versuchen das Netz der Netze auf die eine oder andere Weise zu kontrollieren und zu gängeln - meist unter dem Vorwand, die "nationale Sicherheit und Einheit" zu verteidigen und die Öffentlichkeit vor "subversiven Ideen" zu schützen. In 20 Ländern wird dem Bericht zufolge der Zugang zum Internet vom Staat völlig oder sehr stark kontrolliert, nämlich in Aserbaidschan, Burma, China, Irak, Iran, Kasachstan, Kirgisistan, Libyen, Kuba, Nord-Korea, Saudi-Arabien, Sierra Leone, Sudan, Syrien, Tadschikistan, Tunesien, Turkmenistan, Usbekistan, Vietnam und Weißrussland.
Die Volksrepublik China gehört zu den Ländern mit den striktesten Kontrollen. Bereits im Juni 1995 kündigte das Telekommunikationsministerium an, Informationen aus dem Internet würden kontrolliert. Wenig später wurde angeordnet, dass Firmen, die Internetzugänge anbieten (Internet Service Provider, ISP), eine Lizenz beantragen müssen und nur staatlich überwachte Datenleitungen für Internet-Anbindungen verwenden dürfen. Alle Internetnutzer müssen sich registrieren lassen. Seit Januar 2000 ist ihnen ausdrücklich verboten, "Staatsgeheimnisse" im Internet zu veröffentlichen - eine Formulierung, die in China auch auf die Verbreitung von Informationen angewendet werden kann, die in der Öffentlichkeit längst bekannt sind, und deshalb häufig zur Kriminalisierung von Dissidenten benutzt wird.
Am Beispiel China wird aber auch deutlich, wie schwierig es ist, die Internet-Industrie mit Kontrollen zu gängeln, ohne gleichzeitig das rapide Wachstum dieser Industrie zu behindern. In China kommt alle drei Sekunden ein neuer Internetnutzer hinzu; die Tendenz ist steigend. Die Zahl der Menschen, die trotz bürokratischer Hürden "online gehen", verdoppelt sich nach Regierungsangaben alle sechs Monate. Mitte 2000 hatten bereits 17 Millionen Chinesen einen Internetanschluss. Beobachter der Situation in China wie das Digital Freedom Network im US-amerikanischen Newark kommen zu dem Schluss, angesichts des exponentiellen Wachstums der Internetnutzung und des erklärten Willens der Regierung, dieses Wachstum nicht zu behindern, sei die strenge Regulierung nicht mehr als "eine Warnung und eine Erinnerung, dass alles, was auch nur entfernt gegen die Regierung gerichtet sein könnte, nicht im Internet erscheinen sollte".
In Einzelfällen werden dennoch drakonische Strafen verhängt. Lin Hai, ein Software-Unternehmer aus Shanghai, wurde im März 1998 als erster Chinese im Zusammenhang mit einem Internet-Delikt verurteilt. Er erhielt zwei Jahren Gefängnis wegen "Hochverrats". Ihm war vorgeworfen worden, er habe 30.000 chinesische Email-Adressen an eine Dissidenten-Organisation in den USA weitergegeben. Der 36-jährige Journalist Qi Yanchen wurde am 19. September 2000 wegen "Subversion" zu vier Jahren Haft verurteilt. Er wurde von einem Volksgericht in der Provinz Hebei für schuldig befunden, regierungskritische Artikel für einen in den USA erscheinenden Internet-Newsletter geschrieben zu haben. Der Journalisten-Hilfsorganisation Reporter ohne Grenzen zufolge ist dies die bislang härteste Strafe für einen "Web-Dissidenten" in China. Die meisten Websites (gesamtes, aus untereinander verknüpften Seiten bestehendes Informationspaket eines Anbieters im World Wide Web des Internets) von Dissidenten werden im Ausland betrieben, meist in den USA. Das New Culture Forum, eine Gruppe chinesischer Dissidenten in der Provinz Shandong, riskierte es jedoch erstmals, auf ihrem eigenen als Internet-Server dienenden Computer innerhalb Chinas regierungskritische Internetseiten zu speichern und zu veröffentlichen. Anfang August 2000 wurde die Website mit der Begründung, es seien reaktionäre Inhalte publiziert worden, von Sicherheitskräften gelöscht und eine Fahndung nach den Verantwortlichen eingeleitet. Eine Woche später aber erschienen die verbotenen Seiten bereits im Internetangebot der New Yorker Initiative Human Rights in China.
Auch in Burma wird das Internet streng kontrolliert. Einen Internetzugang bei der staatlichen Telekommunikations-Gesellschaft erhält man nur mit offizieller Erlaubnis der Regierung. Die Einrichtung eines eigenen Speicherplatzes zur Veröffentlichung von Websites muss gesondert beantragt und genehmigt werden. Wie der britische Rundfunksender BBC berichtete, sind Besitzer eines Internet-Zuganges gehalten, jede "Bedrohung" durch das Internet den Behörden zu melden. Wer für sein Modem keine staatliche Lizenz vorweisen kann, riskiert bis zu 15 Jahre Haft. Bislang können in Burma allerdings fast ausschließlich Regierungsbehörden und Firmen auf das Internet zugreifen.
Wer in Vietnam Zugang zum Internet haben möchte, muss eine Erlaubnis des Innenministeriums einholen und ist auf staatliche Internet-Provider angewiesen. Der Abruf von Websites vietnamesischer Exilorganisationen und internationaler Menschenrechtsorganisationen im Ausland wird Reporter ohne Grenzen zufolge blockiert. Vietnam hat Ende September eine zehnprozentige Senkung der Telefon- und Internetgebühren angekündigt, um die Nutzung des Internet zu fördern und ausländische Investoren nicht länger abzuschrecken. Im Jahr 2001 sollen die Preise noch einmal um rund zehn Prozent sinken. Das staatliche Telekommunikationsunternehmen VNPT erwartet einen Anstieg der Zahl vietnamesischer Internetnutzer von derzeit 50.000 auf etwa eine Million in fünf Jahren.
Die Regierung Malaysias unter Ministerpräsident Mahathir Mohamed unterstützt die Verbreitung von Computern und Internet energisch und möchte Malaysia unter den führenden Nationen des Informationszeitalters etablieren. Als jedoch Ende Juli 2000 eine militante islamische Sekte auf ihrer Website zum Heiligen Krieg aufrief, kündigte das Kommunikationsministerium an, mit aller Härte gegen Regierungsgegner vorzugehen, die "Lügen" oder "Drohungen" im Internet verbreiteten. Das Kommunikations- und Multimedia-Gesetz erlaubt hohe Geldstrafen und bis zu einem Jahr Haft bei Zuwiderhandlungen. Offensichtlich sind der Regierung aber nicht nur Websites militanter Islamisten ein Dorn im Auge. Seit der frühere stellvertretende Ministerpräsident Anwar Ibrahim inhaftiert und zu einer langjährigen Haftstrafe wegen angeblicher Korruption und Homosexualität verurteilt worden ist, sprießen regierungskritische Websites wie Pilze aus dem Boden.
Der Stadtstaat Singapur hat von Beginn an ein abgestuftes Modell der Regulierung des Internet verfolgt. Erotische Magazine und Filme sind vonseiten des Staates verboten, und auch politische und religiöse Aktivitäten werden kontrolliert. Ausländische Zeitschriften wurden in der Vergangenheit immer wieder zensiert. Folgerichtig geriet das Internet schnell in die Fänge der staatlichen Zensur. Die Telefongesellschaft Singapore Telecommunications sperrte als Anbieter internationaler Datenleitungen den Zugang zu Internetadressen mit "anstößigen" Inhalten.
Die Regierung setzte aber vor allem auf die "freiwillige" Selbstkontrolle durch die Provider. Diese wurden voll verantwortlich gemacht für die Inhalte, die ihre Kunden im Netz publizierten. Die Provider wurden darüber hinaus angewiesen, mit Hilfe der Software NetNanny pornografische Inhalte aus dem Internetangebot herauszufiltern.
Anfang August 2000 verkündete Kommunikationsminister Yeo Cheow Tong eine Entschärfung der bestehenden Regeln. Internet-Provider, die lediglich Kunden ans Netz anbinden, sollten für die von den Kunden verbreiteten Inhalte strafrechtlich nicht mehr verantwortlich gemacht werden können, hieß es. Der Minister ließ durchblicken, dass vor allem ökonomische Überlegungen für die veränderte Haltung der Regierung den Ausschlag gegeben hatten. Singapur soll als einer der wichtigsten asiatischen Datenknotenpunkte etabliert werden und in der Internet-Ökonomie als Global Player, also als Teilnehmer, der auf diesem Feld weltweit die Richtung mitbestimmt, in Erscheinung treten. Dies gilt insbesondere im Bereich des Electronic Commerce, der Vermarktung über das Internet. Allzu restriktive Gesetze sind diesem Ziel hinderlich. "Wir werden die existierenden Gesetze und Regeln überprüfen und sie auf den neuesten Stand bringen, damit wir die Bedürfnisse der neuen Ökonomie befriedigen können", erklärte Kommunikationsminister Yeo Cheow Tong.
In den meisten zentralasiatischen Ländern gibt es nur staatliche Internet-Provider, und die Regierungen üben nach Angaben von Reporter ohne Grenzen strikte Kontrollen über die Internet-Zugänge aus. In Aserbaidschan und Usbekistan existieren zwar private Provider, sie werden aber von den Telekommunikationsministerien streng überwacht. In Kasachstan und Kirgisistan verlangen die Behörden von privaten Internet-Providern so hohe Verbindungspreise, dass kaum Konkurrenz auf dem Markt entstehen kann.
Als einziges lateinamerikanisches Land erscheint Kuba auf der Liste der Feinde des Internet, die Reporter ohne Grenzen erstellt hat. Auf Kuba haben bislang nur wenige Privatpersonen Zugang zum Internet. Neben schlechten Telefonleitungen und hohen Gebühren in Internet-Cafés gibt es andere, staatlich verordnete Hürden: Potenzielle Internetnutzer müssen nachweisen, dass sie den Zugang zum Internet zu Forschungszwecken benötigen oder einer staatlich genehmigten Organisation angehören. Wer sich einloggen kann, stellt schnell fest, dass sich viele auf Rechnern im Ausland gespeicherte Internetseiten nicht aufrufen lassen. Die kommunistische Regierung betreibt laut einem Bericht des US-Fernsehsenders ABC ein Programm, dass alle privaten E-Mails (elektronisch verschickte Briefe) überwachen und Websites in Kuba zensieren kann. Da sich das Regime dem Internet-Boom jedoch nicht gänzlich verschließen will, hat es eine Kampagne angekündigt, Internet-Zugänge in 150 Computerclubs und in 2000 Postämtern einzurichten.
Der erste offizielle Akt von Internet-Zensur in Afrika geschah in Sambia. Laut Article 19, einer Londoner Organisation für den weltweiten Schutz der freien Meinungsäußerung, zwang die sambische Regierung im Februar 1996 den Provider Zamnet, eine Ausgabe der Tageszeitung The Post aus dem Netz zu nehmen, die als Printausgabe bereits beschlagnahmt worden war. Darin wurde über geheime Pläne der Regierung für ein Verfassungsreferendum berichtet. Die inkriminierte Ausgabe erschien wenig später auf einem Webserver in den USA. Die Regierung Sambias versuchte in der Folgezeit vergeblich, Zamnet dazu zu bewegen, die Online-Veröffentlichung von The Post ganz einzustellen.
Die Regierung Tunesiens erklärte, sie blockiere lediglich den Zugang zu Internet-Inhalten, die die "moralischen Werte" verletzten. Nach Informationen der Washingtoner Organisation Human Rights Watch waren davon jedoch auch verschiedene Menschenrechtsorganisationen betroffen, darunter Amnesty International. Neben speziellen Gesetzen wendet die tunesische Regierung auch die herkömmlichen repressiven Pressegesetze zur Kontrolle des Internet an.
Ein Haupthindernis für die freie Meinungsäußerung ist nach wie vor die staatliche Dominanz im Telekommunikationssektor. In Malawi, in Äthiopien, aber auch in Südafrika und vielen anderen afrikanischen Staaten haben die staatlichen Telekommunikationsgesellschaften von Beginn an zu verhindern versucht, dass private Internet-Provider in Konkurrenz zu ihnen traten. Die UN-Wirtschaftskommission für Afrika beklagte, dass die meisten afrikanischen Regierungen versuchten, die Kontrolle über die Telekommunikations-Infrastruktur zu behalten - aus Furcht, Marktanteile zu verlieren, oft aber auch in der Absicht, den Informationsfluss weiter kontrollieren zu können. Lediglich die Regierung Senegals erhielt Lob für ihre Politik, schnell gesetzliche Rahmenbedingungen für das Internet zu formulieren und Joint Ventures mit der Privatwirtschaft einzugehen.
Meist scheitert der Zugang zum Internet für Afrikaner jedoch nicht an Zugangsbeschränkungen, die die Regierung verordnet hat, sondern an der fehlenden Infrastruktur, an zu hohen Kosten und mangelnder Bildung. Telezentren und Internet-Cafés, die in städtischen Gebieten bereits vielen Menschen Zugang zum Internet und Beratung bei der Nutzung der Internetdienste bieten, haben auf dem Land Probleme bei der Refinanzierung ihrer Investitionen, denn die kostet dort mehr, während die Kaufkraft der Bevölkerung geringer ist. Um so wichtiger sei es, Politiker und Geschäftsleute auf das Recht auf Information und freie Meinungsäußerung aufmerksam zu machen, um eine "digitale Spaltung" der Gesellschaft zu verhindern, so die Londoner Organisation "Article 19", eine Spaltung, die einen Teil der Gesellschaft vom Zugang zu Informationen aus dem Internet ausschließt.
Kontroll- und Regulierungsbestrebungen beschränken sich jedoch keineswegs auf Entwicklungsländer. Die Regierungen Australiens, Deutschlands, der USA und anderer westlicher Länder haben versucht, Zugriffe auf rechtsextremistische oder pornografische Inhalte zu unterbinden. In Deutschland ist der frühere Geschäftsführer des Onlinedienstes CompuServe vor Gericht gestellt worden, weil er den technischen Zugang zu solchen Internetseiten nicht unterbunden hatte. Er wurde inzwischen freigesprochen. Die US-Regierung hat bereits 1996 mit dem Gesetz Communications Decency Act versucht, Pornografie aus dem Netz zu verbannen, ist jedoch vor dem Obersten Gerichtshof gescheitert.
Die Methoden, unerwünschte Internet-Inhalte von der eigenen Bevölkerung fern zu halten, konzentrieren sich in der Regel darauf, den technischen Zugang zum Internet generell zu kontrollieren oder aber unerwünschte Inhalte herauszufiltern und zu blockieren. In autoritären Staaten wie China fällt es den Behörden leicht, den Zugang zum Internet zu unterbinden oder zumindest zu erschweren. Die wenigen Institutionen und Firmen, die internationale Datenleitungen anbieten und den Zugang zum Internet herstellen können, sind in staatlichem Besitz oder zumindest unter staatlicher Kontrolle. Kleinere Internet-Provider oder Einzelpersonen müssen sich registrieren lassen, sodass der Zugang eingeschränkt werden kann.
Selbst in China oder Kuba lässt sich diese Zensurmethode jedoch nur begrenzt durchhalten. Die Internetnutzung kann aus wirtschaftlichen Gründen nicht auf Dauer gehemmt werden. Verfeinerte Kontrollmechanismen zielen deshalb darauf ab, statt des generellen Zuganges zum Internet nur den Zugang zu bestimmten Inhalten zu verhindern.
Internet-Provider können die Geräte, die die Datennetze miteinander verbinden, so konfigurieren, dass der Zugang zu bestimmten Internet-Adressen nicht hergestellt werden kann. Beim Austausch von Informationen über das Internet mit Hilfe des Internet-Protokolls (IP) werden die Informationen in kleine Datenpakete unterteilt, die jeweils eine aus einer Reihe von Nummern bestehende Absender- und Zieladresse besitzen. Datenpakete von einem bestimmten Absender können damit blockiert werden.
Es kann jedoch auch automatisch protokolliert werden, welche Internet-Adressen von welchem Nutzer abgerufen werden. Internet Service Provider verwenden sogenannte Proxy Server als Zwischenspeicher für Internetseiten, die von ihren Kunden aufgerufen werden. In erster Linie soll dies den Datentransfer verringern und somit Geld sparen, weil häufig aufgerufene Seiten nur einmal aus der Ferne abgerufen und dann nur noch über die jeweils letzte Strecke der Leitung transportiert werden müssen. Alle Internet-Anfragen werden über diesen Zwischenspeicher-Server geleitet, der wiederum die verlangten Seiten nur aus der Ferne abruft, sofern sie nicht bereits in seinem Speicher bereit gehalten werden. Auf diese Weise lässt sich überwachen, welche Internet-Adressen von welchem Computer aus aufgerufen werden und wie lange die Online-Sitzung dauert. Wenn ein Regime die Proxy-Server im Land kontrolliert, kann es also dafür sorgen, dass bestimmte Informationen nicht durchgeleitet werden.
Es gibt jedoch auch andere Möglichkeiten, unerwünschte Internet-Inhalte vom potenziellen Nutzer fernzuhalten. Software-Hersteller und Online-Dienstanbieter wie America Online (AOL) haben Filterprogramme (beispielsweise NetNanny oder CyberPatrol) insbesondere zum Schutz von Kindern entwickelt. Eltern oder Lehrer können mit Hilfe dieser Zusatz-Software eine Liste von Internetseiten festlegen, die nicht angezeigt werden dürfen. Einen ähnlichen Ansatz haben sogenannte Rating-Sys-teme: Hier werden Internetseiten auf das Vorhandensein von Gewaltdarstellungen, Pornografie und dergleichen hin überprüft. Der Nutzer kann in einigen Programme zum Surfen im World Wide Web, sogenannten Browsern - wie dem Microsoft Internet Explorer - festlegen, welches Bewertungssystem verwendet werden soll. Je nach Wunsch werden Inhalte, die mit Gewalt, Sex oder Rassendiskriminierung zu tun haben, nicht angezeigt.
Filterprogramme, die unerwünschte Inhalte auflisten, haben jedoch das Problem, dass die Listen schnell veralten. Und zur Bewertung von Internetseiten wird häufig eine Volltext-Suche auf Internetseiten verwendet. Diese Suche nach bestimmten Stichwörtern liefert freilich keine Erkenntnis, in welchem Zusammenhang das Stichwort steht. Unter Umständen werden so bei der Suche nach Websites, die rassistische Inhalte aufweisen, auch Internet-Angebote auf den Index gesetzt, die sich kritisch mit rassistischem Gedankengut auseinandersetzen und zu Toleranz aufrufen.
So vielfältig die Möglichkeiten sind, den Zugang zu Internet-Inhalten zu verhindern oder zu erschweren, so vielfältig sind auch die Möglichkeiten, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die Beschränkung des technischen Internet-Zuganges auf staatliche oder staatlich kontrollierte Provider lässt sich umgehen, indem etwa über Telefonleitungen Provider im Ausland angewählt werden, was dann aber Gebühren für Auslandsgespräche kostet. Blockaden bestimmter Internet-Adressen lassen sich ausschalten, indem der Anbieter die Seiten auch auf einem anderen Webserver, einem sogenannten Mirror (Spiegel), installiert. Dies bedeutet zumindest einige Zeit Aufschub, bis die Zensur auch die neue Adresse entdeckt und blockiert.
Blockaden von bestimmten Internet-Adressen durch den Provider kann man auch umgehen, indem man einen Umweg über einen zwischengeschalteten Anonymizer nimmt. Der Internet-Nutzer ruft hierbei zunächst die Internet-Seite dieses Anonymisierers auf und geht erst danach auf die Webseiten, die er eigentlich besuchen möchte. Die Datenpakete, die dabei übertragen werden, erhalten in diesem Fall die numerische Adresse (IP-Adresse) des Anonymisierers. Der als Zwischenspeicher dienende Proxy-Server des Providers kann die übertragenen Datenpakete dann nicht als gesperrte Inhalte identifizieren und erlaubt die Weiterleitung der Daten. Die Regierungen Chinas, Singapurs und der Vereinigten Arabischen Emirate blockieren "aus nachvollziehbaren Gründen", so Human Rights Watch, den Zugang zu Websites bekannter Anonymisierer wie www.anonymizer.com, um Nutzern diesen Ausweg zu erschweren.
Um die Kontrolle von Email-Inhalten zu umgehen, kann eine Software (Computerprogramm) zur Verschlüsselung der Nachrichten benutzt werden. Der Nachteil dabei ist, dass die Versendung verschlüsselter Nachrichten das Misstrauen staatlicher Zensurbehörden erst recht weckt. Aber mit Hilfe einer sogenannten Steganografie-Software kann ein Text auch in einer Grafik, einer Tondatei oder einem Videoclip versteckt werden.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, einen Remailer zu verwenden. Der Rechner des Remailers nimmt die elektronische Post an und sendet sie dann mit geänderter Absenderangabe an den eigentlichen Empfänger weiter, sodass der ursprüngliche Absender unerkannt bleibt.
Bislang ist es aber nur eine kleine Minderheit, die mit solchen Methoden die Zensur umgehen kann. In vielen Ländern kann sich die Mehrheit der Bevölkerung weder die dafür nötige Technik noch die Übertragungsgebühren leisten. Und es gehört schon eine gute Computerausbildung dazu, mit den entsprechenden Programmen umzugehen.
Eine Reihe von Organisationen hat sich explizit den Kampf gegen Zensur im Internet auf ihre Fahnen geschrieben. Das Freedom House in Washington gehört zu ihnen, ebenso das Digital Freedom Network in Newark, New Jersey, das zensierte Artikel auf seiner Website publiziert. Die Electronic Frontier Foundation in San Francisco hat die Blue Ribbon-Kampagne für das Recht auf freie Meinungsäußerung im Netz gestartet. Aber auch Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch in Washington oder Journalisten-Hilfsorganisationen wie "Reporter ohne Grenzen" in Paris haben ihr Augenmerk auf die Internet-Zensur gerichtet. Mitunter entstehen aus solchen Initiativen Netzwerke, die eine Gegenöffentlichkeit herstellen: Das Open Society Institute in New York hat beispielsweise im Rahmen seiner Projektarbeit gemeinsam mit birmanischen Exilanten und Burma-Unterstützergruppen eine Website und einen Online-Newsletter (Informationsbrief per Email) eingerichtet, um die Öffentlichkeit über die aktuelle Entwicklung in Burma zu informieren.
"Die Menschheit ist in das Internet-Informationszeitalter eingetreten", schreibt der Gründer des chinesischen New Culture Forum unter dem Pseudonym Xin Weiming auf der Website der britischen Organisation Index on Censorship. "Die Menschen benutzen das Internet, um Ideen auszutauschen und Nachrichten zu übermitteln. Das ist ein historischer Trend, der nicht aufgehalten oder umgekehrt werden kann."
Internetadressen:
amnesty international: www.amnesty.org
Article 19: www.article19.org
Digital Freedom Network: www.dfn.org
Electronic Frontier Foundation: www.eff.org
Freedom House: www.freedomhouse.org
Global Internet Liberty Campaign: www.gilc.org
Human Rights Watch: www.hrw.org
Human Rights in China: www.hrichina.org
Index on Censorship: www.indexoncensorship.org
Open Society Institute: www.soros.org/osi.html
Reporters sans frontiŠres: www.rsf.fr
Reporter ohne Grenzen: www.reporter-ohne-grenzen.de
The Post (Sambia): www.zamnet.zm/zamnet/post/post.html
UN-Wirtschaftskommission für Afrika: www.uneca.org/
aus: der überblick 04/2000, Seite 30
AUTOR(EN):
Klaus Boldt :
Klaus Boldt ist freier Journalist in Bonn; er ist spezialisiert auf das Internet und auf Entwicklungspolitik.