Terror in Dol Dol
Die Einwohner einer kenianischen Stadt führen Klage, dass seit 20 Jahren Soldaten aus einem nahegelegenen Camp der britischen Armee einheimische Frauen vergewaltigen. Sie sind nicht länger bereit, das hinzunehmen.
von Natascha Walter
Hunderte von Frauen und wenige Männer haben sich in Dol Dol, einer abgelegenen Stadt in Kenias ausgedehntem Hochland, in einem Garten versammelt. Der Garten ist voller Farben, denn es sind Massai-Frauen und die meisten tragen scharlachrote und weiße Halsketten, die wie eine Halskrause aus Perlen aussehen und Wickelröcke in knalligen Farben. Einer ihrer Häuptlinge, ein großer Mann, spricht zu der Menge: "Wollt ihr weitermachen mit eurer Aktion gegen die britische Armee?" fragt er sie in ihrer Sprache. Die Frauen klatschen zustimmend.
Die Aktion bezieht sich auf den schwerwiegenden Vorwurf, dass während der letzten zwanzig Jahre britische Soldaten, die zu Trainingszwecken in Kenia stationiert waren, einheimische Frauen vergewaltigt haben, und dass in keinem dieser Fälle gegen einen Soldaten ermittelt oder eine Strafe verhängt wurde. Als ich mich in Kenia aufhielt, hatten sich Hunderte von Frauen versammelt, um mit ihren Häuptlingen und dem britischen Anwalt Martyn Day die möglichen rechtlichen Schritte zu erörtern. Als das Treffen zu Ende war, setzte ich mich unter einen Baum und sprach mit einer der ganz wenigen Frauen, die hier etwas Englisch können. Elizabeth Rikanna trägt heute westliche Kleidung, aber sie ist in einer Massai-Familie aufgewachsen, die das traditionelle Hirtenleben führte. Die meisten Massai in dieser Gegend leben noch immer so, schöpfen ihr Wasser aus Flüssen, sammeln Brennholz im Busch und treiben ihre Ziegen und ihre hochgeschätzten Kühe auf der Suche nach Weideland von einem Ort zum nächsten.
Elizabeth ist in ihrer Generation eine Ausnahme, denn der Häuptling ihrer Gruppe hatte ihren Vater überredet, sie zur Schule zu schicken. Der tat das widerstrebend. Er habe seine Kühe verkaufen müssen, um die Schulgebühren bezahlen zu können, beklagte er sich. Elizabeth war eine sehr gute Schülerin. Als sie mit 22 Jahren die High School abgeschlossen hatte, nahm sie sich vor, Anwältin zu werden.
In dem Jahr, 1983, hielt sie sich bei einer Kusine auf. Eines Nachmittags während der Trockenzeit, wenn die Frauen oft weite Wege gehen müssen, um in der Buschsteppe Wasser zu finden, lief sie drei Kilometer zu einem ausgetrockneten Flussbett, wo ein Wasserloch noch etwas hergab. Sie schöpfte gerade Wasser in ihre Blechkanister, als sie drei britische Soldaten sah, die im Flussbett näherkamen. "Jambo" sagten sie zu ihr, auf Swahili "Guten Tag".
"Ich dachte sie wollten Wasser, also sprach ich sie an", sagt Elizabeth und scheint plötzlich den Augenblick noch einmal zu erleben. Ihre Sprechweise, bisher deutlich und bedächtig, wird leiser und schneller, und ich muss mich zu ihr hinüberbeugen, um zu verstehen, was sie sagt. "Ich frage mich immer, warum habe ich Englisch mit ihnen geredet, das verfolgt mich bis heute, wenn ich nichts zu ihnen gesagt hätte, wären sie dann auch so brutal über mich hergefallen? Einer nahm den Kanister, als ob er mir helfen wollte, er sagte "Wieso kannst du Englisch?" Plötzlich fühlte ich mich unbehaglich. Sie sahen sich an und ich spürte, dass etwas faul war. Dann griff einer so nach meiner Hand." Elizabeth ergreift mein Handgelenk. "Ich schrie. Ich wollte seine Hand abschütteln, aber er zog mich zu sich heran. Der Mann hinter mir hatte schon ein paar Kleidungsstücke ausgezogen. Der Mann, der mich zuerst vergewaltigte, war der, der hinter mir gestanden hatte. Der dritte vergewaltigte mich nicht. Er hielt die Gewehre. Zwei Männer vergewaltigten mich. Sie taten Dinge, die ich mir nicht einmal hatte vorstellen können. Ich habe noch nichts vergeben. Ich bin noch nicht so weit, dass ich vergeben könnte."
Nach dem Überfall schleppte sich Elizabeth nach Hause. Drei Kilometer in ihren zerrissenen Kleidern ohne Wasser. "Ich kam mit leeren Kanistern zurück. Ich sagte es meiner Kusine und sie sagte es ihrem Mann. Weiter konnte eine Dame damals nicht gehen. Ich fühlte Schmerz. Ich fühlte Schande. Ich hatte das Gefühl, dass meine Würde mich verließ."
Nach ein paar Wochen ging Elizabeth wieder zu ihren Eltern. "Ein Monat ging vorbei, dann zwei. Als mir klar wurde, dass ich schwanger war, musste ich es meinen Eltern sagen. Sie waren wütend. Mein Vater hatte Kühe verkauft, um Schulgebühren für mich zu bezahlen. Jetzt dachte er, ich hätte meine Kultur und meine Moral verloren. Sie schickten mich weg. Elizabeth ging zurück zu ihrer Kusine und blieb im Haus. Sie schämte sich zu sehr, um sich zu zeigen. "Aber als die Wehen einsetzten, dauerten sie so lange, dass ich ins Krankenhaus gebracht werden musste. Ich wurde operiert. Es ging nicht gut. Ich hatte Zwillinge, aber einer starb - der Junge. Das Mädchen blieb mir. Ich liebe sie jetzt, aber stellen Sie sich den Schmerz vor, den ich damals empfand. Ein Kaiserschnitt, ein totes Kind und noch ein Kind, das nicht einmal meine Hautfarbe hatte." Elizabeth streckt ihre Arme - um die tiefschwarze Farbe ihrer Haut zu zeigen, aber auch in einer Geste der Verzweiflung.
Elizabeth hatte davon geträumt, Rechtsanwältin zu werden, aber weil sie ein Kind versorgen musste, konnte sie nicht so weit von zu Hause weg. "Ich wurde Lehrerin. Und ich heiratete nie. In unserer Gesellschaft hat das Heiraten große Bedeutung. Wenn ich geheiratet hätte, hätte ich die Wertschätzung meiner Person und meiner Familie gesteigert. Aber wer würde die Mutter eines halbweißen Kindes heiraten wollen? Mein ganzes Leben habe ich ein Leben gelebt, das nicht wirklich meins ist. Erst jetzt dämmert mir, dass ich nicht die einzige bin, die leidet."
Elizabeth Rikanna ist wirklich nicht allein. Mehr als 200 Massai-Frauen aus diesem Landesteil berichten über Vergewaltigungen, für die sie Beweismaterial vorlegen können: Manchmal Polizeiberichte oder Berichte von Ärzten, öfter eine Bestätigung durch ihre Häuptlinge.
Hunderte Samburu-Frauen aus der Umgebung von Archers Post, einem anderen Manövergebiet im Norden Kenias, berichten Ähnliches. Martyn Day, der nüchterne Rechtsanwalt, erinnert sich an seine Reaktion, als die Frauen das erste Mal mit ihren schockierenden Vorwürfen zu ihm kamen: Er befand sich in Dol Dol und befasste sich mit einem anderen Präzedenzfall: der Forderung der Einheimischen nach Entschädigung für Unfälle, die durch Blindgänger verursacht worden waren, welche die britische Armee auf ihrem Land zurückgelassen hatte. "Ein halbes Dutzend Frauen kamen im September 2001 zu mir und sagten: "Auch uns sind durch die britische Armee Verletzungen zugefügt worden." Um ehrlich zu sein, ich habe damals ihre Vorwürfe etwas auf die leichte Schulter genommen. Ich hatte wegen der Bomben viel um die Ohren und dachte, es handle sich nur um ein paar Fälle, und es würde sehr schwierig werden, etwas zu beweisen."
Letzten Sommer errang Day einen großen Sieg im Verfahren um die Blindgänger. Das Verteidigungsministerium erklärte sich bereit, 7,8 Millionen US-Dollar Entschädigungen für die Opfer militärischer Hinterlassenschaften bzw. für deren Hinterbliebene zu bezahlen. "Da kamen die Frauen wieder zu mir. Diesmal kamen 85 Frauen zu dem Termin. Ich sagte, "o.k., mir ist klar, dass eure Beschwerden begründet sind, aber ohne Beweise wird es nicht möglich sein, in dieser Angelegenheit etwas zu unternehmen." Als ich dann im Dezember wiederkam, hatten sie sich Beweismaterial wie ärztliche Gutachten beschafft. Ich war wirklich beeindruckt."
Angesichts der Schwierigkeiten, nach so langer Zeit Beweismaterial für ein Strafverfahren zu sammeln, ging Day davon aus, dass es aussichtsreicher sei, eine Zivilklage auf Entschädigung für das erlittene Trauma zu erheben. Aber dies würde nur Erfolg haben, wenn man nachweisen könnte, dass der britischen Armee bekannt war, dass Vergewaltigungen vorkamen, sie aber nichts unternommen hatte, um dagegen einzuschreiten. Solches Beweismaterial liegt nun vor. Unabhängig voneinander sind mindestens acht Fälle nachweisbar, in denen die britische Armee informiert wurde. Alle diese Berichte wurden ignoriert. Mir liegt das Protokoll eines Treffens von örtlichen Häuptlingen und Offizieren vom Oktober 1983 vor, bei dem sich die Häuptlinge darüber beschweren, dass Gruppen von Soldaten Frauen vergewaltigt hätten, und bei dem namentlich genannte Offiziere versprechen, "ernsthafte Schritte" zu unternehmen.
Es kann auch nachgewiesen werden, dass der britischen Armee einzelne Fälle von Vergewaltigungen angezeigt wurden; einer dieser Fälle liegt erst fünf Jahre zurück. Peter Kilesi hat als Wächter in einem Lager der britischen Armee gearbeitet und ein Empfehlungsschreiben des Kommandeurs bei sich. Kilesi erinnert sich, wie am Morgen des 22. Februar 1998 sein Wächterkollege Kabori Ole Saikol ins Lager gerannt kam und mit seinem Speer drohte. "Er sagte: "Ein Soldat hat meine Frau vergewaltigt." Er konnte kein Englisch und rief mich, damit ich übersetzte. Ich ging ins Büro des Majors und berichtete ihm, was mein Kollege sagte, dass ein Soldat seine Frau vergewaltigt habe, sie sei schwer verletzt, habe Blutergüsse. Jedermann schimpfte, alle waren sehr aufgebracht. Der Major sagte, man werde der Sache nachgehen. Saikol wollte den Soldaten umbringen, den er für den Täter hielt, ich musste ihn zurückhalten. Das sind Ausländer, es ist nicht gut, ihnen etwas zu tun."
Saikols Frau, Tianta Ilkabori Saikong, erinnert sich auch deutlich an diesen Tag. Sie ist jetzt 72 und war zum Zeitpunkt der Vergewaltigung 67, eine Frau, von der man meinen könnte, dass sie die Ängste nicht mehr zu haben braucht, die andere Frauen heimsuchen. Doch der Überfall hat deutliche Spuren hinterlassen. Der Soldat, der ihr nachgerannt war, als sie vom Markt nach Hause ging, hatte sie auf den steinigen Boden geworfen. Ihre Vorderzähne sind ausgeschlagen, ihre hohe Stirn ist von Narben gezeichnet, ein Finger war gebrochen und ist in schiefem Winkel wieder zusammengewachsen. "Sogar heute, wenn ich schlafe", erzählt sie mir mit Hilfe eines Dolmetschers, "habe ich manchmal das Gefühl, dass ich vor dem Briten davonrenne."
Doch trotz aller Klagen, die bei der Armee vorgebracht wurden, wurden die Vergewaltigungen nicht seltener. Vor wenigen Jahren gab es einen Überfall, über den sich die Öffentlichkeit besonders entrüstete. Ich spreche mit Margaret Agwaa, einem der Opfer einer Bande von Vergewaltigern. Vor vier Jahren war sie zu einem nahen Fluss gegangen, um Holz und Wasser zu holen. Die sechs Frauen, die zusammen unterwegs waren, wurden von mehr als einem Dutzend Soldaten aus einem Lager von Gurkhas, die auf einer nahegelegenen Farm stationiert waren, umzingelt. Sie versuchten wegzulaufen, aber es waren zu viele Soldaten. "Ich allein", berichtet Agwaa mit Hilfe eines Dolmetschers, "wurde von drei Männern vergewaltigt. Ich schrie, aber es kamen nur kleine Jungen, die vor den Soldaten Angst hatten."
Jetzt, da ein Prozess droht, hat sich die Armee endlich zum Handeln entschlossen - zwanzig Jahre, nachdem die ersten Vorwürfe erhoben wurden. Ein Team der Royal Military Police kam im April 2003 nach Kenia, um einige der Berichte der Frauen nachzuprüfen. Das Verteidigungsministerium weigert sich, zu Einzelheiten irgendeines Falles Stellung zu nehmen, bis diese Untersuchungen abgeschlossen sind.
Bei jeder der Frauen, mit denen ich gesprochen habe, hat das Ereignis andere Spuren hinterlassen, heimliche Scham oder öffentliche Erniedrigung, Scheidung oder ungewollte Schwangerschaft, gebrochene Knochen, ausgeschlagene Zähne oder nächtliche Ängste. Die Frauen, die aufgrund einer Vergewaltigung schwanger geworden sind, und die Kinder der Vergewaltiger haben eine besondere Last zu tragen. Kinder aus unterschiedlichen Rassen werden von den Massai kaum toleriert, die Massai sind als stolze Ethnie bekannt, stolz auf ihre Traditionen und ihre Abstammung.
Maxwell ist der Sohn von Elizabeth Naeku Mburia, die sagt, dass sie vor 25 Jahren in Dol Dol von zwei Soldaten vergewaltigt worden sei. Er merkte zum ersten Mal im Alter von sieben Jahren, als er zur Schule ging, was für ein Außenseiter er war. "Wir mussten an langen Pulten sitzen, die anderen Kinder wollten nicht neben mir sitzen", erzählt er mir, "selbst heute sagt jeder zu mir mzungu, Weißer Mann. Die Massai-Männer hassen mich, als es für mich Zeit wurde, zu heiraten, wollte keine Massai mich haben. Nur außerhalb meines Stamms konnte ich eine Frau finden."
Keine der Frauen, die mit mir gesprochen haben, hat sich von dem Trauma erholt, vergewaltigt worden zu sein, ob es nun 25 oder fünf Jahre her ist, ob sie Teenager waren, als es geschah, oder über 60 Jahre alt. Eine, Naituyu Lemolo, ist vor zwanzig Jahren von fünf Soldaten vergewaltigt worden, als sie Ziegen hütete. "Bevor ich vergewaltigt wurde, war ich eine sehr glückliche Frau. Ich war vollkommen frei, alleine über dieses Land zu laufen." Sie zeigt aus der Tür, wo das wilde, ausgebleichte Hochland sich meilenweit in die nebligen Berge erstreckt. "Aber jetzt habe ich meine Freiheit verloren."
Verteidigungsminsterium vor GerichtVergewaltigte Frauen klagenEine Gruppe kenianischer Frauen wird das britische Verteidigungsministerium verklagen. Das kündigte Ihr Anwalt, Martyn Day von der Kanzlei Leigh, Day and Co. Anfang Juli 2003 an. Die Regierung in London hatte zuvor zugesagt, dass sie für die Anwaltskosten der Klägerinnen aufkommen wird. 650 Frauen behaupten, zwischen 1972 und 2002 von britischen Soldaten vergewaltigt worden zu sein. In mehr als der Hälfte der Fälle soll es sich um Gruppenvergewaltigung gehandelt haben. Day hat inzwischen für hundert Fälle von Vergewaltigung Beweise zusammengetragen. Das britische Verteidigungsministerium soll wegen unterlassener Hilfeleistung und mangelnder Dienstaufsicht zur Rechenschaft gezogen werden. Nach Angaben von Day sind britische Offiziere bereits 1977 zum ersten Mal über Vergewaltigungen informiert worden, weitere 10 Beschwerden folgten. Doch die brutalen Übergriffe gegen Frauen gingen weiter. Nach einem Abkommen zwischen der britischen und kenianischen Regierung werden jedes Jahr etwa 3000 Soldaten zu Trainingskursen nach Kenia geschickt. Laut amnesty international (ai) behauptet das Verteidigungsministerium, erstmals im November 2002 etwas von den Vergewaltigungen gehört zu haben. Inzwischen untersucht die britische Militärpolizei 16 Fälle. ai macht sowohl die britische als auch die kenianische Regierung dafür verantwortlich, dass nichts zum Schutz der Frauen unternommen wurde. Day hofft, für jedes Opfer eine Entschädigung zwischen 33.000 und 42.000 Euro erstreiten zu können. Letztes Jahr hatte der Anwalt eine Entschädigung von umgerechnet etwa 7 Millionen Euro für 233 Kenianer erwirkt, die seit 1950 durch zurückgelassene britische Munition verletzt oder getötet worden waren. Boom boom money wird diese Entschädigung im Volksmund genannt. Möglicherweise wird es noch weitere Klagen aus Kenia gegen Großbritannien geben: Im Rahmen der Bekämpfung der Mau Mau Aufstände in den fünfziger Jahren wurden 80.000 bis 100.000 Kenianer in Lagern interniert. Dort sollen viele von ihnen systematisch gefoltert worden sein. Einige der noch lebenden Opfer haben einen Verein gegründet und Kontakt mit dem Anwalt Day aufgenommen. oj |
aus: der überblick 03/2003, Seite 38
AUTOR(EN):
Natascha Walter:
Natasha Walter hat an den Universitäten von Cambridge und Harvard studiert und ist heute Kommentatorin für Fernseh- und Printmedien. Sie schreibt regelmäßig Kolumnen für "The Independent" und "The Guardian". Diesen Artikel entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der Ausgabe des "Guardian Weekly" vom 23. Mai 2003.