Streiflichter Schöne |
In Kolumbien bereiten sich jeden Morgen tausende Männer darauf vor, entweder für eine der Guerillaorganisationen, eine paramilitärische Gruppe oder die Regierung in den vierzig Jahre währenden Bürgerkrieg zu ziehen. Ob sie wohl in den Spiegel gucken und an eine Nasenoperation denken, bevor sie das Gewehr schultern? Immer mehr kolumbianische Männer, ob jung oder alt, hadern nämlich mit ihrem Spiegelbild. Denn ein echter Macho ist nicht nur ein Mann von Anstand, der für seine Ehre kämpft und Anführer einer Gemeinschaft, der das Gemeinwohl über Eigennutz stellt, sondern auch ein Verführer. Und dabei vertraut er nicht mehr nur auf seinen natürlichen Charme. Ein Heer von Männern bevölkert seit Neuestem die Wartezimmer von Schönheitskliniken. Waren in Kolumbien von den Patienten, die ihr Äußeres verändern lassen, nur 10 Prozent Männer, sind es heute schon 30 Prozent, berichtete die New York Times am 24. Februar 2004. In dem südamerikanischen Land legt sich also ein höherer Prozentsatz der Männer unters Messer als in den USA. Dort halten Männer einen Anteil von 13 Prozent an den Schönheitsoperationen. Ob diese relative hohe Quote dadurch zustande kommt, dass sich auch viele kolumbianische Drogenbarone aus Sicherheitsgründen das Gesicht verändern lassen? Jedenfalls zeigt die Macho-Kultur ihre wehleidige Seite, wenn das Mannsbild bei der Pediküre jault, unter der Gurkenmaske hilflos versteinert und im Fitnessstudio schwitzt. Eine Entwicklung, die den Bürgermeister von Bogotá freuen dürfte. Denn wer sich gerade Fett hat absaugen lassen, wird wohl kaum Prügeleien oder illegale Autorennen riskieren.
“Die Schönheit - ein neues Recht für den Mann” - das ist das Motto der ersten Schminkserie für den Mann des französischen Modeschöpfers Jean-Paul Gaultier. Da wird die vitalisierende Gesichtsemulsion in einer Flasche aufbewahrt, die an ein Zipp-Feuerzeug erinnert und der kombinierte Kajal- und Abdeckstift bequem in die Brusttasche des Hemdes gesteckt. Alles sehr männlich, selbst der Lippenstift und der Puder, die ja nur dazu dienen, die natürliche Ausstrahlung des Mannes unauffällig zu betonen. Eigentlich ist das nichts besonderes, schließlich galt es zum Beispiel im Zeitalter des Barock am Königshof als unhöflich, sich ungeschminkt der höfischen Öffentlichkeit zu zeigen. Doch sich als Mann zu schminken ist aus der Mode gekommen und gilt so gar nicht als männlich. Schade um so eine finanzkräftige Gruppe, sagte sich die Kosmetikindustrie da und schuf den metrosexuellen Mann. Das sind Männer wie zum Beispiel der britische Fußballstar David Beckham, die erfolgreich in einem sehr männlichen Beruf sind, gleichzeitig aber auch gute Familienväter und attraktive Partner sein wollen. Man erkennt sie an tadellos in Form gezupften Augenbrauen oder auch mal an lackierten Fingernägeln. Erfunden hat den Begriff “metrosexuell” bereits im Jahr 1994 der britische Journalist Mark Simpson. “Metro” steht hierbei als Abkürzung für Metropole. Ein Werbeunternehmen hatte nämlich herausgefunden, dass in den USA und in Großbritannien 20 Prozent aller Männer in Großstädten in die Zielgruppe der Körper- und Modebewussten passen. Die Endung “sexuell” beinhaltet, dass diese Männer durch Kleidung und Körperpflege ihren Sexappeal steigern. In einem Bericht des britischen Nachrichtensenders BBC vom 7. Juli 2004 ist der Umsatz bei den Kosmetikprodukten für Männer in den vergangenen fünf Jahren um ein Dreifaches gewachsen. Bei den Hautpflegeprodukten gab es sogar eine Steigerung von 900 Prozent. Joanne Minzt, Marketingmanagerin von Nivea for Men in Großbritannien gab an, ihr Ziel sei es, mit Hauptpflegeprodukten für Männer genauso viel Umsatz zu machen, wie mit denen für Frauen. Diese Rechnung könnte aufgehen, wenn man den “Silbermarkt” mit einbezieht. Das sind die konsumfreudigen, aufgeschlossenen, aktiven 50 bis 70-jährigen Männer, die mit den ersten Alterserscheinungen kämpfen und sich ihre Körperpflege etwas kosten lassen. Doch stehen Männer auch zu ihren Verschönerungstechniken?
Wenn sich Jiang Lejun eine Schürze umbindet und für seine Verlobte kocht, dann nicht nur, weil er ein moderner chinesischer Mann ist, sondern weil er noch einiges bei ihr gut zu machen hat. In den vergangenen Monaten nämlich hatte sie ihm jeden Morgen ein Frühstück mit Sojabohnen, Haselnüssen, Pinienkernen, Banane und Joghurt serviert. Ein Service, der sich im Oktober 2004 ausgezahlt hat. Jiang Lejun wurde zum Mister Shanghai gekürt und ist damit einer der Kandidaten, der beim ersten Schönheitswettbewerb um den Titel des Mister China teilnehmen darf, berichtet die Beijing Times vom 1. November 2004. Das wäre vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen. Als Zeichen von Ausbeutung und Dekadenz hatte das kommunistische Regime bereits im Jahr 1949 Schönheitswettbewerbe verboten. Erst 54 Jahre später wurde dieser Bann aufgehoben. Im Jahr 2003 hat China zum ersten Mal den Miss-World-Wettbewerb ausgerichtet. Jetzt sind die Männer an der Reihe. Damit die Körperschau die traditionelle chinesische Kultur der inneren Schönheit nicht völlig verdrängt, sollen neben der äußeren Erscheinung auch Wissen und Auftreten der Kandidaten beurteilt werden, sagte Ren Qioa vom Organisationskomitee des Wettbewerbs laut einer Meldung des chinesischen Nachrichtenportals china.org.cn vom 1. Juli 2004. Preise gehen deshalb auch an Mister Wohlfahrt, Mister Gesundheit, Mister Gentleman, Mister Weisheit und Mister Ehrenwert.
Ob der Wettbewerb tatsächlich ein Zeichen von zunehmender persönlicher Freiheit in China ist, wird in den staatlich kontrollierten Medien bisher nicht diskutiert. Denn die Wettbewerbe sollen Touristen und Investoren ins Land bringen, und die Schönheitsindustrie ist ein wachsender Markt. Schönheitssalons für Männer sind in den Großstädten fest etabliert, die Fitnesscenter voll und in Apotheken gehen Gesichtsreiniger für Männer wie selbstverständlich über die Ladentheke. Die Kunden werden ai mei nan ren genannt, was Adonis oder wörtlich “in Schönheit verliebter Mann” bedeutet, und sind Chinesen wie Jiang Lejun.
Männer vom Volk der Wodaabe in Niger haben es oft nicht leicht, Frauen kennenzulernen. Denn ihr Beruf als Rinderhirt bringt es mit sich, dass sie das ganze Jahr über auf der Suche nach Weideplätzen in der Sahelzone auf einem Gebiet von mehreren tausend Quadratkilometern unterwegs sind. Deshalb organisiert der Ältestenrat des traditionellen Hirtenvolkes einmal im Jahr, meist im Herbst, ein Fest. Das so genannte Gerewol. Es ist eine Kontaktbörse, in deren Mittelpunkt ein Schönheitswettbewerb für Männer steht. Und der ist mittlerweile so berühmt, dass nicht nur Tuareg und in der Gegend stationierten Soldaten, sondern auch ausländische Touristen anreisen. Und nur bei denen sind Männer mit so etwas wie einem Bierbauch zu sehen. Denn alles was bei dem Wettbewerb zählt, ist das Aussehen. In der Los Angeles Times vom 18. Januar 2004 ist der Ablauf des Gerewol dokumentiert. Eine Delegation von Frauen wählt die attraktivsten Männer aus. Die Vorbereitungen für diesen Wettbewerb sind nicht etwa an einem Abend abgeschlossen. Die Männer brauchen oft Jahre, bis sie die passende Kleidung und Schmuck ausgewählt haben und die Zutaten für ihr Make-up gefunden haben. Weitere Tage vergehen bis die Haut dann gelb getönt, Lippen, Augenbrauen und Augen schwarz gefärbt, der Haaransatz weiter nach hinten rasiert und die Haare geglättet sind. Unter den Armen eingehakt tanzen die Männer in einer Linie und jeder versucht mit Gesängen und Grimassen die Aufmerksamkeit der Frauen auf sich zu ziehen. Sie müssen tanzen, bis sich die Frauen entschieden haben. Als Preis willigen die Frauen meist in die Hochzeit ein. Paare, die so ausgewählt werden, sollen traditionell vor allen Dingen eines sicherstellen: dass ihre Schönheit weitervererbt wird. Mittlerweile sponsert die nigrische Regierung den Wettbewerb, denn sie möchte, dass das Gerewol auch dann als touristische Attraktion vermarktet werden kann, wenn die Wodaabe sesshaft werden.
“Wer schön ist, macht Karriere” heißt es in der Wirtschaftswoche vom 7. Oktober 2003. Leistung oder das vielbeschworene Vitamin B allein lohnen demnach nicht. Ausschlaggebend bei der Jobsuche, beim Aufstieg auf der Karriereleiter und sogar für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens seien die Sinne - das, was wir sehen, hören und riechen. Alles Unsinn? Forscher der Londoner Guildhall Universität sollen errechnet haben, dass Männer, die größer als 1,82 Meter sind, knapp sechs Prozent mehr Gehalt bekommen, als ihre nur durchschnittlich groß geratenen Kollegen. Wenn sie dann auch noch kräftiges Haar, möglichst in braun haben, ihre Stimme angenehm klingt und sie wohl riechen, steht dem Erfolg nichts mehr im Weg.
Er hatte einen winzigen Mund, schmale Augen, ein rundes Gesicht und ein spärliches Kinnbärtchen. Doch angesichts seiner Schönheit sollen die Frauen reihenweise in Ohnmacht gefallen sein. Prinz Genji, “der leuchtende Prinz”, der Held eines Romans, hatte lebende Vorbilder in der japanischen Oberschicht der Heian-Zeit von 794 bis 1192. In der Ausgabe des “Japan Forum” vom Februar 2003 ist das Schönheitsideal dieser kleinen höfischen Elite beschrieben. Als schön, weil Zeichen der edlen Herkunft, wurde eine möglichst helle Hautfarbe angesehen und dieser mit reichlich weißem Puder aus einer Mischung von Kupferchlorid und weißem Blei nachgeholfen. Kontrast zu den roten Lippen bildete das schwarze Kopfhaar und ab dem 12. Jahrhundert sogar schwarz gefärbte Zähne. Dazu wurden Eisenspäne oder -nägel in Tee oder Reiswein eingelegt. Sie oxidierten und es entstand eine schwarze Tunke, die auf die Zähne aufgetragen wurde. Das Schminken und Schmücken war eng mit magisch-religiösen Praktiken verbunden. Die kultischen Handlungen sollten körperlich die geistige Wandlung unterstützen. Als ein besonders schöner Mann galt derjenige, der besonders viele Ähnlichkeiten mit einer Frau hatte.
Katrin Minarek